Michael Tsokos unter Mitarbeit von Veit Etzold und Lothar Str�h Dem Tod auf der Spur Dreizehn spektakul�re F�lle aus der Rechtsmedizin Ullstein Die in diesem Buch geschilderten F�lle aus der Rechtsmedizin entsprechen allesamt den Tatsachen. Alle Namen der genannten Personen und Orte des Geschehens wurden anonymisiert (mit Ausnahme von zwei F�llen). Etwaige �bereinstimmungen oder �hnlichkeiten w�ren rein zuf�llig. Au�erdem sind alle Dialoge und �u�erungen Dritter im Buch nicht zitiert, sondern ihrem Sinn und Inhalt nach wiedergegeben. Besuchen Sie uns im Internet: www.ullstein-taschenbuch.de Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielf�ltigung, Verbreitung, Speicherung oder �bertragung k�nnen zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. Erweiterte und aktualisierte Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch auf Basis der 5. Auflage der Originalausgabe 2009 1. Auflage Oktober 2009 2. Auflage � Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009 Umschlaggestaltung: HildenDesign, M�nchen Umschlagfoto: Siegfried Purschke Satz: KompetenzCenter, M�nchengladbach eBook-Konvertierung: CPI���Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany ISBN 978-3-548-92106-8 Das Buch Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechts-mediziner, schildert in seinem Buch dreizehn spannende und spektakul�re Todesf�lle, die allesamt von ihm selbst untersucht wurden. Zugleich liefert er eine kompetente wie verst�ndliche Einf�hrung in die Arbeitsweise der Forensik: Welche Untersuchungsmethoden gibt es���und in welchen F�llen kommen sie zur Anwendung? Wie sieht ein typisches Obduktionsprotokoll aus? Was ist ein Polytrauma? Und wie erkennt man, ob jemand Suizid begangen hat oder ermordet wurde? Ein Sachbuch-Krimi, den man so schnell nicht wieder aus der Hand legt���und den man so schnell nicht wieder vergisst. Der Autor Prof. Dr. Michael Tsokos, Jahrgang 1967, leitet das Institut f�r Rechtsmedizin der Charit� und das Landesinstitut f�r gerichtliche und soziale Medizin in Berlin. Als Mitglied der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamtes war er an zahlreichen rechtsmedizinischen Projekten im In- und Ausland beteiligt, u.a. 1998 in Bosnien. F�r seinen Einsatz als einer der ersten deutschen Rechtsmediziner bei der Identifizierung deutscher Tsunami-Opfer in Thailand erhielten er und das deutsche Team 2005 den Medienpreis Bambi. Michael Tsokos wurde f�r seine wissenschaftlichen Leistungen mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. Ein Wort in eigener Sache Das Ziel allen Lebens ist der Tod,�sagte Sigmund Freud. Damit hat er ins Schwarze getroffen, denn jeder Mensch stirbt schlie�lich irgendwann���entweder eines nat�rlichen oder eines nicht-nat�rlichen Todes. Ein nat�rlicher Tod ist krankheits- oder altersbedingt. �Nicht-nat�rlich� nennen wir all die Todesf�lle, die von au�en verursacht oder bewusst herbeigef�hrt werden, z.B. durch Verbluten nach Schuss- oder Stichverletzungen, ein Sch�del-Hirn-Trauma nach einem Verkehrsunfall, Schl�ge gegen den Kopf oder auch eine Vergiftung, sei es mit Medikamenten, Drogen oder anderen Substanzen. Wir Rechtsmediziner kommen immer dann ins Spiel, wenn Zweifel an einer nat�rlichen Todesursache bestehen. Und das ist deutlich h�ufiger der Fall, als man allgemein denkt. In all diesen F�llen ist es unsere Aufgabe, Licht ins Dunkel zu bringen���f�r die Ermittler wie f�r die Hinterbliebenen. Durchschnittlich 900.000 Todesf�lle ereignen sich pro Jahr in Deutschland, gut drei Prozent davon sind nicht-nat�rlicher Art. Das hei�t: Drei von hundert Menschen in unserem Land sterben nicht durch Krankheit oder Alter, sondern durch Unfall, Mord oder Suizid. Das allein ist erschreckend genug. Was die Sache noch�erschreckender macht: Viele nicht-nat�rliche Todesf�lle bleiben unerkannt, weil bei der Feststellung der Todesursache kein Rechtsmediziner hinzugezogen wird. Weil mancher Tod nat�rlich erscheint, es aber nicht ist. Tote haben leider immer noch keine Lobby, frei nach Sabine R�ckert1. Und w�hrend in angels�chsischen L�ndern und den USA ein amtlich bestellter und speziell ausgebildeter Leichenbeschauer���ein�Coroner�oder�Medical Examiner����jeden Toten untersucht, bevor er bestattet wird, kann bei uns ein Arzt jeder Fachdisziplin, sei er Labormediziner, Gyn�kologe, Orthop�de, Pharmakologe oder Allgemeinmediziner, die Leichenschau durchf�hren. Ein Arzt kann bei einer �u�eren Leichenschau aber kaum erkennen, ob der Verstorbene z.B. von seinen Verwandten mit Herzglykosiden oder anderen Medikamenten vergiftet wurde. Auch eine dezente Einstichstelle, an der z.B. Luft in eine Vene injiziert wurde, kann sich leicht der Aufmerksamkeit des rechtsmedizinisch nicht erfahrenen Leichenbeschauers entziehen. H�ufig ist es ja der Hausarzt, der von der Familie zur Feststellung des Todes gerufen wird. Eben der Arzt, der den Verstorbenen vor dem Tod behandelt hat. Dieser Arzt k�nnte leicht das Missfallen der Familie erregen und dadurch auch seine Patienten verlieren, wenn er nun anfinge, grelles Licht anzuschalten, den Verstorbenen vollst�ndig zu entkleiden, von allen Seiten zu untersuchen, in jede K�rper�ffnung zu schauen oder explizit, gegebenenfalls sogar vor den Angeh�rigen,�nach W�rgemalen zu suchen. Auch das Durchw�hlen des M�lleimers vor Ort, um zu schauen, ob sich darin nicht irgendwelche Medikamentenfl�schchen oder Spritzen befinden, w�rde bei den Angeh�rigen sicher nicht auf Wohlwollen sto�en. Hat der Arzt dann aber den Totenschein auf nat�rlichen Tod erst einmal ausgestellt, ist es meist zu sp�t. Ist der Verstorbene erdbestattet, k�nnen in der Regel nur �u�erst gravierende Gr�nde eine Exhumierung bewirken. Und ist der Leichnam erst kremiert, also verbrannt, ist alles zu sp�t. Eine Stunde im Krematorium bei 800 bis 1.000 Grad vernichtet jeden Beweis. Von dem Verstorbenen ist nach der Kremation nichts weiter als ein H�ufchen Asche �brig. Dann kann man nicht einmal mehr die Identit�t des Toten �ber eine DNA-Analyse nachweisen, geschweige denn Gift oder �u�ere Gewaltanwendung. F�r eine �Komplettversorgung� wie etwa in den USA br�uchten wir allerdings auch deutlich mehr forensische Spezialisten. In Deutschland gibt es zurzeit nur etwa 250 ausgebildete Rechtsmediziner���vermutlich so wenig wie in keiner anderen medizinischen Disziplin. Mein Weg in diesen Beruf begann vor mehr als zwanzig Jahren eher unspektakul�r. Bei der Bundeswehr sagte mir ein Kamerad, dass man zwei freie Tage bek�me, wenn man sich f�r den damals noch �blichen �Medizinertest� anmelde. Dieser Medizinertest konnte eine durchschnittliche oder schlechte Abiturnote neutralisieren und erm�glichte bei sehr gutem Abschneiden sogar den Zugang zum Medizinstudium ohne Wartezeit. Ich�nahm am Medizinertest teil, bestand ihn und begann kurz darauf das Medizinstudium. Wie ich es damals geschafft habe, nach Studentenpartys und nur zwei bis drei Stunden Schlaf morgens um sieben Uhr im Anatomiesaal zu stehen, ist mir heute ein R�tsel. W�hrend des Studiums weckte dann auch zuerst die Anatomie mein Interesse, und ich schwankte st�ndig zwischen den �berlegungen, sp�ter Chirurg, Pathologe, Neurologe, Psychiater oder doch Internist oder Kardiologe zu werden. Als ich dann in einem der letzten Semester, kurz vor dem Staatsexamen, die Vorlesung im Fach Rechtsmedizin h�rte, wusste ich, worauf ich immer gewartet hatte. Hier schienen alle F�den zusammenzulaufen, hier fand ich zum einen auf Grundlage der Anatomie und Pathologie den gesamten medizinischen F�cherkanon wieder, zum anderen reizte mich die psychologische Komponente. Kein anderer Arzt schaut so tief in die menschlichen Abgr�nde wie der Rechtsmediziner. Seit meiner damaligen Entscheidung, mich auf Rechtsmedizin zu spezialisieren, sind fast zwei Jahrzehnte vergangen, davon 15 Jahre in der Rechtsmedizin. In dieser Zeit habe ich etwa 9.500 Obduktionen verantwortlich durchgef�hrt, war bei mehr als 14.000 weiteren Obduktionen zugegen und habe in den verschiedensten Leichenhallen und Krematorien Norddeutschlands etwa 33.000 �u�ere Leichenschauen durchgef�hrt. An den beiden rechtsmedizinischen Instituten in Berlin, deren Direktor ich bin���dem Institut f�r Rechtsmedizin der Charit�und dem Landesinstitut f�r gerichtliche und soziale Medizin��, werden pro Jahr knapp 2.000 Obduktionen durchgef�hrt. Ich werde oft gefragt, wie ich es aushalte, in diesem Beruf zu arbeiten, t�glich auf so direkte Weise mit dem Tod konfrontiert zu werden. Die Frage ist berechtigt, denn ich habe mit Sicherheit mehr Leid und Grauen gesehen als 99 Prozent der Menschen in unserer Gesellschaft. Feuerwehrleute und Polizisten, die schreckliche Dinge gesehen haben, werden psychologisch betreut, bekommen professionelle Supervision. Wie also verarbeite ich meine Eindr�cke? Ich kann Ihnen versichern, ich bin weder drogenabh�ngig noch Feierabendalkoholiker, weder depressiv noch traumatisiert. Ich schlafe nachts sehr gut und bin noch nie aus Alptr�umen hochgeschreckt, die irgendetwas mit meinem Beruf zu tun hatten. Auch wenn mein Job wie kein anderer ist, kompensiere ich den Stress, die Anspannung und auch die besonderen Herausforderungen, die dieser Beruf mit sich bringt, genau so, wie es �normale� Arbeitnehmer bei ihren �normalen� Jobs machen: mit Laufen an der Spree oder im Tiergarten, Wochenenden an der Ostsee mit meiner Familie, Treffen mit Freunden, mit Kino, Theater oder einem spannenden Buch. Und auch wenn wir im Sektionssaal keine Musik h�ren, wie es bei den Kollegen im Fernsehen zuweilen der Fall ist, so ziehen wir Rechtsmediziner nicht mit Leichenbittermiene durchs Leben. Und in der Art, wie wir miteinander umgehen, sind wir nicht anders als andere erfolgreiche Teams in ihren Berufen. Aber etwas ist sowohl f�r mich als auch f�r�meine Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig: In unserem Beruf muss man objektiv bleiben und Distanz halten: zu dem Geschehen, zu den Opfern, zu den T�tern und zu den eigenen Emotionen. Wir sind Sachverst�ndige, keine Prediger und keine Richter. Emotionen w�rden uns die Objektivit�t nehmen, die wir brauchen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Toten k�nnen nichts mehr erz�hlen. Also versuchen wir f�r sie zu sprechen, indem wir das herausfinden, was sie uns nicht mehr sagen k�nnen. Das ist unser Job. Das hei�t nicht, dass alles, was es auf der Welt gibt, an uns abprallt, ohne dass es uns emotional ber�hrt. So kann ich mir zum Beispiel nicht vorstellen, als Arzt auf einer Kinderkrebsstation zu arbeiten, wo man t�glich das Leiden der kleinen Patienten sieht und oft nicht mehr helfen kann. Die Schicksale der Verstorbenen, die auf meinem Obduktionstisch im �Saal� landen, sind oft furchtbar, und nat�rlich ist mir das auch bewusst. Dennoch ist meine Arbeit in erster Linie berufliche Routine. Die besteht im Erheben von Befunden und ihrer Dokumentation, im Sammeln und Auflisten von Fakten, die auf naturwissenschaftlichen Kausalit�tsprinzipien beruhen und ausgewertet werden. Wir Rechtsmediziner liefern gerichtsfeste, harte Daten, das ist das Einzige, was wir f�r die Opfer und ihre Angeh�rigen tun k�nnen. Und es ist die einzig m�gliche Art und Weise, unserer �bergeordneten Aufgabe gerecht zu werden, die aus meiner Sicht in dem nach wie vor g�ltigen Diktum besteht:�Mortui vivos docent���die Toten lehren die Lebenden. Oder umgekehrt ausgedr�ckt: Die Lebenden lernen von den Toten. Wie das? Ist die Rechtsmedizin nicht eine Hilfswissenschaft der Juristerei, die erst dann in Erscheinung tritt, wenn es eigentlich zu sp�t ist, die zum Einsatz kommt, wenn das �Kind l�ngst in den Brunnen gefallen ist�? Ganz und gar nicht. Dem Menschen, der als Toter in unserem Institut landet, k�nnen wir nat�rlich nicht mehr helfen. Aber die Resultate unserer Untersuchungen helfen den Lebenden. So ist die Rechtsmedizin neben der Pathologie die Qualit�tskontrolle der Medizin schlechthin. Zu unseren Aufgaben geh�rt es n�mlich auch, zu erkennen, ob eine Operationsmethode oder medikament�se Behandlung versagt hat oder ob Krankheiten nicht rechtzeitig erkannt worden sind und daraus der Tod eines Patienten resultierte. Das ist von besonderer Bedeutung, wenn man bedenkt, dass es in der Medizin st�ndig neue operative oder medikament�se Behandlungsmethoden gibt. Indem die Rechtsmedizin Klarheit dar�ber bringt, wann, wo und unter welchen Umst�nden ein Mensch zu Tode gekommen ist, k�nnen M�rder und andere Gewaltverbrecher �berf�hrt und so weitere potentielle Opfer vor ihnen gesch�tzt werden. Und schlie�lich besteht ein wichtiger Teil der rechtsmedizinischen Arbeit darin, unbekannte Leichen zu identifizieren, oft welche, die kaum mehr zu erkennen sind. So k�nnen wir den Angeh�rigen immerhin einen letzten Dienst erweisen, denn ich kann mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als in st�ndiger Ungewissheit zu leben, ob ein geliebter Mensch, der vermisst wird, tot oder noch am Leben ist. Ich kenne aus meiner eigenen�beruflichen Erfahrung nicht wenige F�lle, in denen Familien dar�ber zerbrachen und manch einer sein Heil im Alkohol oder gar im Suizid gesucht hat. M�glichst vielen Angeh�rigen das unertr�gliche Hin und Her zwischen Hoffen und Bangen zu ersparen ist sicher nicht weniger wichtig, als zur Aufkl�rung eines Mordes beizutragen. Rechtsmediziner zu sein hei�t also ganz und gar nicht, sich nur mit dem Tod zu besch�ftigen. Stattdessen besch�ftigen wir uns aus Sicht des Todes mit dem Leben���und den Lebenden. Und manchmal stehen wir Rechtsmediziner auf eine sehr spezielle und eigenartige Weise �mitten im Leben�: Als in den neunziger Jahren das oft t�dlich endende S-Bahn-Surfen in Mode kam, wurden Rechtsmediziner als Erste Zeugen dieses neuen �Trends�. Genauso war es bei den �Crash Kids�, Jugendlichen, die sich mit gestohlenen Wagen halsbrecherische Rennen lieferten, in der Hoffnung, dass es der Airbag schon richten wird. Tut er auch h�ufig, aber halt nicht immer. �Komasaufen�, selbsthergestellte Designerdrogen, die t�dlich wirken, satanistische T�tungsrituale, Serienmorde oder Sexpraktiken mit t�dlichem Ausgang���die Opfer landen zuerst bei uns auf dem Obduktionstisch, meist unbemerkt von Medien und �ffentlichkeit. Und seien Sie versichert, lieber Leser, Sie wollen gar nicht wissen, was alles nicht publik gemacht wird. Denn sonst k�nnten Sie���im Gegensatz zu mir���nicht mehr ruhig schlafen. Ein weiteres Beispiel gef�llig? Rohstoffpreise sind in letzter Zeit stark gestiegen, insbesondere f�r Kupfer. Sie meinen, das interessiert nur B�rsianer? Weit gefehlt.�Manche Menschen ziehen mit Bolzenschneidern los, um Kupferkabel zu stehlen. Allerdings stehen diese Kabel h�ufig unter Starkstrom. Die verkohlten Leichen mit den Bolzenschneidern landen dann bei uns auf dem Sektionstisch. Wie Sie sehen, gibt es also gute Gr�nde, den Tod n�her in Augenschein zu nehmen. Das hat sich offenbar schon vor einiger Zeit herumgesprochen, denn in den letzten Jahren hat die Rechtsmedizin einen regelrechten Boom erfahren. Allerdings haupts�chlich in der bunten Welt der Medien. Amerikanische Fernsehserien wie�CSI, Crossing Jordan�oder�Autopsy�haben eine begeisterte Anh�ngerschaft, und auch in den Krimis und Thrillern auf dem Buchmarkt und im Kino werden immer h�ufiger und detaillierter Obduktionen beschrieben und forensische Aspekte ber�cksichtigt. Ebenso liest man immer h�ufiger in der Presse von Obduktionsergebnissen, toxikologischen Befunden und Aussagen der Staatsanwaltschaft zu einem Ermittlungsverfahren, die sich auf rechtsmedizinische Untersuchungsergebnisse st�tzen. Leider jedoch ist vieles von dem, was in Romanen, TV-Serien und Kinofilmen an rechtsmedizinischen Zusammenh�ngen in Umlauf gebracht wird, so fiktional wie die erfundenen Figuren. Deshalb habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Damit Interessierte mehr �ber den tats�chlichen Alltag eines Rechtsmediziners erfahren und �ber die Details der nicht immer allt�glichen Recherchen am toten menschlichen K�rper. In diesem Buch werde ich von zw�lf Todesf�llen berichten und anhand dieser F�lle, die sich alle genau so ereignet haben und von mir in den letzten Jahren untersucht worden sind, die Methoden und Untersuchungstechniken der Rechtsmedizin erl�utern. In manchen Kapiteln geht es mehr um den Fall und die R�tsel, vor denen die Ermittler standen, in anderen erfahren Sie mehr �ber Zusammenh�nge und Ph�nomene wie �Leichendumping� oder �Suizidales H�hlenverhalten�. Namen, Daten und Orte habe ich selbstverst�ndlich ge�ndert (au�er im allgemein bekannten und medial bereits ausf�hrlich dargestellten Fall Jessica), um die Pers�nlichkeitsrechte der Toten und ihrer Angeh�rigen zu sch�tzen. Es sind nicht die �Brisanten F�lle auf dem Seziertisch�, wie ein emeritierter Kollege sein Buch nannte, sondern es ist die allt�gliche Arbeit des Rechtsmediziners, die die Menschen interessiert. Und so m�ssen Sie hier auch nicht zum zwanzigsten Mal lesen, wie Marilyn Monroe starb, oder neue Verschw�rungstheorien zum Attentat auf John F. Kennedy �ber sich ergehen lassen. Stattdessen gebe ich Ihnen einen Einblick in den rechtsmedizinischen Arbeitsalltag. T�tungsdelikte, also Todesf�lle durch Mord und Totschlag, sind f�r den erfahrenen Rechtsmediziner vergleichsweise einfach zu bearbeiten. Mit wie vielen Messerstichen ein Mensch get�tet wurde, aus welcher Richtung und mit welcher Wucht sie auf das Opfer trafen und auch, welche Art von Messer (einschneidig, zweischneidig, m�gliche Klingenl�nge und -breite) die Verletzungen verursachte, all das sind Routinefeststellungen,�die �lediglich� gute medizinische und physikalische Grundkenntnisse und eben rechtsmedizinische Erfahrung voraussetzen. Spannender sind die Todesf�lle, die keine �ffentliche Aufmerksamkeit durch Fernsehen oder Printmedien bekommen, F�lle, die zur t�glichen Routinearbeit im Sektionssaal geh�ren und sehr wohl rechtsmedizinisch wie kriminalistisch anspruchsvoll sind. Bei diesen F�llen ist neben unserem rechtsmedizinischen Handwerkszeug auch eine geh�rige Portion Kombinationsgabe und Akribie bei der Rekonstruktion der Geschehnisse gefragt. Und gerade das Beachten kleiner Details (die oft genug den Weg zur L�sung des Falls weisen) zeichnet im Verbund mit einer gro�en Hartn�ckigkeit den guten Rechtsmediziner aus. Da muss es nicht immer�brisant�zugehen. Kaum jemand kennt die Grundlagen, Methoden und Techniken unserer t�glichen Obduktionspraxis oder wei� N�heres �ber die tats�chliche Rolle der Rechtsmedizin. So laufen kriminalistische Ermittlungen nicht in der Rechtsmedizin zusammen, wie es manchmal gerne dargestellt wird, sondern die Ergebnisse unserer Arbeit sind h�ufig nur Teile in einem gro�en Puzzle, wenn auch meist entscheidende. Beim Lesen dieses Buches werden Sie Zeuge, wie meine Kollegen und ich Beweise sammeln, Ungereimtheiten nachgehen und Obduktionsprotokolle erstellen. Sie werden erleben, wie das rechtsmedizinische Team Licht in das Dunkel bringt, in dem zun�chst noch die Nacht des Todes herrscht. Der Beruf des Rechtsmediziners ist wie kein anderer. Und auch die hartgesottensten Thriller-Fans unter�Ihnen werden mir am Ende des Buches zustimmen, wenn ich sage: Die Fiktion ist nicht�bigger than life��� es ist genau umgekehrt. Michael Tsokos Berlin, im Fr�hjahr 2009 Die (un)bekannte Wahrheit���ein erster Blick hinter die Kulissen Jeder, der hin und wieder einen Krimi liest oder sich im Fernsehen einen �Tatort� oder auch im Kino einen amerikanischen Thriller ansieht, wei� l�ngst, wie es in einem Obduktionssaal zugeht: Der Rechtsmediziner arbeitet grunds�tzlich allein in seinem im Keller gelegenen wei� gekachelten Raum. Jede weitere Person w�re nur Ablenkung, au�erdem kann man den Angeh�rigen bei der Identifizierung des Toten nicht mehrere Zuschauer zumuten. Das Licht dort unten ist absichtlich etwas diffus, um den Schock zu mindern, den der Tod auch f�r den zust�ndigen Rechtsmediziner bedeutet. Der Stahltisch mit der zu begutachtenden Leiche steht meist in der Mitte des karg eingerichteten Saals. Dort bleibt die oder der Tote so lange liegen, bis f�r die Mordkommission, wenn es sich denn um Mord handelt, der Fall abgeschlossen ist. Der Grund ist einleuchtend: Durch den Verlauf der Ermittlungen k�nnen sich immer wieder neue Fragen ergeben, die sich dann gleich an der Leiche beantworten lassen. Es gibt aber auch noch einen zweiten Grund: Auch von dem hartgesottensten Profi kann man nicht erwarten, die�komplette Obduktion an einem St�ck vorzunehmen, deshalb wird sie zumeist auf drei oder mehr Tage verteilt. Zuletzt darf auch nicht verschwiegen werden, dass Rechtsmediziner fast immer einen Spleen pflegen. Das hilft ihnen, mit ihrem grausamen Berufsalltag fertig zu werden. Die einen sind chronisch schlecht gelaunt, grunds�tzlich wortkarg und gehen davon aus, dass die Ermittler der Kriminalpolizei ihnen nur das Leben schwermachen wollen. Ihr Markenzeichen: Sie nuscheln immer vor sich hin. Die anderen h�ren beim Obduzieren Opern, um sich auch in der Begegnung mit dem Tod dem Sch�nen und Erhabenen zuzuwenden, und wollen f�r ihre sorgf�ltige Arbeit dauernd gelobt werden. Womit man immer rechnen muss, ist, dass der Rechtsmediziner eine Glatze hat und sein Br�tchen neben der Leiche isst. Und Frauen sind hier gar nicht erlaubt� Zugegeben, nicht alle Krimi- und Drehbuchautoren schreiben so gezielt an der Wahrheit vorbei, trotzdem haben nur sehr wenige Menschen au�erhalb der Rechtsmedizin eine Vorstellung davon, wie es im Obduktionssaal wirklich zugeht. Vor allem rei�erische TV-Serien, in denen das Unm�gliche m�glich gemacht wird und die rechtsmedizinischen Helden mit Hightech und an hellseherische F�higkeiten grenzendem Sp�rsinn den Tathergang rekonstruieren und den T�ter �berf�hren, verschleiern und verzerren die Arbeit des Rechtsmediziners eher, als�dass sie sie erhellen. Da werden in wenigen Stunden ganz neue wissenschaftliche Methoden entwickelt, und es werden Thesen vertreten, bei denen sich dem professionellen Rechtsmediziner die Haare str�uben. All das kennen Sie m�glicherweise schon sehr gut, sonst h�tten Sie vielleicht dieses Buch gar nicht gekauft. Die Welt hingegen, in die ich Sie entf�hren werde, ist nicht die Welt der Fernsehserien. Rechtsmediziner sind keine durchgestylten Schn�sel in Designeranz�gen, die mehr Zeit beim Essen mit attraktiven Staatsanw�ltinnen verbringen als bei ihrer Arbeit. Und eine Schusswaffe tragen wir auch nicht mit uns herum. Wir sind auch keine kauzig zur�ckgezogenen, graugesichtigen Eigenbr�tler, die selbst schon wie Leichen aussehen. Im Gegenteil: Auch wenn wir mit Toten zu tun haben, sind wir �u�erst lebendig und haben Spa� am Leben, gerade weil wir tagt�glich mit der Allgegenwart des Todes konfrontiert werden und daher nur allzu gut wissen, wie schnell das Leben pl�tzlich vorbei sein kann. Deshalb halte ich es f�r sinnvoll, hier zun�chst einmal die grundlegenden Dinge unserer Arbeit und unseres Arbeitsalltags vorzustellen, bevor ich zu den einzelnen Todesf�llen komme. Als Erstes und Wichtigstes: Ich bin kein Pathologe! Tats�chlich werden wir Rechtsmediziner in den meisten Fernsehkrimis als �Pathologen� tituliert. Dabei haben Rechtsmediziner und Pathologen zwei vollkommen unterschiedliche Facharztausbildungen mit ebenso unterschiedlichen Aufgabengebieten. Pathologen �berpr�fen klinische Diagnosen und ben�tigen f�r die Durchf�hrung einer Obduktion das Einverst�ndnis der Angeh�rigen des Verstorbenen. Sie besch�ftigen sich mit Todesf�llen, die Folge innerer Erkrankungen sind, wie z. B. Diabetes oder ein fortgeschrittenes Krebsleiden. Der Rechtsmediziner besch�ftigt sich hingegen �berwiegend mit nicht-nat�rlichen, eben nicht krankheitsbedingten Todesf�llen. Und wir ben�tigen auch kein Einverst�ndnis der Angeh�rigen���was sicher einleuchtend ist, denn bei sehr vielen Verbrechen stammt der T�ter aus dem direkten, h�ufig famili�ren Umfeld des Get�teten. In unserem Fall wird die Obduktion von einem Richter oder Staatsanwalt angeordnet, und der Verstorbene wird erst an die Angeh�rigen bzw. das von ihnen beauftragte Bestattungsunternehmen �bergeben, wenn seitens der Rechtsmedizin keine Bedenken mehr bestehen. Der Obduktionssaal ist auch mitnichten ein schummeriges Kellergew�lbe, in dem nur wenige Lampen brennen und in dessen Mitte, wie ein Altar, der Sektionstisch mit der Leiche steht, genauso wenig wie wir Rechtsmediziner blasse Gestalten mit gro�en Hornbrillen sind, die tagelang in gekachelten R�umen an der gleichen Leiche herumdoktern. In unserem Sektionssaal in Berlin-Moabit stehen f�nf Sektionstische nebeneinander, an denen auch fast immer parallel gearbeitet wird. Das Licht ist genauso hell wie im Operationssaal eines Krankenhauses���sonst w�rde man n�mlich nicht genug sehen!��, und es arbeitet nicht nur ein Mediziner an einer Leiche, sondern immer ein ganzes Team: neben dem zust�ndigen Rechtsmediziner�ein weiterer Arzt, ein oder zwei Sektionsassistenten, mehrere Medizinstudenten, die ihr Praktikum in der Rechtsmedizin machen, und meist auch ein oder zwei Gast�rzte aus anderen L�ndern, die die Berliner Rechtsmedizin besuchen, um von uns zu lernen. Bei mutma�lichen Mordf�llen stehen auch die diensthabende Staatsanw�ltin oder der Staatsanwalt dabei und auch die Kollegen von der Kripo: Ermittler, Polizeifotografen sowie Techniker von der Spurensicherung bzw. Kriminaltechnik. Au�enstehende, wie Leute von der Presse und anderen Medien oder Buchautoren, die die Erlaubnis erhalten, einige Stunden oder manchmal auch Tage in der Rechtsmedizin zuzusehen, wundern sich stets vor allem �ber die normale und gel�ste Arbeitsatmosph�re: Bei uns und �berall sonst in den rechtsmedizinischen Instituten wird geredet und gescherzt wie an anderen Arbeitspl�tzen auch. Die meisten f�hlen sich bei uns im Sektionssaal an eine Werkstatt erinnert, in der verschiedene Leute einander zuarbeiten���und genau so ist es auch. Was Laien ebenso wundert: Viele Prozesse laufen parallel ab und nicht nacheinander. W�hrend einer der �rzte Bauch- und Brusth�hle �ffnet, s�gt ein Sektionsassistent die Sch�deldecke auf. Letzteres geschieht oft schon w�hrend der Leichenschau. Entnommene Organe werden sofort auf dem �Organtisch����einem kleinen Metalltisch oberhalb des Sektionstisches���untersucht. Dadurch, dass zugleich an f�nf Obduktionstischen gearbeitet wird, kommt es vor, dass man pl�tzlich vom L�rm einer S�ge �bert�nt wird, wenn man auf Band�spricht oder sich mit einem Kollegen verst�ndigt. Dann muss man eben lauter sprechen oder etwas zweimal sagen. Und Assistenten, die gerade an ihrem Tisch nicht gebraucht werden, sehen sich bei den Kollegen um, weil es immer etwas Neues zu lernen gibt. �brigens: Ungef�hr die H�lfte unseres Teams ist weiblich.Von einem M�nnerberuf kann hier also keine Rede sein. Jede einzelne Obduktion folgt in der Rechtsmedizin einem klar geregelten Ablauf und wird grunds�tzlich zu zweit durchgef�hrt. Das ist in der Strafprozessordnung so festgelegt, denn bekanntlich sehen vier Augen mehr als zwei. Zun�chst wird der Zustand der Leiche nur oberfl�chlich begutachtet. Oberfl�chlich hei�t hier: ohne die Leiche oder Teile derselben zu �ffnen. Diese erste, sehr wohl eingehende und detaillierte Betrachtung nennt man ��u�ere Leichenschau�. Alle Befunde, die sich dabei ergeben, spricht der Rechtsmediziner f�r das schriftliche Obduktionsprotokoll in ein Diktierger�t. Nach der Leichenschau folgt die eigentliche Obduktion, auch als �innere Leichenschau� bezeichnet. Immer wieder werden meine Kollegen und ich gefragt, was eigentlich der Unterschied zwischen�Obduktion, Autopsie�und�Sektion�ist. Alle lesen oder sehen Krimis, und es gibt die wildesten Theorien �ber m�gliche Unterschiede. Die Antwort ist: Es gibt keinen. Die verschiedenen Begriffe werden l�ngst synonym gebraucht, auch wenn sie aus verschiedenen Aspekten der rechtsmedizinischen Untersuchung entstanden sind: Obduktion�ist vom lateinischen�obducere�abgeleitet, was so viel bedeutet wie �nachtr�glich hinzuziehen�. Etymologisch gesehen ist die Obduktion also die �berpr�fung der vermuteten Todesursache. Herkunft des Wortes Sektion ist das ebenfalls lateinische�secare:�schneiden. Autopsie ist griechisch und hei�t so viel wie �eigener Augenschein�, von�autos =�selbst und�opsis =�sehen. Gem�� � 89 StPO m�ssen bei der gerichtlich angeordneten Obduktion alle drei K�rperh�hlen des Verstorbenen ge�ffnet werden: Brusth�hle, Bauchh�hle und Kopfh�hle. Brust- und Bauchh�hle k�nnen unterschiedlich ge�ffnet werden. In den USA und auch in den meisten deutschen Instituten wird bei M�nnern der ber�hmte �Y-Schnitt� gemacht: zwei Schnitte von den Schultern zum oberen Ende des Brustbeins und dann von hier hinunter bis zum Becken. Weibliche Leichen �ffnet man auch mit dem sogenannten �U-Schnitt�, der vom Schl�sselbein rechts und links U-f�rmig bis zum Bauch l�uft. Beide Schnitte werden deshalb so vorgenommen, damit ein Leichenhemd die N�hte verdecken kann, wenn die Leiche aufgebahrt wird. Da nicht nur �normale� Frauenbekleidung gelegentlich tiefer dekolletiert ist, sondern Leichenhemden f�r Damen meist ebenso, wird bei Frauen eben manchmal der U-Schnitt angewandt, durch dessen Form man selbst bei einem tiefen Ausschnitt keine Naht sieht. In Berlin allerdings werden die meisten Leichen nirgendwo aufgebahrt, daher begn�gen wir uns mit einem senkrechten Schnitt vom Hals bis zur H�fte. Dann klappen wir die Hautpartien inklusive des darunterliegenden Unterhautfettgewebes auseinander, durchtrennen�und entfernen die Rippen und das Brustbein, um schlie�lich Herz und Lunge entnehmen zu k�nnen. Beim Kopf wird die Kopfhaut aufgeschnitten und���wie beim Skalpieren����ber das Gesicht des Toten gezogen, damit der Sch�delknochen freiliegt. Dann s�gen wir den Sch�del auf und entnehmen das Gehirn. Der Sch�del wird mit einer �Oszillationss�ge� aufges�gt, �hnlich einer Kreiss�ge, die sich allerdings nicht dreht, sondern mit hoher Geschwindigkeit hin und her schwingt (von lat.�oscillare =�schwingen) und dadurch sehr viel effektiver ist als z. B. eine echte Kreiss�ge oder eine Stichs�ge. Alle inneren Organe aus Kopf-, Brust- und Bauchh�hle werden auf Erkrankungen, die schon vor dem Tode bestanden, und Zeichen von Gewalteinwirkung untersucht. Dabei entnehmen wir auch Gewebe- und Blutproben, die bei uns Rechtsmedizinern �Asservate� hei�en (von lat.�asservare�= verwahren) und entsprechend den Vorgaben der Strafprozessordnung quasi �sichergestellt� werden. Diese Gewebeteilchen oder Blutproben geben wir bei entsprechendem Verdacht in die Toxikologie, wo sie weiter untersucht werden. Die Kollegen dort �berpr�fen sie auf R�ckst�nde von Medikamenten, Drogen oder anderen Giften. Die Gewebeteilchen werden auch unter dem Mikroskop gepr�ft und Blut oder Gewebeproben f�r eventuelle DNA-Analysen zur�ckgehalten. Alle Asservate werden, bis das jeweilige Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, in einem speziell gesicherten Raum, der Asservatenkammer, verwahrt. Je nachdem, um welches Gewebe es sich handelt und wie es weiter untersucht werden soll, werden�die Gewebeproben entweder gek�hlt, tiefgefroren, luftgetrocknet und dann steril verpackt oder in Alkohol oder Formalinl�sung aufbewahrt. Wenn es nach Abschluss der Obduktion noch Fragen vonseiten der Kripo oder Staatsanwaltschaft gibt, k�nnen wir auf diese Asservate zur�ckgreifen, um weitere Analysen vorzunehmen, z.B. um nach bestimmten Giften zu suchen. Die sezierten Organe werden am Ende wieder in den Leichnam zur�ckgelegt, die Leiche wird von der Sektionsassistentin oder dem Sektionsassistenten zugen�ht und dann erdbestattet oder einge�schert. Das Tonband, auf dem die Beobachtungen und Befunde w�hrend der Obduktion diktiert worden sind, wird zur Ermittlungsakte gegeben, eine Sekret�rin des Instituts verfasst daraus einen Bericht und f�gt diesen wiederum der Ermittlungsakte bei. Danach geht die Akte an die Staatsanwaltschaft. Und wie lange dauert nun eine solche Obduktion? Wenn wir auf der Stra�e eine Umfrage zu dem Thema starten w�rden, erhielten wir wohl h�ufig die Antwort: �Ein paar Tage.� Auch das haben wir den Krimiautoren zu verdanken, die Leichen unbedachterweise halbe oder ganze Wochen in der Rechtsmedizin herumliegen lassen, je nachdem, wie lange der Hauptkommissar oder Detective f�r seine Ermittlungen braucht. Dieser steht dann bleich in der Ecke oder, wenn er hartgesotten ist, direkt neben dem Rechtsmediziner, der sich �ber die Aufmerksamkeit freut und neben der Leiche Reden schwingt, als halte er eine Lehrstunde ab.�Das sieht dann aus, als w�re der Tote �ber Tage hinweg ein st�ndiger Begleiter des Rechtsmediziners und als w�rde der ihn immer wieder aufs Neue �ffnen, um nach anderen Details zu fahnden. In Wahrheit dauert eine Obduktion im Durchschnitt zwei bis drei Stunden. Je nach Todesursache oder Komplexit�t des vorangegangenen Verbrechens kann eine Obduktion schneller beendet sein oder l�nger dauern. So sind manche Obduktionen nach anderthalb Stunden beendet, w�hrend die l�ngste Obduktion, die ich bisher durchgef�hrt habe, fast 16 Stunden dauerte. Der T�ter hatte hier ein achtj�hriges M�dchen verschleppt, entkleidet, sexuell missbraucht und danach wieder angekleidet. Irgendwann innerhalb dieser Zeitspanne war das M�dchen get�tet worden. Bevor wir mit der eigentlichen Obduktion, also der �ffnung der K�rperh�hle anfangen konnten, mussten wir zun�chst einmal jede Kleidungsschicht entfernen und analysieren, gemeinsam mit den Kriminaltechnikern Faser- und Gewebespuren asservieren, um auch hier den Tathergang genau rekonstruieren zu k�nnen und dabei���das ist in solchen F�llen das Wichtigste!���DNA-taugliches Material des T�ters nachzuweisen, mit dem wir ihn schlie�lich auch �berf�hren konnten. Eins kann ich Ihnen nur sehr indirekt vermitteln: den Geruch einer Leiche. Ich selbst nehme diesen Geruch kaum noch wahr, und Sie sind vermutlich dankbar, beim Lesen keine Bekanntschaft damit zu machen. Dennoch geh�rt er zu meinem Berufsalltag dazu, weshalb ich ihn den interessierten Lesern nicht vorenthalten mag: Denken Sie an ein Steak, dessen �berreste Sie im Sommer in den M�lleimer geworfen haben. Nach drei Wochen kommen Sie erholt und gut gebr�unt aus dem Urlaub zur�ck und stellen fest, dass Sie vergessen haben, den M�lleimer auszuleeren. Sie m�ssen es nicht ausprobieren, aber so in etwa k�nnen Sie sich den Geruch vorstellen. Der schlimmste Geruch kommt �brigens von Wasserleichen. Nehmen Sie statt des Steaks einen Fisch und lassen Sie ihn statt der drei einfach vier Wochen oder l�nger im M�lleimer� Zu guter Letzt m�chte ich an dieser Stelle einem weitverbreiteten Irrglauben entgegenwirken, auch wenn ich wohl keine Chance habe, ihn aus den K�pfen der Krimileser, Fernsehzuschauer und Kinog�nger zu verbannen. Zu viele Roman- und Drehbuchautoren f�ttern zu hartn�ckig das beliebteste Ger�cht der Rechtsmedizin: dass Leichen von ihren Angeh�rigen in den R�umen der Rechtsmedizin identifiziert werden. Wir alle kennen das Bild, wie Frau oder Mann, Tochter oder Sohn, Mutter oder Vater eines Toten vor der Bahre mit der verdeckten Leiche steht und nach der Enth�llung des Gesichts in Schluchzen ausbricht oder erleichtert aufseufzt. Oder einfach stumm nickt. Doch seit ich als Rechtsmediziner t�tig bin, bekam ich noch niemals Besuch von Hinterbliebenen. Bevor wir den Angeh�rigen in die Leichenhalle bitten und ihm den Anblick der Leiche zumuten, die f�r ihn fr�her einmal ein geliebter, lebenslustiger Mensch war, machen wir lieber ordentlich unsere Arbeit. Die F�lle Das Skelett auf der R�ckbank Die Szenerie wirkte wie aus einem Actionfilm, aber ich sa� nicht im Kino oder vor dem Fernseher, sondern fuhr in meinem Wagen auf den Tatort zu, zu dem ich wenige Minuten zuvor gerufen worden war. Schon aus drei Kilometern Entfernung hatte ich die Rauchwolke am Himmel erblickt. W�hrend ich mich nun der Stra�ensperre n�herte, standen Einsatzwagen der Feuerwehr und der Polizei auf dem Seitenstreifen der Landstra�e, ein Krankenwagen hatte das Blaulicht noch angeschaltet. Polizeibeamte sprachen in Funkger�te, und Kriminaltechniker in Papieranz�gen liefen gesch�ftig mit ihren Asservatenkoffern hin und her. Ich ging zum Kommissar, der neben dem Hauptobjekt des Interesses stand: einem verkohlten Fahrzeugwrack, das aussah, als wollte es jeden Moment in sich zusammenfallen. Hier, auf der Landstra�e zwischen Dunsdorf und Aalsfeld, war der Wagen in voller Fahrt explodiert und anschlie�end von den Flammen regelrecht verzehrt worden. Wir Rechtsmediziner werden nur an den Tatort gerufen, wenn der dringende Verdacht eines nicht-nat�rlichen Todes���also eines Mordes, Suizids oder Unfalls���besteht und zur Rekonstruktion des Tathergangs auch rechtsmedizinisches Know-how erforderlich ist. Beispielsweise�werden wir gerufen, um vor Ort festzustellen, ob ein gewaltsamer Tod zu einem Tatwerkzeug passt, das am Tatort hinterlassen wurde, oder ob ein Sturz von der Treppe tats�chlich stattgefunden hat oder fingiert war. Ich hatte bereits kurz mit dem Kommissar telefoniert. Damit ich mir am Ort des Geschehens ein klareres Bild machen kann, beschaffe ich mir nach M�glichkeit schon vorher detaillierte Informationen. Laut Kripo hatten Augenzeugen berichtet, dass der fahrende Wagen von einer f�rchterlichen Explosion ersch�ttert worden sei, alle Scheiben seien zerborsten, Wrackteile meterweit durch die Luft geflogen. Erst f�nfzig Meter vom Explosionsort entfernt sei der Wagen schlie�lich auf der Gegenfahrbahn zum Stehen gekommen, wo er dann vollst�ndig ausbrannte. Ein Landwirt war dem Kommissar zufolge sofort zum Unfallort gerannt, um zu helfen. Doch wegen der Hitze der Flammen hatte er sich dem Auto nicht n�hern k�nnen. Er hatte dann die Polizei gerufen, und die verst�ndigte wiederum Notarzt und Feuerwehr. Jetzt stand der Landwirt neben dem zust�ndigen Ermittler und sch�ttelte ungl�ubig den Kopf: �Dass ein Auto derma�en brennen kann�, brachte er seine Fassungslosigkeit zum Ausdruck. Das Fahrzeug, das halb auf der Fahrbahn und halb auf dem Gr�nstreifen neben der Stra�e zum Stehen gekommen war, war so zerst�rt, dass ich nicht einmal erkennen konnte, was f�r ein Auto es einmal gewesen war. Alle T�ren waren aufgerissen, alle Fensterscheiben zerborsten, die Motorhaube stand weit offen. Teile des�Motors waren durch die Druckwelle herausgeflogen und lagen gleich metallenen Innereien auf der Stra�e. Ein stechender Gestank von Rauch, Benzin und verbranntem Plastik lag in der Luft, vermischt mit dem Geruch des L�schschaums. Die Hitze, die die Explosion verursacht hatte, war so gro� gewesen, dass das Fahrzeugunterteil teilweise und die Reifen komplett mit dem Teerbelag der Stra�e verschmolzen waren. �Und jetzt werfen Sie mal einen Blick auf die R�ckbank�, sagte der Mann von der Kripo schlie�lich zu mir. Bei�ender Qualmgeruch auch hier, die Polsterauflagen der Sitze und die Kunststoffteile der Kabinenverkleidung waren fast vollst�ndig vom Feuer vernichtet worden. Und auf der R�ckbank lag r�cklings ein verbrannter Leichnam. Er war zu weiten Teilen von den Flammen skelettiert worden. Arme und Beine waren wie bei einem F�tus angewinkelt, als h�tte sich das Todesopfer auf diese Weise vor den Flammen sch�tzen wollen. Doch vor solchen Flammen kann einen keine K�rperhaltung sch�tzen. Die Explosion und das Feuer waren mit solch vernichtender Kraft �ber das Opfer hinweggefegt, dass selbst die Schneidez�hne im Kiefer verbrannt waren. Am Sch�deldach waren Knochen abgesplittert, und aus der Sch�delh�hle trat angekohltes Hirngewebe hervor. Das alles war ein ungew�hnlicher und wenig sch�ner Anblick. Aber wodurch die Sache regelrecht unheimlich wurde: Das Skelett auf der R�ckbank war der einzige Insasse des Fahrzeugs. Fahrer- und Beifahrersitz waren leer. Kein Fahrer, kein Beifahrer. Die Ermittler standen vor einem R�tsel, und�schon am Tatort wurde heftig �ber den m�glichen Tathergang spekuliert. �Da kann kein anderer mehr dringesessen haben�, sagte der leitende Ermittler. �Wie soll denn der noch rausgekommen sein?� �Da muss noch jemand drin gewesen sein�, hielt ein Kriminaltechniker dagegen. �Wer soll denn sonst den Wagen gefahren haben?� Hatte der Fahrer das Auto kurz vor dem Unfall verlassen? Aber wie? Er h�tte w�hrend der Fahrt aus dem Wagen springen m�ssen, und der Landwirt und andere Augenzeugen der Explosion hatten nichts dergleichen beobachtet. Auch die Einsatzkr�fte der Polizei, die die Landstra�e gesperrt und die Umgebung abgesucht hatten, hatten nur Glassplitter und zerrissene Reste des Airbags gefunden, die w�hrend der Explosion aus dem Auto geschleudert worden waren. Und die verbrannte Person hatte das Auto sicher nicht von der R�ckbank aus gesteuert. Was die Sache erschwerte: Wegen der Explosion und des anschlie�enden Brandes konnten weder der Halter noch das Fabrikat des Pkw ohne weiteres identifiziert werden. �Es k�nnte ein Audi sein, bin mir aber nicht sicher�, hatte der Kommissar gesagt. Die zentrale Frage lautete: Warum war der Wagen explodiert? Doch solange es keinen Hinweis auf die Identit�t des Toten gab, fehlte den Ermittlern ein wesentlicher Ansatzpunkt f�r ihre Arbeit. Umso mehr war nun die Rechtsmedizin gefragt. In F�llen wie diesem, bei denen man nicht genau sagen kann, ob es sich um ein Gewaltverbrechen handelt, kommen wir ins Spiel. Meist l�uft es so, dass die Kripo im Institut anruft und sich gleichzeitig die Genehmigung zur Obduktion vom Staatsanwalt einholt. Die Kriminaltechniker machten sich inzwischen daran, die Leiche aus dem Wagen zu heben. Das war keine leichte Aufgabe, da die Reste von Muskulatur und Gewebe mit den Resten des Kunststoffs der R�ckbankpolsterung verschmolzen waren. Als ich wenig sp�ter wieder im Institut eintraf, lag bereits das Fax von der Staatsanwaltschaft mit der Obduktionsanordnung auf meinem Schreibtisch. Wer war der Tote? Und wem geh�rte das Auto? Zu beiden Fragen gab es noch keine Antwort, geschweige denn zum Tathergang selbst. Ja, wir wussten nicht einmal, ob es sich �berhaupt um eine �Tat� handelte, sei es im Sinne eines Verbrechens oder eines Suizids. Bei einem Unfall sprechen wir von �Geschehenshergang�. In jedem Falle blieb uns nichts anderes �brig, als systematisch und Schritt f�r Schritt die �u�ere Leichenschau und Obduktion durchzuf�hren���und zu hoffen, dass Kripo und Spurensicherung ihren Teil herausfinden w�rden. Nur war eben das, was wir zu obduzieren hatten, eher ein Skelett als eine Leiche. �Man kann nicht mal mehr erkennen, ob das ein Mann oder eine Frau war�, sagte eine �rztin unseres Obduktionsteams, bevor wir mit der Leichenschau begannen. In der Tat hatte das Feuer jegliche Geschlechtsmerkmale unkenntlich gemacht, der K�rper war nur noch ein Ger�st aus versengten Knochen, �ber dem sich faseriges, verkohltes�Fleisch und einige Stoffreste der Kleidung wie ein bizarrer Flickenteppich ausbreiteten. Auch ich selbst hatte selten eine derart zerst�rte Leiche gesehen. Das gesamte Fettgewebe und die Muskeln waren verbrannt. Das war nicht weiter verwunderlich: Menschliches Fett besteht aus �ligen Komponenten, die bei entsprechend hohen Temperaturen sehr gut brennen. Das Weichgewebe, also Haut, Unterhaut- und K�rperfettgewebe, war so gut wie nicht mehr vorhanden, und die verkohlten Gewebereste hingen in unterschiedlich breiten Fasern von den verbrannten Knochen herunter. Wenn fast alles Gewebe verbrannt ist, kann man keine R�ckschl�sse mehr auf den K�rperbau des Todesopfers ziehen. Deshalb konnten wir auch nicht feststellen, ob er oder sie zu Lebzeiten durchschnittlich viel gewogen oder an Unterern�hrung oder �bergewicht gelitten hatte. K�rperl�nge und Gewicht waren nicht mehr zu rekonstruieren. Sind bei einer Leiche mehrere Extremit�ten abgerissen, schauen wir uns diese bei der Leichenschau zuerst an. Oft kann man so erste Hinweise darauf erhalten, wie jemand zu Tode gekommen ist. Ansonsten gehen wir bei einer Leichenschau immer von oben nach unten vor: Wir fangen mit dem Kopf an und untersuchen zuletzt die F��e. Bei der Person vor uns war der rechte Unterarm abgerissen. In einem solchen Fall sprechen wir von einer �traumatischen Amputation�.�Traumatisch�hei�t in diesem Zusammenhang nichts anderes als: durch Gewalteinwirkung. Elle und Speiche, die beiden Knochen, die Hand- und�Oberarmknochen verbinden, waren vollst�ndig durchtrennt, der gesamte Bewegungsapparat des rechten Ellbogengelenkes���B�nder, Gelenkkapsel und Knorpel���war verbrannt. Das Gelenk lag frei: verru�te Knochen, zwischen denen verkohltes Gewebe klebte wie in der Sonne geschmolzenes Gummi. Auch das rechte Bein fehlte vom Oberschenkel abw�rts, dort, wo einmal das Kniegelenk gewesen war, sahen wir nur noch einen schwarzen Krater. �Traumatische Amputationen und Besch�digung der rechtsseitigen Extremit�ten�, diktierte ich f�r das Protokoll. Normalerweise���das hei�t bei allen Routinef�llen���diktiere ich den Gro�teil dessen, was ich bei der �u�eren Leichenschau und Obduktion feststelle, erst hinterher, manchmal sogar erst abends nach der Schicht im Sektionssaal. Hin und wieder notiere ich mir vor der n�chsten Leiche einige Details, um sie bis zum sp�teren Diktat nicht zu vergessen. In Zweifelsf�llen wie diesem jedoch liegt das Diktierger�t immer in Reichweite. Der federf�hrende Rechtsmediziner oder auch erste Obduzent spricht seine Beobachtungen auf Band, die Grundlage f�r den schriftlichen Bericht, und diese Aufzeichnung verwandelt das Sekretariat sp�ter in das Sektionsprotokoll, das anschlie�end vom ersten und zweiten Obduzenten gegengelesen und dann von beiden unterschrieben wird. Bei dem Toten vor uns konnte man kaum noch von Haut und Gewebe sprechen. Vor uns lag eine schwarzbraune, zerschmolzene, amorphe Masse, bei der nur der skelettierte Sch�del und die �berbleibsel von Armen und Beinen daran erinnerten, dass dies einmal ein Mensch gewesen war. Die Explosion hatte die Brust offensichtlich frontal erwischt, denn die Brusth�hle war aufgesprengt. Drei Rippen waren vom Feuer komplett zerst�rt worden, die anderen ragten zum Teil schwarz und verbogen aus dem Torso heraus wie die Planken eines verbrannten Schiffes. Wir konnten Lunge und Zwerchfell sehen, die auf ein Viertel ihrer Gr��e zusammengeschrumpft waren. Durch die Hitze hatte sich die Luft im Darm erw�rmt. Dadurch hatte sich in der Bauchh�hle ein derart hoher Druck aufgebaut, dass schlie�lich die Bauchdecke aufgeplatzt war. Teile des D�nndarms, angesengt und durch die Hitze zusammengeschrumpft, waren aus der Wunde hervorgequollen und verteilten sich schwarz und gekr�uselt �ber den Unterleib. Als wir die Leiche auf den Sektionstisch transportiert hatten, hatten sie sich bewegt. �Wie Aale�, hatte einer der anwesenden Medizinstudenten gesagt und sich abgewandt. Hals und Kopf sahen nicht besser aus. Der gesamte Sch�del war wei�grau verf�rbt oder, wie der Rechtsmediziner sagt, �verascht�. Die Augenh�hlen waren leer���wie bei einem Totensch�del. Solche Augenh�hlen haben f�r mich immer etwas Vorwurfsvolles. Auch Ober- und Unterkiefer waren nur noch Ruinen aus Knochen. Mehrere Z�hne waren vollst�ndig verbrannt oder durch die gro�e Hitze br�ckelig geworden. Die Zunge hatte die Beschaffenheit von gekochtem Fleisch. Als wir die �u�ere Leichenschau beendet hatten und gerade mit der Obduktion beginnen wollten, winkte uns ein Mitarbeiter der Rechtsmedizin durch die Glasscheibe herbei, die den Sektionssaal von dem Korridor des Instituts trennt. Der zust�ndige Ermittler war gekommen und wartete in einem der B�ros. Solche Szenen kennt man ja aus dem �Tatort�: Ein aufgeregter Kommissar kommt in die Rechtsmedizin, in der Hoffnung, dort weitere Hinweise f�r seine Ermittlungen zu erhalten oder dem Rechtsmediziner oder der Rechtsmedizinerin zu sagen, worauf er oder sie bei der Obduktion besonders achten soll. Tats�chlich werden wir im Institut hin und wieder von dem zust�ndigen Ermittler besucht, sowohl aus dem einen wie aus dem anderen Grund. In den meisten F�llen allerdings erhalten wir Informationen oder Anfragen per Telefon oder schriftlich per E-Mail und Fax. Wir erfuhren nun vom Kommissar, dass die Kollegen von der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle (KTU) wegen des zerschmolzenen Metalls bisher nur den wahrscheinlichen Fahrzeugtyp���vermutlich ein Audi���hatten ermitteln k�nnen. Da die Oberfl�che des Metalls durch das Feuer so stark geschmolzen war, dass die Fahrzeugnummer nicht mehr zu entziffern war, musste eine exaktere Identifizierung des Wagens �ber ein langwierigeres technisches Verfahren vorgenommen werden. Viel entscheidender f�r unsere Arbeit aber war die Information, dass eine Frau aus Aalsfeld ihren Mann als vermisst gemeldet hatte. Der Kommissar umriss f�r uns die wichtigsten Punkte ihrer Aussage: Schon als die etwa 45-j�hrige Dora Klein die Feuerwehrsirenen geh�rt hatte, hatte sie bef�rchtet, dass dies mit ihrem Ehemann zusammenh�ngen k�nnte. Dieser hatte sich in letzter Zeit eigent�mlich benommen. Schon seit l�ngerem hatte es in der Ehe gekriselt, da ihr Mann Thomas ein Verh�ltnis mit der Frau seines besten Freundes angefangen hatte. Nach h�ufigen Streitereien und Gespr�chen mit seiner Frau hatte Thomas Klein sein Fehlverhalten eingesehen und seit einiger Zeit bei Freunden im Nachbarhaus gelebt, um Abstand zu gewinnen. �Ich bin ein Schwein�, hatte er angeblich seiner Frau gegen�ber erkl�rt. Auf die Aussage der Frau hin hatte die Kripo zwei Beamte losgeschickt, um auch den Sohn, Nicolas Klein, zu befragen. Und der hatte ausgesagt, dass sein Vater sich von ihm am Vorabend �auf seltsame Weise verabschiedet� habe: �Du kannst alles behalten. Ich gehe jetzt weg.� Im Anschluss an diese Worte habe er seinen Sohn in den Arm genommen, �ich habe dich lieb� gesagt und das Zimmer verlassen. Dass er sich das Leben nehmen wolle, hatten jedoch weder Frau noch Sohn vermutet. Obwohl es nat�rlich keinerlei Beweis gab, dass diese Geschichte mit unserem Fall zusammenhing, waren die Aussagen f�r uns Grund genug, bei der Obduktion verst�rkt nach Hinweisen f�r einen Suizid zu suchen. In der Rechtsmedizin sprechen wir �brigens grunds�tzlich von �Suizid�, niemals von �Selbstmord�, denn juristisch gesehen ist der Begriff Selbstmord ein Widerspruch in sich. Um nach der juristischen Definition die Voraussetzung daf�r zu erf�llen, ein M�rder zu sein,�muss der T�ter nach � 211 des deutschen Strafgesetzbuches aus den Motiven�Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier�oder aus�sonstigen niederen Beweggr�nden�handeln. Solche Motive wird man einem Lebensm�den wohl kaum unterstellen k�nnen. Wer sich selbst t�tet, tut dies nicht, um anderen Menschen zu schaden, sondern weil er keinen Ausweg mehr aus einer scheinbar hoffnungslosen Situation sieht. Entsprechend hei�t jemand, der sich das Leben genommen hat, bei uns Rechtsmedizinern nicht Selbstm�rder, sondern Suizident. Anders sieht die Sache bei dem sogenannten Selbstmordattent�ter aus, da es diesem prim�r darum geht, eine gro�e Anzahl an Menschen zu t�ten, und er seinen eigenen Tod nur billigend in Kauf nimmt. Er gilt auch juristisch gesehen als M�rder. Dass jemand ausgerechnet an einem sommerlichen Fr�hlingstag Suizid begeht, mag einem psychisch gesunden Menschen erst einmal unwahrscheinlich vorkommen, doch die Statistik besagt, dass dies sogar der Normalfall ist. Der Grund ist einleuchtend: Gerade in der dunklen Jahreszeit f�llt Depressiven die Akzeptanz der eigenen �dunklen� Verfassung leichter als in den hellen Monaten. Auch die popul�re Meinung, dass sich die meisten Freitode in der Weihnachtszeit ereignen, ist ein �Winterm�rchen�. Stattdessen steigt im Fr�hjahr und Sommer die Zahl der Suizide deutlich an���mit Schwerpunkt in den Sommermonaten. Depressive Menschen sind besonders dann gef�hrdet, wenn das �berwiegend sonnige Wetter �berhaupt nicht ihrer eigenen inneren Gem�tsverfassung entspricht. Auch Morde und andere�Gewaltverbrechen finden signifikant h�ufiger in Fr�hjahr und Sommer statt, am allerwenigsten im Winter und w�hrend der Weihnachtsfeiertage. Die Ursachen hierf�r sind sicher komplizierter als beim Suizid. Falls Thomas Klein tats�chlich Suizid begangen hatte, musste er die Explosion selbst herbeigef�hrt haben. Also w�rden wir bei der Obduktion als Erstes darauf achten, ob der Mann zum Zeitpunkt der Explosion �berhaupt noch gelebt hatte. Als mein Messer durch den Rest des verkohlten Gewebes schnitt, sickerte tats�chlich noch etwas Blut aus den tieferen Gewebeschichten. Aus der ge�ffneten Brust- und Bauchh�hle drang neben dem Geruch nach verbranntem Fleisch noch ein anderer Geruch: Benzin. Das konnte darauf hinweisen, dass hier ein Brandbeschleuniger im Spiel gewesen war. Andererseits war der Benzintank des Autos ebenfalls explodiert, weshalb der Geruch auch daher stammen konnte. Wir gaben den Verdacht �Fraglicher Einsatz von Brandbeschleuniger� an die Spurensicherung weiter. F�r die m�gliche Identifizierung �ber ein Zahnschema entnahm der Sektionsassistent den Ober- und Unterkiefer des Toten. Ich durchtrennte w�hrenddessen mit einer sogenannten �Rippenschere� die Rippen, um an Herz und Lunge zu gelangen. Die Rippenschere sieht �brigens aus wie eine Mischung aus einer Gefl�gelschere, mit der man zu Weihnachten die Gans bearbeitet, und einer herk�mmlichen Heckenschere. Ich entnahm Lunge, Luftr�hre und Bronchien, denn an diesen Organen w�rde ich erkennen k�nnen, ob das�Opfer zum Explosionszeitpunkt noch gelebt hatte oder nicht. Alle Organe waren durch die Hitze zusammengeschrumpft und hatten eine gummiartige Konsistenz. Ich schnitt Luftr�hre und Bronchien mit einer Schere auf. Die Schleimh�ute der Atemwege waren vollst�ndig mit Ru� belegt, und auch in der Speiser�hre fanden wir verschluckte Ru�partikel. Dadurch stand fest, dass die Person, mit der wir es hier zu tun hatten, durch die Explosion und das Feuer gestorben war. Im Fachjargon hei�t das kurz und pr�gnant: �Explosionstrauma in Kombination mit Brandeinwirkung zu Lebzeiten�. W�re der Mann w�hrend des Feuers bereits tot gewesen, h�tten wir keine Ru�ablagerungen in den Bronchien oder der Speiser�hre entdeckt. Der Rechtsmediziner spricht bei solchen Merkmalen von �Vitalit�tszeichen�, da sie Beweis daf�r sind, dass das Opfer zum Zeitpunkt einer �u�eren Gewalteinwirkung, in diesem Fall dem Feuer, noch gelebt hat. Ru�partikel und Benzingeruch passten zu der Annahme, dass die Person auf der R�ckbank die Explosion auf irgendeine Weise selbst herbeigef�hrt hatte, m�glicherweise mit Hilfe von Brandbeschleunigern. Nur wie? Diese Frage allerdings mussten andere beantworten, denn nachdem wir auch noch alle weiteren Organe, oder zumindest das, was davon noch vorhanden war, untersucht hatten und ich anhand von Ober- und Unterkiefer des Toten das Zahnschema f�r die Identifizierung erstellt hatte, war unsere Arbeit an der Leiche beendet. Der Sektionsassistent packte das, was einmal ein Mensch gewesen war, in einen wei�en Leichensack, damit der Tisch f�r die n�chste Obduktion frei wurde. Was die Identifizierung unseres Toten anging, lie� das Zahnschema des vermissten Thomas Klein, das die Kripo von seinem behandelnden Zahnarzt angefordert hatte, auf sich warten. Wie wir sp�ter erfuhren, hatte Thomas Klein kurz zuvor den Zahnarzt gewechselt, und der war gerade im Urlaub. Es gab ein Zahnschema von Kleins fr�herem Zahnarzt, das allerdings zehn Jahre alt war und sich daher nicht f�r einen Abgleich zu Identifizierungszwecken eignete. W�hrend der Kommissar und die anderen Ermittler von der KTU sich um die Aufkl�rung des Falles bem�hten, wandten wir uns anderen Obduktionsaufgaben zu. Erst wenn das Zahnschema von Thomas Klein vorlag, w�rden wir den vorbereiteten Abgleich mit unserem Zahnschema vornehmen k�nnen. Der Fall konnte dann aber doch recht schnell abgeschlossen werden, und der Kommissar pers�nlich informierte uns �ber das Resultat der Ermittlungen. Die KTU hatte den Innenraum des Wagens untersucht und auf der Mittelkonsole des Autos, zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, ein Metallfeuerzeug mit aufgeklapptem Deckel gefunden. Auch hatten sie die Fahrgestellnummer im geschmolzenen Metall herausfinden k�nnen. Fahrgestellnummern werden ebenso wie Seriennummern auf Schusswaffen in das Metall�eingeschlagen�und sind dadurch nicht nur in die Oberfl�che, sondern auch noch in die tieferen Schichten des Materials gepr�gt. Durch S�ure l�sst sich die Metalloberfl�che abtragen und die Nummer in diesen tieferen Schichten sichtbar machen. Es gibt also Gr�nde, dass die Nummern eingeschlagen und nicht eingraviert werden. So k�nnen die Kriminaltechniker mit dem S�ureverfahren selbst eine vom T�ter abgeschliffene oder, wie in unserem Fall, eine in stark besch�digtem Metall verborgene Seriennummer identifizieren. Die Vermutung der Kripo war richtig, der Wagen war tats�chlich ein Audi, f�nft�rig, Baujahr 2000, zugelassen auf Thomas Klein. Die Ermittler der KTU hatten den Innenraum des Fahrzeugs au�erdem auf Brandbeschleuniger untersucht. In solchen F�llen werden Brandschuttproben in einem Gaschromatographen analysiert. Ein solcher Chromatograph ist etwa so gro� wie eine mittlere K�hltruhe und trennt verschiedene Substanzen voneinander, wie z. B. Gase, die sich in der Atemluft finden. Da unterschiedliche Stoffe unterschiedliche Siedepunkte haben, kann man sie auf diese Weise zeitlich versetzt und damit einzeln nachweisen. Die Untersuchung der Brandschuttproben aus dem Pkw im Gaschromatographen best�tigte uns eine hohe Konzentration von Benzin in der Luft im Inneren des Wagens. Benzinkonzentrationen von 0,6 bis 8 Volumenprozent gelten als explosionsf�hig. In unserem Fall lagen die Werte weit dar�ber. Entz�ndet man bei einer solchen Benzinkonzentration in der Luft die Flamme eines Feuerzeugs, kommt es zu einer gewaltigen Explosion. Die hohe Benzinkonzentration im Wagen, das ge�ffnete Feuerzeug auf der Mittelkonsole, die m�glichen Suizidabsichten von Thomas Klein���alles sprach daf�r, dass er den Wagen selbst gefahren und unterwegs ein�explosives Gemisch entz�ndet hatte. Also fuhr die Polizei noch einmal zu Familie Klein, um nachzufragen, ob er vielleicht irgendwelche brennbaren Fl�ssigkeiten in seinem Schuppen gelagert hatte, die nun fehlten. Schnell stellte sich heraus, dass in der Tat zwei F�nf-Liter-Kunststoffkanister nicht mehr an ihrem Platz standen. Beide waren nach Angaben der Ehefrau mit Benzin gef�llt gewesen. Die Rekonstruktion des Tathergangs lie� nur einen Schluss zu: Thomas Klein hatte die zwei offenen Benzinkanister in den Fu�raum des Beifahrersitzes gestellt. Als nach einigen Fahrminuten die Luft im Auto vollkommen von Benzingasen durchsetzt war, hatte er mit der rechten Hand das Feuerzeug entz�ndet und die Explosion ausgel�st���eine f�rchterliche Explosion. Denn im geschlossenen Innenraum eines Autos ist die Explosionswirkung sehr viel st�rker als auf einer offenen Fl�che. Thomas Klein wurde von der Druckwelle der Explosion, von den hei�en Detonationsgasen und den Flammen nicht nur einmal getroffen, wie dies z.B. bei einer Explosion auf freiem Feld der Fall gewesen w�re, sondern mehrfach hintereinander. Aufgrund der geschlossenen Fahrgastzelle wurde die Druckwelle der Explosion, die sogenannte�blast wave,immer wieder reflektiert und schlug so mit immer neuer Wucht wie ein brennendes Pendel durch das Wageninnere. Dies erkl�rte auch die massiven Verletzungen und traumatischen Amputationen der Extremit�ten. Durch die verst�rkte Wucht der Explosion wurden Thomas Klein der rechte Arm, mit dem er das Feuerzeug gehalten hatte, sowie Teile des rechten Beines abgerissen, w�hrend er�gleichzeitig von der Druckwelle vom Fahrersitz auf die R�ckbank geschleudert wurde. Das Feuer, das die Explosion entfachte und im Inneren des Wagens w�tete, lie� von ihm nicht viel mehr �brig als ein verkohltes Skelett. �Auto mitten auf der Stra�e explodiert�, lautete am n�chsten Tag eine der Schlagzeilen der Lokalpresse. Ich �berflog den Text. �Es gab einen gewaltigen Knall. Dann war alles nur noch ein einziger Feuerball��� Eine andere Zeitung brachte ein Foto, auf dem zu sehen war, wie Feuerwehr und Polizei das ausgebrannte Autowrack abtransportierten. Sie mussten das Auto mit Stemmeisen aus der Stra�e heraushebeln. Auf dem Pressebild war zu sehen, wie sich die Einsatzkr�fte sichtlich abm�hten, den Wagen vom Teer zu l�sen. �Selbst die Stra�e brannte�, hie� es dazu. Zwei Tage sp�ter traf endlich auch das neue, vollst�ndige Zahnschema von Thomas Klein per Fax im Institut ein. Wir brauchten keine Viertelstunde, um das Zahnschema mit dem unseres Skeletts von der R�ckbank zu vergleichen. Es best�tigte unsere Vermutungen und die Erkenntnisse der Polizei: Der Tote war eindeutig Thomas Klein. Er hatte das Benzin in seinem Auto versch�ttet, die offenen Kanister in den Fu�raum des Beifahrersitzes gestellt und dann die Explosion ausgel�st. Ich habe bei meiner Arbeit h�ufig mit Suiziden zu tun, doch eine derart extreme Form der Selbstt�tung war mir noch nicht untergekommen. Thomas Kleins Freitod war kein Hilferuf. Thomas Klein hatte kein anderes Ziel mehr gehabt, als diese Welt zu verlassen, so�schnell und so sicher wie m�glich. Seine Angst vor dem Leben muss um ein Vielfaches gr��er gewesen sein als seine Angst vor dem Tod. Eine Woche nachdem Thomas Klein sich selbst in die Luft gesprengt hatte, bekam ich ein P�ckchen von der KTU. Darin lagen ein Zettel und ein kleiner Gegenstand aus Messing, das Metall an einigen Stellen geschmolzen und geschw�rzt: ein Zippo-Benzinfeuerzeug. In das Metall war gerade noch lesbar der Name �Thomas� eingraviert. Ich schaute auf den Zettel des KTU-Mannes, mit dem ich bei meiner Arbeit oft zu tun hatte. Unter der �berschrift �Vermerk� stand dort: �Beigef�gtes Feuerzeug ist wirklich das Original, mit dem sich die Person entz�ndet hat. Viele Gr��e, Dein Martin.� Unter die R�der gekommen Ein Brieftr�ger auf seinem Fahrrad hatte den Toten am Fu�e eines kleinen Abhanges entdeckt. Was er sah, nahm ihn so mit, dass er sich in psychologische Behandlung begab und geraume Zeit nicht mehr arbeiten konnte. Der Verstorbene sah aus, als k�me er direkt aus der H�lle: blut�berstr�mt, die Lederjacke in Fetzen vom K�rper h�ngend, seine Jeans fast v�llig zerrissen, Brandspuren an Haut und Kleidung. Und an Gesicht, K�rper, Knien und Fu�spitzen fehlten ganze Hautfetzen, so dass die blanken Knochen hervortraten. Aufgrund dieser Verletzungen bestand kein Zweifel daran, dass wir es nicht mit einem nat�rlichen Tod zu tun hatten. Schutzpolizei und Kripo waren sofort am Leichenfundort. Auch wenn sich zun�chst keiner eine Vorstellung davon machen konnte, wie dieser Mann zu Tode gekommen war, stand eines au�er Zweifel: Dies war ein Fall f�r die Rechtsmedizin. Ich habe selten einen Toten mit so vielen, so schweren und so unterschiedlichen Verletzungen gesehen: Auf den ersten Blick konnte man denken, jemand h�tte diesen Mann���denn um einen Mann handelte es sich, das war noch zu erkennen���mit einer Trennscheibe, einer Flex, einer Kreiss�ge oder einem gigantischen Hobel bearbeitet und gleichzeitig in Brand gesetzt.�Schuhe und Str�mpfe fehlten, und die F��e waren nur noch schmutzbedeckte Klumpen aus blutigem Fleisch, aus denen die schwarzen Knochenfragmente der Zehen ragten. Unter der zerrissenen Lederjacke �ffneten sich gro�fl�chige klaffende Wunden, die den Blick auf das verschmutze Unterhautfettgewebe freigaben. Wie an den F��en war auch hier an einigen Stellen die Haut wie verbrannt, zudem hatten sich Kies und Sand wie Schrotmunition in das Gewebe eingegraben. �Tiefe, mit Stra�enschmutz inkrustierte Schleifverletzungen der vorderen K�rperseite�, diktierte ich f�r das Sektionsprotokoll. Und: �Zeichen thermischer Einwirkung, �hnlich Verbrennungen dritten Grades, auf die linksseitige Brustkorbpartie und die Streckseite beider F��e.� Der gr��te Schock aber, sowohl f�r den Brieftr�ger als auch f�r den Polizeibeamten, war der Anblick von Gesicht und Hals des Mannes: Dort, wo sich vormals Kehlkopf und Gesicht befunden hatten, waren nur noch zwei gro�e schwarze klaffende L�cher. Rachen, Luft- und Speiser�hre lagen offen. Unterhalb des rechten Jochbeins waren Haut und Wangengewebe nicht mehr vorhanden, so dass man Unter- und Oberkiefer sehen konnte. �Rechtes Jochbein freiliegend, mehrfach frakturiert; teilweise wie abgeschliffen imponierend.� Auch wenn es f�r den Brieftr�ger nach einem bestialischen Mord ausgesehen hatte, war uns die Ursache dieses Verletzungsbildes schnell klar. Den massiven Verletzungen nach zu urteilen, war der Mann unter ein Auto oder einen Lkw geraten und dann von dem Fahrzeug, wahrscheinlich in voller Fahrt und l�ngere Zeit, mitgeschleift worden. Noch w�hrend der Tote von uns auf dem Obduktionstisch untersucht wurde, fanden die Beamten der Spurensicherung auf der Landstra�e in unmittelbarer N�he des Leichenfundortes Kleidungs- und Gewebereste. Es war ein Gl�ck f�r die Ermittler, dass es an diesem Tag nicht geregnet hatte, so waren die angetrockneten Blutspuren auf dem Asphalt nicht weggewaschen worden. Die Kriminaltechniker l�sten sie mit angefeuchteten Wattetupfern vom Stra�enbelag, um sie f�r die weitere Analyse im Labor zu sichern. Auch befanden sich unter den auf der Landstra�e gefundenen Kleidungsresten Teile der Lederjacke, die der Mann getragen hatte. Aus einer noch intakten, mit einem Rei�verschluss verschlossenen Innentasche zogen die Beamten ein Portemonnaie, das neben vierzig Euro in Scheinen und M�nzen auch einen Personalausweis und mehrere Kreditkarten enthielt���allesamt auf den Namen Bertram N�lle ausgestellt. Auch wenn die gefundenen Ausweispapiere die Identit�t des Toten nicht beweiskr�ftig belegten���da es kein Gesicht mehr gab, mit dem wir das Foto h�tten vergleichen k�nnen��, gab es eine erste Spur hinsichtlich der m�glichen Identit�t des Mannes. Und alles sprach daf�r, dass der Mann durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen war���sehr wahrscheinlich als Fu�g�nger, da weit und breit kein Motorrad oder Fahrrad gefunden wurde, das in den Unfall verwickelt gewesen sein k�nnte. Verletzungen, die bei Verkehrsunf�llen entstehen, sind mit wenigen Ausnahmen Folge der Einwirkung �stumpfer� oder sogenannter �halbscharfer� Gewalt. Stumpf nennt man Gewaltformen, die fl�chenhaft auf den K�rper einwirken, wie dies z.B. bei einem Sturz aus gro�er H�he geschieht oder durch Faustschl�ge und Fu�tritte bei einem �berfall oder einer Schl�gerei. Als halbscharf oder seltener auch �halbstumpf� bezeichnet man eine Kombination aus stumpfer und scharfkantiger Gewalt. Verletzungen durch halbscharfe Gewalteinwirkung sind im Gegensatz zu denen durch stumpfe weniger charakteristisch, aber daf�r sehr h�ufig t�dlich. Ist bei stumpfer Gewalteinwirkung (z.B. einem Faustschlag oder Fu�tritt) die Krafteinwirkung gering, so bleibt nur ein �H�matom� (Bluterguss) als Verletzung zur�ck. Bei gro�fl�chiger, wuchtiger, d.h. sehr starker Einwirkung durch stumpfe Gewalt, zum Beispiel bei der Kollision einer Person mit dem K�hlergrill eines fahrenden Lkw, beim �berrollen einer Person durch ein Fahrzeug oder bei einem Sturz aus zehn oder mehr Metern H�he, kommt es in der Regel zu einem Polytrauma. So nennt man die Kombination schwerster, gleichzeitig entstandener Verletzungen, meist in verschiedenen K�rperregionen und an unterschiedlichen Organsystemen. Wenn lebenswichtige innere Organe wie Herz oder Lunge zerrei�en, tritt der Tod in der Regel sofort�oder innerhalb weniger Minuten nach dem Polytrauma ein, auch sofortige �rztliche Hilfe kann den Betroffenen meist nicht mehr retten. H�ufigste Ursachen eines Polytraumas sind in Deutschland Verkehrsunf�lle und St�rze aus gro�er H�he. Bei der Obduktion stellten wir anhand der Schleifverletzungen an Gesicht, Knien und F��en fest, dass das Mitschleifen des Opfers vom Kopf zu den F��en hin erfolgt war. Dies zeigte sich anhand der Richtung der Oberhautabschilferung im Bereich nicht v�llig zerst�rter Hautpartien: Die oberste Hautschicht hatte sich in Richtung der F��e hin abgeschilfert, was daf�r sprach, dass der Mann sich zum Zeitpunkt des Mitschleifens mit Kopf und Oberk�rper im Bereich der Frontpartie des Fahrzeugs unter dem Chassis befand. Dass er mit hoher Geschwindigkeit �ber den Asphalt der Stra�e geschleift worden sein musste, wurde durch die Zeichen thermischer Einwirkungen belegt: Die Verletzungen �hnelten Verbrennungen dritten Grades���entsprechend der alten Schulweisheit aus dem Physikunterricht �Reibung erzeugt W�rme�. Wir richteten nun unser Hauptaugenmerk bei der Sektion auf die Frage, ob der Mann tats�chlich durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Schlie�lich war nicht auszuschlie�en, dass ihn jemand absichtlich �berfahren hatte. Um das herauszubekommen, mussten wir uns erst einmal weitere Fragen stellen: War der Fu�g�nger in aufrechter Position von einem Auto erfasst worden, oder lag er bereits auf der Stra�e, als das Fahrzeug sich n�herte und ihn �berfuhr oder �berrollte? Oder wurde er von einem Wagen angefahren und liegengelassen, so dass ihn dann noch mehrere nachfolgende Fahrzeuge �berrollten und mitschleiften? Bei t�dlichen Fu�g�nger-Pkw-Kollisionen gibt es drei m�gliche Szenarien, die einzeln oder hintereinander ablaufen k�nnen: Der Fu�g�nger wird von dem Pkw angefahren, �berfahren oder �berrollt. Von �Anfahren� spricht der Rechtsmediziner, wenn eine Person in aufrechter K�rperposition von einem Auto erfasst wird. In diesem Fall kommt es in dem Moment, da der Fu�g�nger von dem Pkw angefahren wird, zun�chst zum sogenannten �prim�ren Ansto߫, in der Regel mit der Sto�stange oder dem Kotfl�gel. Dann prallt der Oberk�rper auf die Motorhaube, w�hrend der Kopf h�ufig zus�tzlich auf der Windschutzscheibe aufschl�gt. Im Normalfall tritt der Fahrer des Pkw sp�testens dann erschrocken auf die Bremse���mit der Folge, dass das Unfallopfer in Fahrtrichtung abgeworfen wird und auf der Stra�e landet. Anders verh�lt es sich dagegen, wenn ein Fu�g�nger von einem Lkw oder von einem anderen Fahrzeug mit hohem Radstand und h�herer Sto�stange und K�hlerhaube angefahren wird, beispielsweise von einem Gel�ndewagen oder Pick-up. Dann ger�t das Opfer meist unter das Auto. Bei der Kollision eines Fu�g�ngers mit einem gew�hnlichen Pkw k�nnen die unterschiedlichsten Verletzungen entstehen, n�mlich erstens als Folge des prim�ren Ansto�es, zweitens beim �Aufladen� des K�rpers auf das Fahrzeug, z. B. durch den oben erw�hnten Schlag des Kopfes gegen die Windschutzscheibe, und drittens als Folge davon, dass der oder die Angefahrene wieder�auf die Stra�e geworfen wird. Aus dem jeweils resultierenden Verletzungsmuster kann der Rechtsmediziner wertvolle R�ckschl�sse f�r die Rekonstruktion des Unfallereignisses ziehen. Abgesehen davon k�nnen manchmal am Unfallfahrzeug Faserspuren der Kleidung des Fu�g�ngers nachgewiesen werden. Deshalb ist es bei Fu�g�ngerunf�llen wichtig, die Bekleidung sicherzustellen und kriminaltechnisch zu untersuchen. So lassen sich gegebenenfalls an einem Pkw, der als Unfallfahrzeug in Frage kommt, Textilfasern daraufhin �berpr�fen, ob sie von der Kleidung des Unfallopfers stammen. Auch finden sich nach der Kollision zwischen Fu�g�nger und Auto oft Gewebespuren wie Blut, Weichgewebe oder Knochensplitter an dem Fahrzeug. Diese k�nnen dann wiederum mit einem DNA-Abgleich untersucht werden. Auch die Richtung, aus der der Fu�g�nger auf die Fahrbahn gelaufen ist, spielt eine wichtige Rolle bei den weiteren Ermittlungen und kann in einem sp�teren Gerichtsverfahren entscheidenden Einfluss auf eine m�gliche Verurteilung und das Strafma� haben. Wenn ein Fu�g�nger von rechts auf die Fahrbahn l�uft und dabei vielleicht sogar zwischen parkenden Autos am Stra�enrand hervortritt, ist der Weg zum Fahrzeug viel k�rzer, als wenn er vom Fahrer aus gesehen von links kommt und erst einmal die Gegenspur in ihrer ganzen Breite �berqueren muss. Umso mehr Zeit bleibt nat�rlich auch dem Fahrer, seinen Wagen abzubremsen. Allerdings f�hrt �berh�hte Geschwindigkeit oder Alkohol oft dazu, dass der Fahrer trotzdem zu sp�t reagiert. All diese �berlegungen spielen bei der Begutachtung�von Fu�g�nger-Pkw-Kollisionen mit t�dlichem Ausgang und der Urteilsfindung vor Gericht eine entscheidende Rolle. Und die Rechtsmedizin liefert die wissenschaftlichen Beweise, ob das eine oder andere Szenario ausgeschlossen werden kann. Wichtig ist neben der Untersuchung der Oberbekleidung auch die Untersuchung der Schuhe bzw. der Schuhsohlen des Unfallopfers. Wird ein Fu�g�nger auf der Stra�e von einem Fahrzeug erfasst, kann es zum Abrieb der Schuhsohle(n) auf der Fahrbahn kommen. Schuhsohlenabrieb sind Materialbesch�digungen (Sch�rfungen oder Riefen) an der Sohlenunterseite. Diese entstehen, weil die Schuhsohle beim gehenden oder stehenden Fu�g�nger zum Zeitpunkt der Kollision den st�rksten Bodenkontakt hat und das K�rpergewicht sozusagen darauf�ruht.�Ein solcher Schuhsohlenabrieb ist unter vielen Aspekten f�r die Rekonstruktion des Unfallgeschehens wichtig: a) Ist Schuhsohlenabrieb vorhanden, steht zun�chst schon einmal fest, dass der Fu�g�nger nicht liegend, sondern in aufrechter Position vom Fahrzeug erfasst wurde. b) Abrieb an beiden Schuhsohlen bedeutet, dass die Person beim Aufprall auf beiden Beinen stand, sich also nicht fortbewegte. Ist die Person dagegen gegangen oder gelaufen, findet man den Abrieb nur an einer Schuhsohle, da beim Gehen und Laufen naturgem�� immer nur ein Fu� vollst�ndigen Bodenkontakt hat. c) Folgt der Schuhsohlenabrieb der L�ngsrichtung, hei�t das, dass der Fu�g�nger in aufrechter Position von vorn oder von hinten vom Fahrzeug erfasst wurde. d) Beim Anfahren des Fu�g�ngers von der Seite (rechte oder linke K�rperseite) verl�uft der Schuhsohlenabrieb in Querrichtung (von links nach rechts oder umgekehrt). Deshalb legt der Rechtsmediziner viel Wert darauf, dass neben den schon vorliegenden Ermittlungsergebnissen auch die Kleidungsst�cke einschlie�lich der Schuhe im Rahmen der Obduktion mit begutachtet werden k�nnen. Dass der uns zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte Mann angefahren wurde, konnten wir ausschlie�en. Auch wenn es an Ober- und Unterschenkel des Toten starke Schleifverletzungen gab, fanden wir nicht das charakteristische Bruchmuster an den Unterschenkelknochen, das wir sonst nach einem Zusammenprall in aufrechter Position sehen. Auch Kopf und Oberk�rper wiesen zwar diverse, teils schwerste Verletzungen auf, aber nicht die typischen Verletzungen, die entstehen, wenn das Unfallopfer beim Aufprall auf die Motorhaube oder mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe schl�gt. Zudem sprachen die Schleifspuren am K�rper des Verstorbenen daf�r, dass er �ber mehrere Hundert Meter, wenn nicht sogar einige Kilometer, unter dem Auto mitgeschleift worden war. Dass der Tote keine prim�ren Ansto�verletzungen aufwies, zeigte uns, dass der Mann, als das Fahrzeug ihn erfasste, schon auf der Fahrbahn gelegen hatte. Dieses Teilresultat f�hrte zur n�chsten Frage:War der Mann �berfahren oder �berrollt worden? Beim ��berfahren� ber�hren die R�der des Fahrzeugs nicht den K�rper des Unfallopfers. So kann ein��ber-fahrener in seltenen F�llen sogar mit dem Schrecken davonkommen und g�nzlich unverletzt bleiben. Wenn er nicht gro� ist und das Fahrzeug einen hohen Radstand hat, ber�hrt die Unterseite des Chassis ihn wom�glich gar nicht. Beim ��berrollen� hingegen kommt der Fu�g�nger im wahrsten Sinne des Wortes unter die R�der. Gem�� fachlicher Definition meint �berrollen das �Hinwegrollen eines oder mehrerer R�der eines Kraftfahrzeuges �ber den K�rper oder die Gliedma�en einer auf der Fahrbahn liegenden Person�. Nachzuweisen ist es meist dadurch, dass die H�matome auf der Haut des �berrollten dem Profilmuster der Reifen entsprechen. Sowohl das �berrollen als auch das �berfahren ruft gew�hnlich sehr viel st�rkere Verletzungen hervor als das blo�e Anfahren eines Fu�g�ngers, besonders wenn das Opfer unter dem fahrenden Auto mitgeschleift wird. Zum anderen hinterl�sst der direkte Kontakt von Unfallopfer und Auto auch meist Hinweise (Profilmuster, �lreste, Lackspuren etc.), die es den Ermittlern erm�glichen, Tatfahrzeug, Fahrzeughalter und gegebenenfalls den Fahrer zum Zeitpunkt der Kollision ausfindig zu machen. Auch in unserem Fall konnten wir am K�rper des Toten �lspuren und Schmutz von der Unterseite eines Fahrzeugs nachweisen. Sie fanden sich allesamt auf der K�rperr�ckseite, teils auf Kleidungsresten, teils auf der Haut. Die Schleifspuren beschr�nkten sich dagegen auf die Vorderseite des Opfers. Schleifverletzungen am Bauch, Schmutz- und �lspuren am R�cken���diese Kombination war f�r uns ein klarer Beleg, dass der K�rper des Mannes b�uchlings liegend unter dem Fahrzeug mitgeschleift worden war. Da sich keine Abdr�cke eines Reifenprofils an Haut oder Kleidungsresten des Toten fanden, sprach alles daf�r, dass er vor dem Mitschleifen �berfahren und nicht �berrollt worden war. Doch wie war es dazu gekommen? Konnte es sein, dass der Mann sich das Leben nehmen wollte und sich auf die Stra�e gelegt und gewartet hatte, bis ihn ein Auto �berfuhr? Hat ein Mensch die Nerven dazu? Auf der harten, kalten Stra�e auszuharren, w�hrend sich mit gro�er Geschwindigkeit ein Auto n�hert, die Vibrationen auf dem Asphalt zu sp�ren, das Motorenger�usch zu h�ren, das immer lauter wird, bis schlie�lich der grausame, teils gef�rchtete, teils ersehnte Moment kommt und das Fahrzeug ihn erfasst? Und das alles ohne die Gewissheit, sofort tot zu sein und die brutalen Folgen nicht mehr erleiden zu m�ssen? Suizid im Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug gibt es vor allem in zwei Varianten. Variante eins: Ein Schlauch wird vom Auspuff ins Wageninnere gef�hrt und der Motor angelassen. Ist der Innenraum gen�gend abgedichtet, kommt es zum Tod durch Kohlenmonoxidbzw. (bei eingebautem Katalysator) durch Kohlendioxidvergiftung. Variante zwei: Der oder die Lebensm�de rast in einem Wagen mit sehr hoher Geschwindigkeit gegen ein stabiles Hindernis. Bei dieser zweiten Suizidvariante ist die statistische Dunkelziffer relativ hoch, da nur schwer nachzuweisen ist, ob der f�r den Fahrer t�dliche ungebremste Aufprall seines Wagens auf ein Hindernis versehentlich oder absichtlich geschah. Es ist zu vermuten, dass diese Art der Selbstt�tung h�ufiger�vorkommt als allgemein angenommen und in Statistiken ausgewiesen wird. Laut rechtsmedizinischer Statistiken ist in Deutschland jedoch bisher kein Fall bekanntgeworden, bei dem sich ein Mensch erwiesenerma�en in Selbstt�tungsabsicht vor ein fahrendes Fahrzeug gelegt h�tte, das kein Schienenfahrzeug war. Auch in gr��eren Obduktionsstatistiken und Auswertungen von nicht-nat�rlichen Todesf�llen und Verkehrsunf�llen oder Suiziden kommt diese Art der Selbstt�tung nicht vor. An einen Suizid durch �berfahren glaubte also niemand von uns. Aber war der Mann vielleicht vors�tzlich get�tet worden? Dass jemand gezielt �berfahren wird, kommt zwar in Actionfilmen h�ufig vor, doch in der Kriminalit�tsstatistik taucht so etwas nur �u�erst selten auf. Eigentlich kein Wunder, da eine solche Tat immer sehr viel �ffentliche Aufmerksamkeit erregt und der T�ter durch die zahlreichen Zeugenaussagen meist sehr schnell gefasst wird. So kommt diese Art T�tungsdelikt eigentlich nur in zwei denkbaren Konstellationen vor: Erstens, nachdem die betreffende Person bereits auf andere Art und Weise get�tet und erst anschlie�end auf die Stra�e gelegt worden ist. In diesem Fall hofft der T�ter, dass die beim �berrollen oder �berfahren entstandenen Verletzungen gravierend genug sind, um die eigentliche Todesursache zu kaschieren und die Ermittler auf eine falsche F�hrte zu lenken. Zweitens, indem eine bewusstlose (z.B. niedergeschlagene oder vergiftete) Person auf der Stra�e abgelegt wird und dann letztendlich durch die Kollision (�berrollen oder �berfahren) mit einem Fahrzeug stirbt. Ziel�ist auch hier eine Verschleierung der vorherigen Straftat bzw. ein absichtliches Herbeif�hren des Todes. Unsere Aufgabe war es also, festzustellen, ob unser Mann zum Zeitpunkt des �berfahrens bereits tot gewesen war. Das hei�t: Wir fahndeten nach Vitalit�tszeichen, kurz auch Vitalzeichen. Kr�ftig unterblutete Verletzungen, z. B. H�matome der Haut, sind ein Beleg daf�r, dass das Opfer zum Zeitpunkt des �berfahrens oder �berrollens noch gelebt hat, dass also Herzfunktion und Blutkreislauf noch aktiv waren. Denn Unterblutungen setzen ein schlagendes Herz voraus, das das Blut im K�rper verteilt und den Blutdruck aufrechterh�lt. Eine Person, die solche H�matome aufweist, muss zum Zeitpunkt des Unfalls folglich noch am Leben gewesen sein. Wenn jemand nach dem Tode �berfahren oder �berrollt worden ist, wird man bei der Obduktion keine deutlichen H�matome finden. Nach dem Stillstand des Kreislaufs kommt es���wenn �berhaupt���nur noch zu geringf�gigen Unterblutungen von Verletzungen, da das Herz nicht mehr schl�gt und somit Blutzirkulation und Blutdruck nicht mehr aufrechterhalten werden. H�tte sich der Mann in unserem Fall in suizidaler Absicht auf die Landstra�e gelegt oder w�re er von einem Auto angefahren oder in bewusstlosem Zustand auf der Fahrbahn abgeladen und noch lebend mitgeschleift worden, h�tten wir an seinem K�rper und im Bereich der Verletzungen deutlich ausgepr�gte H�matome finden m�ssen. Doch wir fanden keine, weder in den abgeschliffenen Hautarealen noch in den klaffenden Wunden. Zudem enthielten Luftr�hre und Bronchien�keine Schmutzpartikel von Stra�enstaub, Asphalt oder Auspuffgasen. Ein weiteres wichtiges Vitalzeichen ist die sogenannte Blutaspiration, das Einatmen von Blut. Wenn es infolge eines Verkehrsunfalls zu einem Sch�del-Hirn-Trauma mit Br�chen der Sch�delbasis kommt, gelangt automatisch Blut aus der Sch�delbasisfraktur in den Nasen-Rachen-Raum und wird bei erhaltener Atemfunktion �ber die Luftr�hre eingeatmet. Dieses Blut sammelt sich schlie�lich in den tiefen Atemwegen und dient bei der Obduktion als Beweis daf�r, dass das Opfer zur Zeit der Gewalteinwirkung noch gelebt hat. Doch obwohl unser Toter als Folge der Kollision mit dem Fahrzeug einen Sch�delbasisbruch davongetragen hatte, fanden wir kein aspiriertes Blut in Luftr�hre, Bronchien und Lungen. Damit stand fest: Der Mann war schon tot, als er von dem Auto erfasst wurde. Doch woran er stattdessen gestorben war, wussten wir damit immer noch nicht. Selbst eine nat�rliche Todesursache war nicht restlos auszuschlie�en, auch wenn sie sehr unwahrscheinlich war. Theoretisch kann ein Mensch mitten auf der Stra�e einen Herzschlag erleiden, sofort sterben und dann �berfahren werden. Gerade in solchen F�llen ist eine Obduktion durch die Rechtsmedizin auch deshalb unerl�sslich, weil sie den beteiligten Autofahrer vor einer f�lschlichen Anklage wegen fahrl�ssiger T�tung bewahren kann, indem sie das Fehlen von Vitalzeichen feststellt. Schwieriger wird der Nachweis der Unschuld (oder geringeren Schuld) allerdings bei einer pl�tzlichen Bewusstlosigkeit des Fu�g�ngers und einem kurz darauf folgenden �berfahren. So kann jemand einen Schw�cheanfall erleiden, dabei aber noch leben, �berfahren oder �berrollt werden und dann sterben. Vitalzeichen wie H�matome oder Blutaspiration zeigen in solch einem Fall, dass das Unfallopfer bei der Kollision noch gelebt hat und erst an den Folgen des Unfalls gestorben ist, verraten aber nichts �ber die Bewusstlosigkeit. Bevor wir allerdings weiter in diese Richtung dachten, fanden wir den entscheidenden Hinweis. Nach der routinem��igen Reinigung des Kopfes, bei der Schmutz und �l entfernt wurden, und nach der Rasur der noch erhaltenen Teile der behaarten Kopfhaut entdeckten wir am Hinterkopf des Toten insgesamt drei nahe beieinanderliegende, aber gut voneinander abgegrenzte rundliche H�matome von jeweils 1,5 Zentimeter Durchmesser. Alle drei H�matome waren, im Gegensatz zu allen anderen, kr�ftig unterblutet, also zu Lebzeiten entstanden. Von oben nach unten zeigten alle drei H�matome jeweils zwischen ein und zwei Zentimeter messende, strichf�rmig unterblutete Ausl�ufer. Bei einem solchen Befund klingeln bei jedem Rechtsmediziner die Alarmglocken, denn diese Art H�matome passen zu einer einschl�gig bekannten Schlagwaffe. Als wir das kn�cherne Sch�deldach am Hinterhaupt des Toten untersuchten, wurde unser Verdacht best�tigt: Wir fanden drei sogenannte �Impressionsfrakturen�, lochartig ausgestanzte Br�che als Folge einer lokal begrenzten, also nicht gro�fl�chigen, Gewalteinwirkung. In diesem Fall hatten die drei Impressionsfrakturen am Hinterkopf dieselbe Form wie die zuvor festgestellten H�matome und ma�en ebenfalls jeweils�1,5 Zentimeter. Das unter den Sch�delfrakturen noch vorhandene Hirngewebe zeigte kr�ftige dunkelrotschwarze Einblutungen. Diese Verletzungen belegten zweifelsfrei, dass der Mann, der vor uns auf dem Sektionstisch lag, mit einem �Totschl�ger� umgebracht worden war. Der Totschl�ger ist f�r den Fischfang entwickelt worden und war urspr�nglich ein Stoffbeutel, gef�llt mit einer Eisenkugel oder einem anderen schweren Gewicht. In einigen L�ndern wird ein solcher Totschl�ger immer noch verwendet, um Fische mit einem Schlag auf den Kopf zu t�ten. Die technische Weiterentwicklung dieser Waffe ist heute meist aus Metall und besteht aus einem Griff, der sich fortsetzt in einem aus biegsamem Stahl gefertigten, bis zu 30 Zentimeter langen stockartigen Mittelteil, an dessen Ende sich eine etwa tischtennisballgro�e Metallkugel, meist aus Blei, befindet. Durch den damit verbundenen Peitscheneffekt der Metallkugel und die daraus resultierende immense Verst�rkung der Schlagkraft hinterl�sst der Einsatz eines Totschl�gers am menschlichen K�rper schwerste, auch innere Verletzungen. Bei Schl�gen auf den Kopf k�nnen, wie es hier der Fall war, Sch�delbr�che die Folge sein. Totschl�ger z�hlen in Deutschland nach dem Waffenrecht zu den gef�hrlichen Gegenst�nden und sind gesetzlich verboten. Der Mann auf unserem Seziertisch war also mit einem Totschl�ger mehrfach am Kopf getroffen worden. Dabei war sein Sch�del gebrochen, und er war an den Folgen dieses Sch�del-Hirn-Traumas gestorben���ehe er von einem Fahrzeug auf der Landstra�e �berfahren und mitgeschleift wurde. Die Frage, wer den Mann mit dem Totschl�ger umgebracht hatte, mussten nun die Ermittler beantworten. Unsere Aufgabe als Rechtsmediziner war damit beendet. Wir hatten der Polizei aufgrund der Obduktionsbefunde ein klares Bild davon geben k�nnen, was vor und nach dem Tod mit Bertram N�lle passiert war. Die Arbeitshypothese der Ermittler lautete, dass die T�ter ihr Opfer im Schutz der Dunkelheit zu einer wenig befahrenen Landstra�e getragen und dort abgelegt hatten, um die Polizei zu t�uschen, indem sie die Szenerie so herrichteten, dass es aussah, als h�tte die Kollision mit dem Pkw den Tod des Mannes herbeigef�hrt. In solchen F�llen nehmen die T�ter bereitwillig in Kauf, dass einem eigentlich unschuldigen Autofahrer z. B. der Tatbestand der fahrl�ssigen T�tung angelastet wird. Was allerdings die T�ter in unserem Fall, wie auch in vielen anderen, offenbar nicht wussten, war, dass wir Rechtsmediziner eben anhand der Vitalzeichen sehr genau feststellen k�nnen, ob die Person zum Zeitpunkt der Kollision schon tot war oder nicht, und uns aufgrund der Obduktionsbefunde immer ein sehr klares Bild davon machen k�nnen, was w�hrend und nach dem Tod mit dem Betreffenden passiert ist. Aufgrund der Tatsache, dass der Mann nach den Obduktionsbefunden einige Hundert Meter von einem Auto mitgeschleift worden war, konnte die Stelle, wo er abgelegt worden war, ein betr�chtliches St�ck vom Fundort entfernt liegen. Die trockene Witterung half den Ermittlern ein weiteres Mal. Mehrere Kilometer von der Stelle entfernt, an�der der Brieftr�ger die Leiche von N�lle entdeckt hatte���dass es sich um den 32-j�hrigen Bertram N�lle handelte, war in der Zwischenzeit per DNA-Abgleich zweifelsfrei ermittelt worden��, wurden die Schuhe sowie die abgerissene Armbanduhr des Toten auf der Stra�e entdeckt. Beim Ablaufen der Strecke zwischen dem Fundort der Schuhe und der Stelle, an der der tote N�lle gelegen hatte, fanden die Spurensucher der Kripo weitere Teile seiner Jeanshose und Fetzen seiner Lederjacke. Bertram N�lle war anscheinend 9,5 Kilometer mitgeschleift worden. Bei Pkw-Unf�llen betr�gt die Mitnahmestrecke meist nur wenige Meter. Zu einem kilometerweiten Mitschleifen des Opfers kann es eigentlich nur dann kommen, wenn dem Fahrer in stark alkoholisiertem Zustand gar nicht auff�llt, dass er die ganze Zeit einen Menschen unter seinem Wagen mitschleift, oder wenn er in Panik ger�t und weiterrast, in der Hoffnung, den Mitgeschleiften so wieder loszuwerden. Zum Mitschleifen kommt es gew�hnlich, wenn sich die Kleidung des Unfallopfers an der Unterseite des Autos verhakt, wie es auch bei N�lle geschehen war. Wenn der Fahrer die Richtung wechselt oder die Fahrbahn starke Unebenheiten aufweist, kann sich das Opfer von der Unterseite des Pkw l�sen. In unserem Fall verhielt es sich so, dass die Kleidung von Bertram N�lle, die sich an der Unterseite des Chassis verhakt hatte, dem Zug des Fahrzeugs erst nach knapp zehn Kilometern nicht mehr standhielt und zerriss. Nachdem der K�rper sich vom Fahrzeug gel�st hatte, rutschte er noch einige Meter �ber die Stra�e und rollte schlie�lich den Abhang hinunter, wo ihn dann der Brieftr�ger entdeckte. Anhand des Strafregisters des Opfers und anschlie�ender Zeugenvernehmungen konnten sich die Ermittler bald ein klares Bild von den Geschehnissen machen, die zum Tod von Bertram N�lle gef�hrt hatten. Er war im Zuh�ltermilieu aktiv gewesen. In einer Ortschaft nahe der Landstra�e, neben der die Leiche gefunden wurde, gab es ein Bordell, wie man es an manchen Landstra�en Deutschlands findet. Abgelegen und deshalb attraktiv f�r Betreiber und Besucher gleicherma�en: diskrete Lage f�r die Kunden und gute Lage f�r die Betreiber, n�mlich fernab jeglicher gro�st�dtischer polizeilicher Aufmerksamkeit. Hier traf sich regelm��ig eine Zuh�lterbande, zu der auch N�lle geh�rte, um ihre Aktivit�ten zu planen. Durch intensive Verh�re mehrerer mutma�licher Tatverd�chtiger machten die Ermittler schlie�lich nicht nur die Mitglieder des Zuh�lterringes ausfindig, die an der T�tung beteiligt waren, sondern entdeckten auch bei einem der Tatverd�chtigen den dabei verwendeten Totschl�ger. N�lle hatte Zahlungsr�ckst�nde bei den anderen Bandenmitgliedern gehabt. Um den Forderungen zu entgehen, hatte er diese mit seinem Insiderwissen �ber kriminelle Aktivit�ten erpresst, von denen die Ermittlungsbeh�rden noch nichts wussten. Die Beamten erfuhren in ihren Verh�ren, dass Bertram N�lle am Abend vor dem Auffinden seiner Leiche zu sp�ter Stunde von drei Bandenmitgliedern in seiner Wohnung aufgesucht worden war. Gemeinsam waren die vier zu einem Parkplatz an der Landstra�e gefahren, nahe der�Stelle, an der N�lles K�rper sp�ter von einem Pkw erfasst worden war, �um in Ruhe zu reden�. Als man sich nicht hatte einigen k�nnen, hatten sich die Bandenmitglieder, so die Aussage eines der Beteiligten, dazu entschlossen, �dem N�lle eine Lektion zu erteilen� und ihn zusammenzuschlagen. Er selbst habe Bertram N�lle zwar �mit verpr�gelt�, der t�dliche Hieb mit dem Totschl�ger sei aber vom Anf�hrer der Bande gef�hrt worden. Als die drei merkten, dass N�lle tot war, legten sie seine Leiche in einiger Entfernung auf der Landstra�e ab. �Die Bullen denken dann halt, der Autofahrer hat ihn totgefahren. Das f�llt denen bestimmt nicht auf.� So fasste eines der Bandenmitglieder ihren Plan zusammen. Dass wir Rechtsmediziner uns nicht hatten t�uschen lassen und das wahrscheinlichste Szenario erkannt hatten, erfuhren die drei Schl�ger im Gerichtssaal. Der mehrfach wegen K�rperverletzung, Menschenraub und r�uberischer Erpressung vorbestrafte und zur Zeit der Tat unter Bew�hrungsstrafe stehende Kopf der Bande wurde als Hauptt�ter wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine beiden wegen schweren Raubes mit K�rperverletzung ebenfalls vorbestraften Komplizen wurden wegen K�rperverletzung und Beihilfe zum Mord zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben bzw. acht Jahren Haft verurteilt. Der Fahrer des Fahrzeugs, das N�lle kilometerweit bei voller Fahrt mitgeschleift hatte, wurde nie ermittelt. Er hatte N�lle nicht get�tet und somit auch nichts mit dessen Tod zu tun. Vielleicht hat er Fahrerflucht begangen, um von einer eigenen Straftat abzulenken. M�glich, dass er auf der Flucht war und sich durch das Geschehene nicht in den Fokus des Interesses bringen wollte. Wahrscheinlicher ist meines Erachtens etwas anderes: dass einer der zahlreichen Autofahrer, die Alkohol am Steuer noch immer f�r ein Kavaliersdelikt halten, deutlich �ber 0,5 Promille Alkohol im Blut hatte und entweder nicht erwischt werden wollte oder nicht einmal etwas davon mitbekam, dass f�r die holperige Fahrt nicht der Fahrbahnbelag verantwortlich war. Aber das ist diesmal ausnahmsweise nur eine Vermutung. Tod auf Knopfdruck In der Sauna liegt eine tote Frau mit einer Stichwunde in der Brust, neben ihr eine Thermoskanne. Frage: Was ist da passiert? Antwort: Die Frau wurde mit einem Eiszapfen erstochen, den der M�rder in der Thermoskanne mit in die Sauna gebracht hatte. Anschlie�end ist der Eiszapfen geschmolzen, daher wurde nie eine Tatwaffe gefunden. Mitten im Wald h�ngt in den �sten eines Baumes ein lebloser Taucher in voller Montur. Frage: Wie kam er dahin? Antwort: Es gab einen Waldbrand, der mit L�schflugzeugen bek�mpft wurde. Beim Auftanken auf dem benachbarten See hat die Ansaugd�se eines der Flugzeuge den Taucher erwischt und erst beim L�schen �ber dem Wald wieder abgeworfen. Nein, die beiden Geschichten stammen nicht aus meinem Arbeitsalltag. Ich habe sie dem reichen Fundus der sogenannten �Black Stories� entnommen. Black Stories hei�en auch Denkpuzzles, Mysteries oder R�tsel-Krimis und sind, wie es auf einer Website hei�t, �knifflige, morbide, rabenschwarze Geschichten, die sich so oder �hnlich zugetragen haben k�nnten�. Vielleicht haben�Sie ja selbst schon einmal das dazugeh�rige Kartenspiel gespielt. Dabei werden die Spielkarten in einem Stapel mit der Vorderseite nach oben auf den Tisch gelegt. Der �Gebieter� nimmt die oberste Karte und liest die Geschichte vor. Danach stellen die Spieler Fragen,�warum�sich dieses Geschehen gerade so und nicht anders ereignet hat. Dabei d�rfen nur Fragen gestellt werden, die sich mit�Ja�oder�Nein�beantworten lassen. So pirscht sich das anwesende Ratevolk St�ck f�r St�ck an die L�sung heran, die auf der Kartenr�ckseite steht. Manchmal tappt es aber auch bis zum Schluss im Dunkeln� Inzwischen erfreuen sich derartige R�tsel auch ohne dazugeh�rige Karten gro�er Beliebtheit, auf Reisen ebenso wie im Internet. Dabei liegt ein Gro�teil des Vergn�gens sicher darin, sich immer wieder neue R�tselstorys auszudenken. Und dabei sind der morbiden Phantasie der Mitspieler keinerlei Grenzen gesetzt. Nun ist mein Beruf kein Spiel. Und weder Ermittler noch Rechtsmediziner kommen dem Tod auf die Spur, indem sie einer Spielanleitung folgen. Aber der Fall des 78-j�hrigen J�gers, an dem ich rechtsmedizinisch beteiligt war, erf�llt die zwei Hauptkriterien f�r eine gute Black Story: ein ungew�hnliches Szenario und eine noch unwahrscheinlichere L�sung. Hier also unser R�tsel: Zwei J�ger gehen abends gemeinsam in den Wald. Jeder von ihnen hat einen Ansitzwagen: einen kleinen, mobilen Hochsitz von der Gr��e eines Pferdewagens, ausgestattet mit einem Stuhl und mehreren Fenstern.�Die Ansitzwagen der beiden stehen dreihundert Meter auseinander und sind f�r den jeweils anderen J�ger au�er Sichtweite. Der 78-j�hrige Otto W�chter und der 55-j�hrige J�rgen Mertens machen einen Treffpunkt aus, an dem sie sich am n�chsten Morgen um acht Uhr mit ihrer Jagdbeute wieder treffen wollen. In der Nacht h�rt J�rgen Mertens zwei Sch�sse. Am n�chsten Morgen erscheint sein Jagdfreund Otto W�chter nicht am Treffpunkt. Als J�rgen Mertens daraufhin zum Ansitzwagen geht, sieht er dort den toten Otto W�chter liegen. Was ist hier passiert? Raten Sie mit. Frage: Ist der J�ger von den Sch�ssen get�tet worden, die J�rgen Mertens geh�rt hat? Antwort: Jein. Frage: Hei�t das, teils ja, teils nein? Antwort: Ja. Frage: Ist der J�ger also von einem der beiden Sch�sse get�tet worden? Antwort: Ja. Als Polizei und Notarzt eintrafen, lag Otto W�chter blut�berstr�mt neben seinem Ansitzwagen. In Brusth�he war seine Bekleidung von Blut dunkel verf�rbt, als Folge der darunterliegenden Einschusswunde. Damit war klar, dass die sterblichen �berreste des J�gers zur Rekonstruktion des Geschehens der vergangenen Nacht rechtsmedizinisch untersucht werden mussten. Otto W�chter war weit entfernt von der n�chsten gr��eren Stadt mit einem eigenen rechtsmedizinischen Institut zu Tode gekommen. Daher wurde der Tote auch nicht in der Rechtsmedizin obduziert, sondern in einer �Prosektur�, einem von der Polizei f�r diese Zwecke angemieteten Sektionssaal. Bis vor etwa zehn oder f�nfzehn Jahren war selbst kleineren Krankenh�usern noch eine eigene Abteilung f�r Pathologie mit Sektionssaal angegliedert. Inzwischen werden die Dienstleistungen der Pathologen in den meisten Regionen Deutschlands nur noch von einigen gr��eren Instituten oder Praxen f�r Pathologie vorgenommen, und das Untersuchungsmaterial wird per Bote oder Post oft Hunderte von Kilometern weit verschickt. Die Folge: In vielen Krankenh�usern geh�ren Obduktionen nicht mehr zum t�glichen Gesch�ft (u.a., weil in den meisten Krankenh�usern eben kein Pathologe mehr zur Verf�gung steht und mit Obduktionen f�r die Krankenhaustr�ger auch kein Geld zu verdienen ist), und so stehen viele Sektionss�le leer. Sie bieten sich an, wenn es zu Todesf�llen au�erhalb von gro�en St�dten kommt. Es ist viel kosteng�nstiger und effektiver, ein Sektionsteam, bestehend aus zwei Rechtsmedizinern (Obduzenten) und einem Sektionsassistenten, zum Ort des Geschehens zu schicken (man spricht dann von �Au�ensektion�), als wenn der Verstorbene f�r horrende Transportkosten (denn einige Bestatter nehmen es nicht nur von den Toten) viele Kilometer weit zum n�chsten rechtsmedizinischen Institut transportiert wird. Au�erdem ergibt sich vor Ort meist die Gelegenheit, sich ein genaueres Bild von den Todesumst�nden�zu machen, als es durch die blo�e Beschreibung von Leichenfundort und Auffindesituation durch die Ermittler der Kriminalpolizei m�glich w�re. Frage: Gab es eine Waffe am Tatort? Antwort: Ja. Da wir nicht an den Leichenfundort gerufen worden waren, bevor der tote J�ger in die Prosektur transportiert wurde, sahen wir uns vor der Leichenschau die Fotos an, die die Spurensicherung am Tatort aufgenommen hatte: Otto W�chter lag auf dem R�cken, wobei seine F��e in Richtung des Ansitzwagens zeigten, so als w�re er aus dem Wagen hinausgesto�en worden. Die Waffe lag auf dem Boden des Wagens, neben einem Drehsessel, wobei der Lauf aus der T�r�ffnung herausragte. Bei der Waffe handelte es sich um eine �Bockb�chsenflinte�, eine kombinierte Jagdwaffe mit zwei �bereinanderliegenden L�ufen. Aus dem unteren Lauf der Waffe k�nnen Kugelgeschosse abgefeuert werden, der obere Lauf ist f�r Flintenmunition vorgesehen. Im unteren Lauf fand sich eine abgefeuerte H�lse Kaliber 5/57. Im oberen Lauf steckte noch die H�lse einer Brenneke-Patrone, Kaliber 16/67,5. Bockb�chsenflinten und Brenneke-Geschosse werden in unseren Breitengraden zum Beispiel f�r die Jagd auf Wildschweine eingesetzt. Auf dem afrikanischen Kontinent kommt diese Waffenart und Munition bei der Gro�wildjagd, der Jagd auf die ber�hmten �Big Five�, den Elefanten, den L�wen, das Nashorn, den�Leoparden und den B�ffel, zum Einsatz.Von Hemingway ist �berliefert, dass er mit �hnlicher Waffe und Munition auf die Jagd ging. Frage: Hat J�rgen Mertens seinen Freund erschossen und dann Polizei und Notarzt gerufen, um den Verdacht von sich abzulenken? Antwort: Nein. Die Ermittlungen der Polizei und auch die Zeugenaussagen hatten keinerlei Spannungen oder Konflikte zwischen den beiden Freunden zutage gef�rdert. Frage: Hat Otto W�chter von seinem Ansitzwagen aus einen Mord oder ein anderes Verbrechen beobachtet, dann auf den T�ter geschossen, ihn aber verfehlt, und der hat daraufhin ihn erschossen? Antwort: Nein. Bei der Leichenschau hatten wir uns als Erstes die Einschusswunde an der linken Brustvorderseite genauer angesehen. Die Wunde hatte einen Durchmesser von drei Zentimetern mit einer �saumartigen Wundrandvertrocknung�, die teilweise von schwarzgrauen Ablagerungen bedeckt war. Dies war Pulverschmauch, der beim Abfeuern der Waffe aus der M�ndung des Laufes entweicht. Er ist nur dann an der Einschusswunde nachweisbar, wenn die Waffe beim Schuss nicht weiter als etwa 50 Zentimeter vom Einschusspunkt entfernt war. Ist die Distanz zwischen Waffenm�ndung und K�rperoberfl�che gr��er, gibt es kaum mehr Anzeichen von Pulverschmauch auf der Haut oder der Kleidung. Damit war schon zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen, dass Otto W�chter von einem entfernt stehenden T�ter erschossen wurde. Er musste also aus n�chster N�he erschossen worden sein. Die Eintrittswunde des Projektils wurde an der linken Brustvorderseite, 126 Zentimeter oberhalb der Ferse, lokalisiert. Das Bleiprojektil war auf der K�rperr�ckseite wieder ausgetreten, zehn Zentimeter rechts der Wirbels�ule in einer H�he von 121 Zentimetern. Der Schusskanal verlief von links vorne oben nach rechts hinten unten, gering absteigend, in einem Winkel von f�nf Grad. Schusskanaluntersuchungen geh�ren bei Obduktionen zum Standard, denn die Resultate helfen der Kriminalpolizei, den Unfall- oder Tathergang zu rekonstruieren. Dabei werden verschiedene Szenarien durchgespielt, wie es zu dem jeweiligen Schusskanalverlauf gekommen sein k�nnte. Frage: Hat Otto W�chter schon vor dem Ansitzwagen gelegen, als er getroffen wurde? Antwort: Nein. Uns schien es am wahrscheinlichsten, dass Otto W�chter von dem Projektil im Stehen erfasst worden war und er dann r�cklings auf den Boden gefallen war. Was sich sp�ter auch als wahr herausstellte. Frage: Ist Otto W�chter durch sein Gewehr get�tet worden? Antwort: Ja. Nachdem wir bei der Obduktion die Brust- und Bauchh�hle ge�ffnet hatten, sahen wir die typischen Folgen eines Schusses mit Flintenmunition: Die siebte linke Rippe des Mannes und Teile des Brustbeins waren zerschmettert, Herzbeutel, rechte Herzkammer, Herzkranzschlagadern, Zwerchfell, Magen, Leber, linke Niere und Bauchspeicheldr�se vollkommen zerrissen. In der Bauchh�hle befand sich mehr als ein Liter Blut. In der Brusth�hle fanden sich Teile von Rippen und Brustbein, deren Splitter �berall verstreut waren. Flintenmunition vom Kaliber 16/67,5 richtet durch die au�ergew�hnliche Gr��e des Projektils innerhalb von Bauch- und Brusth�hle derartig viel Schaden an, dass meist wegen des hohen Blutverlusts und der Zerst�rung lebenswichtiger Organe keine medizinische Hilfe mehr m�glich ist. Todesursache: Brustkorb-Bauch-Durchschuss; der Tod war sofort eingetreten. Was f�r einen bis zu sieben Tonnen schweren Elefanten t�dlich ist, ist erst recht f�r einen Menschen �nicht mit dem Leben zu vereinbaren�, wie wir Rechtsmediziner sagen. Mord in Verbindung mit der Jagd ist nicht so ungew�hnlich, wie es klingt. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem zwei M�nner einen 44-j�hrigen J�ger ermordet hatten, um an sein Gewehr zu kommen und mit dieser Waffe weitere Straftaten begehen zu k�nnen. Solch einen Waffenraub konnten wir hier aber ausschlie�en, die Waffe lag ja noch am Tatort. Frage: Aber war es �berhaupt Mord? Antwort: Nein. Au�er den Fingerabdr�cken von Otto W�chter gab es keine anderen Fingerabdr�cke an der Waffe. Doch konnte der M�rder nat�rlich Handschuhe getragen haben. Allerdings waren an der Leiche von W�chter keinerlei Gewalteinwirkungen zu sehen, abgesehen von den Folgen des t�dlichen Schusses. H�tte sich jemand gewaltsam dem J�ger gen�hert und versucht, ihm die Waffe zu entrei�en, h�tten wir Spuren eines Kampfes finden m�ssen. Auch das war nicht der Fall. Laut eigener Aussage hatte der nur dreihundert Meter weit entfernte Mertens in dieser stillen Nacht weder Hilferufe noch Kampfesl�rm oder andere ungew�hnliche Ger�usche geh�rt. Dass Otto W�chter vielleicht bet�ubt und dann erschossen worden war, konnten wir bald nach der Obduktion zweifelsfrei ausschlie�en: Die chemisch-toxikologische Untersuchung ergab keinen Nachweis von Alkohol, Drogen oder Medikamenten, die den Mann handlungsunf�hig oder bewusstlos gemacht haben k�nnten. Frage: Wollte sich Otto W�chter das Leben nehmen? Antwort: Nein. Das hatte auch niemand der Ermittler ernsthaft in Betracht gezogen. Zu viele Indizien sprachen dagegen. Suizid-Anw�rter schie�en sich selten in die Brust. Menschen, die sich mit einer Flinte oder einem Gewehr das�Leben nehmen, legen oder setzen sich meist auf den Boden und schie�en sich in den Mund���so wie Kurt Cobain, der S�nger der Band�Nirvana,�im Jahr 1994. Bei den wenigen F�llen, bei denen sich jemand doch in die Brust schie�t, zieht er oder sie in der Regel zuvor den Pullover hoch oder �ffnet das Hemd oder die Bluse, offensichtlich in der (allerdings irrigen) Annahme, dass die Kleidung den Schuss abd�mpfen k�nnte. Die Untersuchung der Organe und die medizinische Vorgeschichte sowie die Angaben der Ehefrau von Otto W�chter lieferten keine Erkenntnisse, die auf ein Motiv f�r einen Suizid schlie�en lassen konnten. H�ufig nehmen sich Menschen das Leben, die unheilbar an Krebs erkrankt sind oder anderen schweren Krankheiten, insbesondere Depressionen, leiden. Zwar litt Otto W�chter an einer fortgeschrittenen Arteriosklerose, und wir stellten bei der Obduktion eine Herzvergr��erung sowie die Narben eines fr�heren Herzinfarktes fest; doch sind diese Krankheiten f�r einen 78-j�hrigen Mann durchaus normal���nahezu 90 Prozent dieser Altersgruppe leiden an �hnlichen Beschwerden���und sicher nicht so unertr�glich, dass sich jemand deswegen das Leben nehmen w�rde. Auch beschrieben der Jagdfreund und die Ehefrau den Verstorbenen als einen fr�hlichen und lebenslustigen Menschen. Das st�rkste Indiz jedoch lieferte die Obduktion: Wie bereits erw�hnt, wies die Einschusswunde Schmauchspuren auf, ein Fernschuss kam also nicht in Frage. Ebenso wenig war Otto W�chter aber aus unmittelbarer N�he von dem Projektil getroffen worden. Der Grund: Wird die Waffe beim Abfeuern auf der K�rperoberfl�che aufgesetzt���in der Ballistik und Kriminaltechnik hei�t das��point blank���, dringen die Pulverbestandteile durch den Schusskanal direkt in das Gewebe ein, hinterlassen auf der Haut aber nur wenig Spuren. Das gilt noch bis zu einer Entfernung von zehn Zentimetern. Doch bei Otto W�chter fanden wir zwar Pulverablagerungen, aber die gab es nur auf der Haut, nicht im Gewebe.An der Beschaffenheit der Einschusswunde lie� sich erkennen, dass der Schuss aus einer Entfernung von etwa 40 bis 60 Zentimetern abgefeuert worden war. Das nennt man in der Ballistik einen �relativen Nahschuss�. Durch die L�nge des Gewehrlaufs ist es aber v�llig unm�glich, bei einer solchen Distanz den Schuss selbst auszul�sen���daf�r sind die Arme schlicht nicht lang genug. Die Entfernung h�tte h�chstens zehn Zentimeter betragen d�rfen. Frage: Wenn es kein Mord war und auch kein Suizid, war es also ein Unfall? Antwort: Ja. Frage: War das Gewehr defekt, und als der J�ger auf ein Wildschwein schie�en wollte, ist der Schuss �nach hinten losgegangen�? Antwort: Nein. Schusswaffen sind generell von hoher handwerklicher Qualit�t, und auch die Statistik belegt, dass Todesf�lle mit Jagdwaffen fast ausnahmslos auf menschliches Versagen und nicht auf technische Defekte der Waffe zur�ckzuf�hren sind. Der ber�hmte Schuss, der nach�hinten losgeht, oder ohne Vorwarnung explodierende Schusswaffen finden sich in der Welt der Actionfilme oder Cartoons, nicht aber in der Realit�t. Menschliches Versagen bei der Jagd ist dagegen nichts Ungew�hnliches. Bei der Hobbyjagd kommt es recht h�ufig zu t�dlichen Unf�llen���beim Laden und Entladen ebenso wie beim Herumfuchteln mit einer ungesicherten Waffe. Nicht immer trifft es dabei den J�ger selbst, oft stirbt auch ein Jagdkamerad oder ein Unbeteiligter. Ich erinnere mich an einen J�ger, der mit ungesicherter Waffe auf Neuschnee ausrutschte, wobei sich ein Schuss l�ste und seinen Jagdkumpan in den Kopf traf. Ein anderes Mal lief ein schlecht erzogener Jagdhund unaufgefordert einem Kaninchen hinterher, das aus seinem Bau hervorsprang. Dabei verhedderte sich die Hundeleine an den Beinen des J�gers, der fiel zu Boden, ein Schuss l�ste sich und traf ebenfalls einen anderen Jagdkumpan in den Kopf. In unserem Fall allerdings musste der Lauf der Waffe mindestens 40 Zentimeter vom Einschussloch in der Brust entfernt gewesen sein, als sich der Schuss daraus l�ste. Es war also v�llig unm�glich, dass Otto W�chter aus Versehen am Abzug herumgefummelt und sich dann ein Schuss gel�st hatte. Wenn es aufgrund der Schussentfernung und der Gewehrl�nge f�r Otto W�chter unm�glich war, den Abzug zu erreichen, um sich absichtlich zu erschie�en, dann war es erst recht unm�glich, den Abzug zu erreichen und sich versehentlich zu erschie�en. Frage: Hatte der andere Schuss, der nicht den J�ger getroffen hat, etwas mit dem Unfall zu tun? Antwort: Ja. J�rgen Mertens hatte bei seiner Zeugenaussage von zwei Sch�ssen erz�hlt, die er nacheinander geh�rt hatte. Der erste Schuss war aus dem unteren Lauf (dem B�chsenlauf) der Waffe abgefeuert worden, der zweite Schuss, den er etwa eine Minute nach dem ersten geh�rt hatte, kam aus dem oberen, dem Flintenlauf, und t�tete den J�ger. Etwa 50 Meter vom Ansitzwagen des J�gers entfernt war den Kriminaltechnikern eine Unebenheit auf dem Grasboden aufgefallen. Ein Projektil hatte hier den sandigen, mit Gras bewachsenen Boden gestreift und lag einige Meter weiter entfernt unter einem Baum. Kaliber 5/57, genau die Patrone, die sich im unteren Lauf der Waffe befunden hatte. Das deutete darauf hin, dass Otto W�chter in der Nacht auf etwas geschossen hatte���beispielsweise auf ein Wildschwein��, es aber verfehlt hatte. Frage: Was hat er danach getan? Im Ratespiel ist das eine verbotene Frage, denn sie l�sst sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. In unserem Fall f�hrte diese Frage, die sich ein besonders hartn�ckiger Kriminalist stellte, auf die entscheidende Spur���allerdings �ber eine weitere Zwischenfrage: Frage: Was tut ein J�ger, der sich im Dunkeln nicht sicher�ist, ob er das ins Visier genommene Wild vom Ansitzwagen aus getroffen hat? Antwort: Er steigt vom Wagen und sieht nach. Aber er ist offenbar nicht weit gekommen, schlie�lich fand man den toten J�ger unmittelbar beim Ansitzwagen. Frage: Und warum lag die Waffe noch im Ansitzwagen, direkt neben dem Sessel? Sie d�rfen gern weiterraten. Die Ermittler jedoch durften sich nicht aufs Raten verlegen. Stattdessen schritten sie noch einmal zur Tat, besser gesagt zum Tat- bzw. Leichenfundort, um der obigen Frage nachzugehen. Dort nahmen die Kriminalisten den Campingstuhl in dem Ansitzwagen genauer unter die Lupe. Und wurden f�r ihre Akribie belohnt. Auf dem Stuhl war ein Sitzkissen mit auf der Oberseite gelegenen Kunststoffkn�pfen befestigt. Einer der Kn�pfe ragte etwas aus dem Kissen heraus. Damit gab es einen Ansatzpunkt f�r ein neues, wenn auch sehr unwahrscheinlich anmutendes Szenario: Frage: Hatte sich vielleicht der Abzug der Waffe an genau dem Knopf verhakt? Antwort: Ja. Die Ermittler rekonstruierten die Situation, indem sie die Waffe noch einmal auf dem Stuhl ablegten. Von der H�he des Einschusses her und auch von der Position�des Abzugs und des Knopfs auf dem Stuhl erschien ein solches Szenario sehr wahrscheinlich. Frage: Doch war der d�nne Faden, an dem der Knopf auf dem Kissen des Stuhles hing, stark genug, um den Abzugswiderstand der Flinte zu �berwinden und den Schuss auszul�sen? Antwort: Ja. Bei der kriminaltechnischen Untersuchung kam heraus, dass man den Abzugswiderstand mit einer Kraft von 23 Newton �berwinden muss, um einen Schuss aus dem B�chsenlauf der Waffe auszul�sen. Bei dem Flintenlauf, aus dem der t�dliche Schuss gekommen war, musste der Widerstand mit einer Kraft von 28 Newton �berwunden werden. Welchen Widerstand konnte der Faden aushalten, bevor er riss? Die Techniker machten die Probe aufs Exempel. Resultat: 28 Newton und mehr. Hier also nun die L�sung unseres rechtsmedizinischen R�tsel-Krimis: Otto W�chter legt nach einem Fehlschuss aus dem Ansitzwagen das Gewehr auf dem Drehsessel ab, um vom Ansitzwagen zu steigen. Dabei kommt der Abzug der Waffe �ber dem lockeren Kissenknopf zum Liegen. Unten angekommen, packt Otto W�chter die ungesicherte Flinte am Lauf und zieht sie gegen alle Vorsicht zu sich heran. Der Abzug verhakt sich, der J�ger zieht im Jagdfieber noch fester an dem Lauf���und sorgt so daf�r, dass der Faden des Knopfes den Abzugswiderstand �berwindet und den t�dlichen Schuss ausl�st. Dass im Moment des Abfeuerns das Gewehr oben�auf dem Stuhl lag und der J�ger unten stand, erkl�rt den bei der Obduktion festgestellten, geringf�gig abw�rts verlaufenden Schusskanals in einem Winkel von f�nf Grad: Aus 130 Zentimeter H�he von der Sitzfl�che des Stuhls aus drang das Geschoss in H�he von 126 Zentimetern in die Brust des J�gers ein und trat auf einer H�he von 121 Zentimetern am R�cken wieder aus dem K�rper aus. Als die Ermittler mir das Ergebnis ihrer akribischen Nachforschungen mitteilten, musste ich den Kopf sch�tteln. Tod durch einen lose sitzenden Knopf an einem Sitzkissen���das war schon ein sehr skurriler t�dlicher Zufall. Vor allem war ich beeindruckt von der detailbesessenen Sorgfalt der mit diesem Fall befassten Kriminalisten, ohne die uns der Geschehenshergang wohl auf immer verborgen geblieben w�re. Die rechtsmedizinischen Untersuchungen waren dagegen zwar nur Standard, doch ohne deren Resultate h�tten die Ermittler an zu vielen falschen Stellen suchen m�ssen. Was mich wieder einmal darin best�rkt hat, auch bei vermeintlichen Routineobduktionen sorgf�ltig und detailgenau zu sein. Nur so k�nnen wir Rechtsmediziner den Ermittlern die n�tigen Fakten liefern, um m�gliche Tatszenarios auszuschlie�en oder zu best�tigen. Wie t�ckisch der Zufall zuschlagen kann, habe ich als Rechtsmediziner oft genug erlebt. In dieser Hinsicht ist der Fall des toten J�gers nur ein besonders spektakul�res Beispiel. Was mich in dieser Hinsicht mehr besch�ftigt, sind die Faktoren, die dazu f�hren, dass es �berhaupt zu solchen Todesf�llen kommt. Todesf�lle durch Jagdwaffen sind, wie schon gesagt, keine Seltenheit���vor allem bei der Hobbyjagd. In einer Studie, die an einem gro�en deutschen Institut f�r Rechtsmedizin durchgef�hrt wurde, wurden 49 Todesf�lle in Verbindung mit Jagdwaffen einmal n�her untersucht. Jeweils 13 davon waren T�tungsdelikte und Unf�lle, 23 waren Suizide. Ich m�chte dem Berufsstand des J�gers in keiner Weise seine Berechtigung absprechen. Nat�rlich ist die waidgerechte Jagd zur Erhaltung von Artenreichtum und gesundem Wildbestand in unseren W�ldern erforderlich, und von Berufsj�gern wird unsere heimische Tier- und Pflanzenwelt gesch�tzt. Auch ist nicht jeder Hobbyj�ger eine potentielle Gefahr f�r seine Mitmenschen. Doch die durch unsachgem��en Umgang mit Schusswaffen verursachten Todesf�lle geben mir immer wieder zu denken. Da ist zun�chst einmal die Hobbyjagd an sich: Ich selbst werde es wohl nie verstehen, warum es f�r viele Menschen eine besondere Faszination ist, sich bei Wind und Wetter in einen zugigen Hochsitz oder eben einen Ansitzwagen zu setzen, und das auch noch im Dunkeln, um auf irgendwelche Tiere zu warten und diese dann zu erlegen. Dieser ausgesprochen einsame und daher sicher auch bisweilen eint�nige Zeitvertreib f�hrt zum zweiten Problem: Alkohol. In meinen Rechtsmedizin-Vorlesungen zum Thema �Schuss� gibt es immer wieder erstaunte Gesichter. Alkohol und t�dliche Feuerwaffen? Das scheint nicht gut zusammenzupassen. Ich erkl�re das dann meist etwas lapidar damit, dass es ja f�r die�J�ger ausgesprochen langweilig sein muss, den ganzen Abend und die ganze Nacht im Dunkeln zu sitzen, ohne sich zu unterhalten, ohne Musik h�ren oder bei Licht lesen zu k�nnen, weil all dies das Wild abschrecken w�rde���f�r manch einen ist die eine oder andere Flasche Bier, ein Fl�schchen Wein oder ab und zu ein kr�ftiger Schluck aus dem Flachmann ein probates Mittel gegen die Langeweile. Und das ist erlaubt? Leider ja. Auch wenn nur wenige Jagdunf�lle darauf zur�ckzuf�hren sind, dass der jeweilige J�ger alkoholisiert war, sollte es dennoch zu denken geben, dass in Deutschland der Genuss von Alkohol w�hrend der Jagd nicht verboten ist, solange dem Besitzer des Jagdscheins keine Abh�ngigkeit vom Alkohol nachgewiesen werden kann. Wer alkoholisiert Fahrrad f�hrt, kann seinen F�hrerschein verlieren. Wer alkoholisiert mit hochgef�hrlichen Feuerwaffen hantiert, hat vom Gesetzgeber meist nichts zu bef�rchten. Trotz dieser kritischen Anmerkungen m�chte ich noch einmal betonen, dass nicht alle Jagdunf�lle auf unverantwortliches Handeln zur�ckzuf�hren sind���wie beispielsweise der tragische Todesfall, zu dem es im Oktober 2008 in der N�he von Berlin kam: Hobbyj�ger veranstalteten eine Treibjagd auf eine Gruppe Wildschweine, die zuvor immer wieder gro�e Sch�den in den Maisfeldern verursacht hatte. Dabei streckte einer der J�ger einen Eber nieder und n�herte sich diesem anschlie�end zusammen mit einem Jagdkollegen. Doch das Tier war nicht tot und fiel den Kollegen des Sch�tzen an. Die Hauer des Tieres���bei Wildschweinen werden�sie bis zu 30 Zentimeter lang���drangen so tief in dessen Oberschenkel ein, dass es zu einer Verletzung der Oberschenkelarterie kam, einem bis zu einem Zentimeter dicken Gef��, aus dem der Mann innerhalb weniger Minuten verblutete. Nackte Tatsachen Es ist kurz vor Weihnachten, als die Rentnerin Ilse Bergheim in aller Fr�he ihren Hund ausf�hrt. Sie wird das Fest wieder allein verbringen, vielleicht wird ihr Sohn anrufen, ein Nachbar wird kurz klingeln. Ansonsten wird nicht viel passieren. So wie in der gesamten Vorweihnachtszeit nichts passiert ist, am ersten und am zweiten Advent. Der Dackel ist das einzige Lebewesen, das immer Zeit f�r sie hat. Sie wird sich beim B�cker ein Br�tchen holen. Auch wie immer. Es ist kalt, grau und diesig, das gleiche Wetter wie an allen Tagen zuvor, und Ilse Bergheims Knochen schmerzen. W�hrend der Woche, wenn die Gesch�fte ge�ffnet sind, geht sie normalerweise noch einkaufen. Bei Edeka um die Ecke, immer die gleichen Waren, immer der gleiche Weg. Vorbei an den h�sslich grauen Sozialwohnungen, wo sie lebt, den vollgeschmierten Garagen, vorbei an der Post und �ber die Kreuzung. Ihr Blick wandert wie immer zum Spielplatz. Zu den verlassenen Schaukeln, zur Wippe und dann �ber den Sandkasten hinweg, einfach, weil es sonst nichts anderes zu sehen gibt. So wie immer. Jeden Tag. Kinder spielen hier selten. Wahrscheinlich ist der Sandkasten l�ngst nur noch ein Hundeklo. Ilse Bergheim blickt schon wieder in eine andere�Richtung, weil ihr die Erfahrung sagt, dass alles genau so gleich und langweilig ist wie immer. Doch auf einmal bellt ihr Hund so laut und anhaltend wie selten, und sie dreht sich um, um nachzusehen, was ihn so aufregt. Was sie sieht, rei�t sie mit einem Mal aus ihrer Lethargie und l�sst sie zusammenzucken. Mitten im Sandkasten liegt ein nackter Mann. Fast nackt. Hose und Unterhose sind bis zu den Fu�kn�cheln heruntergezogen, die linke Hand des Mannes liegt auf seinem Bauch, die rechte Hand liegt ausgestreckt im Sand. Der Mann ist teilweise mit Sand bedeckt. An einem Fu� hat er noch eine wei�e Tennissocke, die andere Socke liegt einige Meter weiter entfernt im Sand. Ebenso wie zwei Schuhe, eine Jacke und zwei Sweatshirts, die �ber den Spielplatz verstreut sind. Schl�ft er? Bei der K�lte? Ist er vielleicht betrunken? Frau Bergheim n�hert sich dem Mann vorsichtig und stupst ihn mit dem Fu� an. Keine Reaktion. Kein Lebenszeichen. Sie hat kein Handy, deshalb ruft sie einen Passanten herbei, der eins hat. Etwa zehn Minuten sp�ter war die Polizei am Einsatzort, zun�chst ein Streifenwagen mit zwei Polizisten, gefolgt von Rettungswagen und Feuerwehr. Die zwei Not�rzte konnten nur noch den Tod des Mannes feststellen. Sein K�rper hatte bereits Leichenflecke ausgebildet. Dem Aussehen nach war er zwischen vierzig und f�nfzig Jahre alt. F�r die Schutzpolizisten sah hier alles nach einem�Ver-brechen aus, denn welcher Mann w�rde sich nackt bei solch eisiger K�lte auf einen Spielplatz legen, um dort zu schlafen oder was auch immer zu tun? Alles war m�glich: ein �berfall, ein Sexualdelikt mit homosexuellem Hintergrund, Raubmord. Noch w�hrend die Kripo im Anmarsch war, sperrten die Polizisten den Spielplatz ab. Auch die Kollegen von der Kripo konnten sich zun�chst keinen Reim darauf machen, was sich hier ereignet hatte. Also spielten sie verschiedene Szenarien durch. Dass es sich um ein T�tungsdelikt handelte, schien wahrscheinlich. Auch sexuelle Handlungen an dem Mann, vor oder nach seinem Tod, waren durchaus denkbar, auch wenn noch keiner von einem Fall geh�rt hatte, bei dem ein etwa vierzigj�hriger Mann bei eisiger K�lte auf einem Spielplatz sexuell missbraucht und im Anschluss daran get�tet worden war. Ebenfalls unklar war, warum der oder die T�ter das Opfer komplett ausgezogen hatte/n. War es eine Art Strafe? Ein Fall von Selbstjustiz an einem, der zuvor jemand anderen missbraucht hatte? Oder den jemand f�r den Triebt�ter hielt? Bei einer ersten Untersuchung des Toten konnten die Beamten keine �u�eren Verletzungen feststellen. W�re es ein Raubmord gewesen, h�tte es Verletzungsspuren geben m�ssen. Au�erdem, warum h�tten der oder die T�ter den Mann danach fast v�llig entkleiden sollen? Um nach verstecktem Kleingeld oder Wertsachen zu suchen oder vom eigentlichen Tatmotiv abzulenken, indem man eine falsche F�hrte legt? Unwahrscheinlich, schlie�lich erh�ht jede Sekunde, die ein T�ter nach der Tat am Ort des Geschehens zubringt, f�r ihn die Gefahr, beobachtet und so von Zeugen wiedererkannt zu werden. Au�erdem zeigten die Taschen der Hose und der Jacke nicht nach au�en, wie dies bei einer hektischen Pl�nderung fast immer der Fall ist. Die Kleidungsst�cke waren zwar �ber die Sandkiste verstreut, aber nicht besch�digt. Au�erdem wurden in den Taschen noch gut 25 Euro Bargeld gefunden. Allm�hlich hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, die hinter der Absperrung neugierig den Ermittlern bei der Arbeit zusah. �Das ist doch der Egon�, sagte pl�tzlich einer der M�nner zu einem Kriminalbeamten. Der Mann berichtete, dass der in dem Sandkasten liegende tote Mann sein �Kumpel� Egon Gillert sei. Auch einige andere Anwohner identifizierten nun den Toten als Egon Gillert. Und sie alle stellten eine Verbindung her zu Alkohol und Saufgelagen. Egon Gillert, 41 Jahre, arbeitslos, wohnte in einem Hochhaus ganz in der N�he. Offenbar alkoholabh�ngig, mit gro�em Bekanntenkreis in der Trinkerszene. Doch niemand wusste von irgendwelchen Feinden oder vorherigen gewaltt�tigen Auseinandersetzungen. Und keiner der vor Ort anwesenden Zeugen hatte Gillert am Abend oder in der Nacht zuvor gesehen. Als die Profis von der Mordkommission eingetroffen waren, hatten sie bereits einen Verdacht, was geschehen sein konnte, aber: Eine endg�ltige Kl�rung w�rde erst die Obduktion des Toten bringen k�nnen. Neben auffallend hellr�tlichen Leichenflecken, die sich auf kr�ftigen Druck mit dem Finger noch�wegdr�cken���das hei�t: kurzfristig zum Verschwinden bringen���lie�en und der noch nicht vollst�ndigen Leichenstarre fielen mir als Erstes die violetten Hautverf�rbungen an den Streckseiten beider Ellbogen sowie an der Vorderseite der rechten Kniescheibe auf. Diese violetten Hautverf�rbungen, die sich deutlich von der umgebenden intakten Haut abgrenzten, lie�en sich auf Fingerdruck nicht wegdr�cken. Solche Verf�rbungen, die manchmal auch scharlachrot aussehen und sich typischerweise an den Streckseiten gr��erer Gelenke wie eben Knie oder Ellenbogen finden lassen, werden in der Rechtsmedizin �K�lteflecken� genannt. Denn sie weisen darauf hin, dass der Verstorbene kurz vor seinem Tod aller Wahrscheinlichkeit nach stark unterk�hlt war. Dies war in unserem Fall nicht verwunderlich, da die Temperatur in der Nacht bis auf minus 10 Grad gesunken war. Nahezu 90 Prozent der an Unterk�hlung Gestorbenen haben solche K�lteflecken an Knien oder Ellenbogen. Auch die auffallend hellr�tliche Farbe der Leichenflecke (die �blicherweise blauviolett oder blaugrau sind) war typisch f�r eine Unterk�hlung. Hie� das nun zwangsl�ufig, dass Egon Gillert erfroren war? Nein. �berhaupt l�sst sich Unterk�hlung (�Erfrieren�) als Todesursache durch eine Obduktion, eine toxikologische Analyse oder andere rechtsmedizinische Untersuchungsmethoden nicht wirklich�beweisen.�Man kann als Rechtsmediziner nur durch Ausschluss aller anderen m�glichen Todesursachen beim Erfrieren als der einzigen noch �brigen Todesursache ankommen. Man nennt das eine �Ausschlussdiagnose�. Nat�rlich gibt es auch bei dieser Diagnose zus�tzliche Kriterien. So spielen die genaue Untersuchung des Leichenfundortes und die Dokumentation der Umgebungstemperatur und Windverh�ltnisse, bei denen ein Toter aufgefunden wird, eine entscheidende Rolle. Bei dem Mann aus dem Sandkasten war mir noch etwas anderes aufgefallen: Die Leichenstarre des Verstorbenen war auch jetzt, als er bei uns auf dem Obduktionstisch lag, nicht vollst�ndig. Beim Ber�hren von Armen und Beinen gaben die Gelenke noch etwas nach, waren also noch nicht�starr.�Das hie�, dass Gillert noch nicht lange tot sein konnte, denn bis zur kompletten Leichenstarre dauert es nur wenige Stunden. Allerdings hatten die Kollegen von der Spurensuche bereits am Einsatzort mit einem speziell daf�r entwickelten Thermometer die Rektaltemperatur gemessen: 23 Grad. Nach der Temperaturmethode zur Todeszeitbestimmung bedeutete das, dass Egon Gillert schon deutlich fr�her nicht mehr am Leben gewesen war. Der Hintergrund f�r die Temperaturmethode: Nachdem die K�rpertemperatur eines Toten innerhalb der ersten drei Stunden nach Eintritt des Todes relativ konstant bei 37 Grad Celsius bleibt, sinkt sie in der Folge um jeweils ein Grad Celsius pro Stunde. Deshalb l�sst sich bei Kenntnis der Umgebungstemperatur anhand der Rektaltemperatur die ungef�hre Todeszeit schlicht errechnen. In unserem Fall: 37 (Grad durchschnittliche K�rpertemperatur) + 3 (Stunden ohne Temperatur�nderung)���23 (Grad K�rpertemperatur des Toten) =17 (Stunden seit Todeszeitpunkt vergangen). Dies passte auf den ersten Blick nicht zu der unvollst�ndigen Leichenstarre. Einundzwanzig Stunden nach dem Tod, so viele w�ren nach dieser Berechnung zum Zeitpunkt der Obduktion schon vergangen, h�tten alle�Gelenke durch die Totenstarre vollkommen hart und steif sein m�ssen. Auch passte es vordergr�ndig nicht zu der Tatsache, dass man die Leichenflecke immer noch wegdr�cken konnte; ab etwa 12 bis 14 Stunden nach dem Tod sind Leichenflecke �fixiert� und nicht mehr optisch zu manipulieren. Dieses scheinbare Paradox war ein weiterer Hinweis, dass wir es mit einem bekannten Sonderfall zu tun hatten���Tod durch Erfrieren. In solchen F�llen �ndern sich die Parameter: Wegen der zunehmenden Ausk�hlung des K�rpers sinkt die K�rpertemperatur des Erfrierenden schon zu Lebzeiten erheblich unter 37 Grad Celsius ab. Ein unterk�hlter Mensch stirbt bei einer K�rpertemperatur von etwa 25 Grad, da es bei diesem Wert zu irreversiblen Herzrhythmusst�rungen (�Herzkammerflimmern�) kommt. In der Rechnung der Temperaturmethode bedeuten 12 Grad weniger Ausgangsk�rpertemperatur eine um 12 Stunden sp�tere Todeszeit. Egon Gillert starb an Unterk�hlung bei einer K�rpertemperatur von etwa 25 Grad, erst danach bildeten sich Leichenflecke und Leichenstarre. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war seine K�rpertemperatur bereits auf 23 Grad gesunken, er war also gem�� der obigen Formel f�nf, nicht siebzehn Stunden zuvor gestorben. Das erkl�rte auch die noch wegdr�ckbaren Leichenflecken und die unvollst�ndige Leichenstarre. Der Mediziner spricht bei K�rpertemperaturen von unter 35 Grad Celsius von �Hypothermie� (das griechische Wort f�r Unterk�hlung). Stirbt jemand an Unterk�hlung, hei�t es im rechtsmedizinischen Protokoll entsprechend �Todesursache: Hypothermie� oder auch �Erfrierungstod�. Eigentliche Todesursache sind wie bereits erw�hnt die von der niedrigen K�rpertemperatur verursachten Herzrhythmusst�rungen. Verschiedene andere Faktoren k�nnen bei einer Unterk�hlung den Erfrierungstod beschleunigen: schon vorher bestehende innere Erkrankungen, Immobilit�t und die dadurch fehlende Muskelbet�tigung, die bei Gesunden W�rme erzeugt; eine schlechte Gesamtkondition; langfristige physische Belastung; chronische Unterern�hrung; feuchte oder nasse Bekleidung und vor allem starker Alkoholkonsum. Auch sind Kinder st�rker gef�hrdet als Erwachsene, da Kinder eine im Verh�ltnis zum K�rpergewicht gr��ere K�rperoberfl�che als Erwachsene haben und entsprechend mehr K�rperw�rme abgeben. Ab 35 Grad Celsius l�sst die k�rpereigene W�rmeproduktion nach, der Stoffwechsel wird heruntergefahren, das Blut verdickt sich, und es k�nnen sich Thrombosen (Blutgerinnsel) bilden. Atmung, Blutdruck und Pulsfrequenz des Unterk�hlten verlangsamen sich. Dennoch kommt es bei Unterk�hlten bis zu einer K�rpertemperatur von circa 32 Grad zu keiner Einschr�nkung des Bewusstseins, d.h., der Betroffene wird nicht bewusstlos oder f�llt ins Koma; er sp�rt nur die K�lte. Sinkt die K�rpertemperatur weiter unter 32 Grad ab, wird der Pulsschlag noch langsamer, und auch der Blutdruck sinkt weiter ab, und ab jetzt kommt es zur Bewusstseinstr�bung. Paradoxerweise kann sich bei stark unterk�hlten Personen, vermittelt durch ein kompliziertes Netzwerk verschiedener Botenstoffe (�Transmittersubstanzen�), die im Gehirn freigesetzt werden, ein Gef�hl innerer W�rme einstellen. Durch die Bewusstseinstr�bung verlieren Unterk�hlte oft die Orientierung und st�rzen unkontrolliert zu Boden. Ab etwa 25 Grad K�rpertemperatur setzt Herzkammerflimmern ein, und es kommt schlie�lich zum Tod durch langsam einsetzenden Herzstillstand. Todesf�lle durch Unterk�hlung begegnen uns Rechtsmedizinern aus naheliegenden Gr�nden fast ausschlie�lich in den kalten Monaten November bis Februar. Opfer sind haupts�chlich Obdachlose, die im Freien �bernachten, aber durchaus auch Wintersportler, die mit falscher Kleidung oder in ersch�pftem oder alkoholisiertem Zustand Ski fahren oder auf Berge steigen. Allerdings, und das wird viele �berraschen, ist ein Tod durch Unterk�hlung auch bei plus 10 Grad Celsius Umgebungstemperatur m�glich. Ich wei� von sozial schw�cher gestellten Menschen, die in ihrer Wohnung auch bei Plusgraden erfroren sind���weil sie entweder ihre Wohnung aus Kostengr�nden kaum beheizt hatten oder ihnen die Heizung vom Energieversorger wegen ausstehender Rechnungen abgestellt worden war. Die Annahme, man w�rde nur bei Minusgraden erfrieren, ist falsch. Laut Statistik wird in Deutschland fast die H�lfte aller an Unterk�hlung Gestorbenen in ihrer unbeheizten Wohnung aufgefunden. Der Mann auf dem Sektionstisch war allerdings drau�en in der K�lte erfroren���bei minus 10 Grad im Sandkasten. Als wir die Bauchdecke aufschnitten, str�mte uns ein �kr�ftiger, aromatischer, sehr wahrscheinlich alkoholischer Geruch� entgegen, wie ich im Protokoll vermerkte. Der Begriff�aromatisch�als Umschreibung f�r einen fraglichen Alkoholgeruch (�hnlich dem s��lichen Geruch von g�rendem Obst), den der Obduzent wahrnimmt, hat sich in der Rechtsmedizin durchgesetzt, auch wenn Speisealkohol (Ethanol) in der organischen Chemie nicht zu den �aromatischen Verbindungen� gez�hlt wird. Nachdem ich den Magen des Toten, dem ebenfalls ein starker aromatischer Geruch entstr�mte, aufgeschnitten hatte, entdeckte ich einen weiteren Hinweis auf einen Tod durch Unterk�hlung: Die Magenschleimhaut zeigte an vielen Stellen zwischen 0,2 und 0,6 Zentimeter durchmessende rundliche schwarze Flecken, die der Magenschleimhaut das Aussehen eines Leopardenfells verliehen. Dies ist der typische Befund sogenannter �Wischnewsky-Flecken�, benannt nach ihrem Erstbeschreiber, einem russischen Rechtsmediziner. Solche Flecken entstehen dadurch, dass bei Unterk�hlung das Blut im K�rper langsamer zirkuliert und sich infolgedessen nicht nur Thrombosen bilden, sondern sich auch der rote Blutfarbstoff, das H�moglobin, in Gef��en der Magenschleimhaut ablagert. Nach dem Tod eines Menschen kommt es zur �Andauung� (nur in Fachkreisen gebr�uchliches Wort f�r �teilweise Verdauung�) der Magenschleimhaut durch die im Magensaft befindlicheSalzs�ure. Bei Unterk�hlten wird zus�tzlich das in den Gef��en der Magenschleimhaut abgelagerte H�moglobin angedaut, das sich dadurch bedingt schwarz verf�rbt und die besagten Wischnewsky-Flecken hervorruft. Als weiteren pathologischen Befund diagnostizierten wir bei Gillerts Leiche eine Fettleber���ein klares Indiz f�r jahrelangen starken Alkoholkonsum. Kurz vor Ende der Obduktion erhielten wir von unserem toxikologischen Labor das Ergebnis der Blutalkoholanalyse von Gillert: 1,89 Promille. Damit war nicht nur klar, warum dem Toten nach �ffnung von Bauchh�hle und Magen ein aromatischer Geruch entstr�mt war, sondern auch, dass Gillert zum Zeitpunkt seines Todes und damit zwangsl�ufig auch in der Phase seiner Unterk�hlung ganz erheblich alkoholisiert gewesen war. Da die Leber nach dem Tod den Alkohol im Blut nicht weiter abbaut, entspricht die im Labor festgestellte Blutalkoholkonzentration dem Blutalkoholspiegel zum Zeitpunkt des Todes. Abgesehen von der Fettleber fanden sich bei der Untersuchung der �brigen inneren Organe keine weiteren krankhaften Ver�nderungen, die den Tod Gillerts h�tten erkl�ren k�nnen. Alles sprach somit f�r eine �Unterk�hlung in Kombination mit h�hergradiger Alkoholisierung�. Aber was hatte Gillert veranlasst, sich fast komplett zu entkleiden und all seine Kleidung um sich herum zu verstreuen, wenn niemand sonst vor Ort gewesen war? Die naheliegende Antwort����der viele Alkohol in seinem Blut����ist nur die halbe Wahrheit. Alkohol als�Sterbehelfer�beim Erfrierungstod ist keine Seltenheit���im Gegenteil. Die meisten Erfrierungsopfer stehen zum Zeitpunkt des Todes unter Alkoholeinfluss; meist sogar mit einer Blutalkoholkonzentration von zwei bis drei Promille.Alkohol ist definitiv der wichtigste Risikofaktor f�r eine t�dlich verlaufende Hypothermie. Wie aber wirkt Alkohol als Prozessbeschleuniger des Erfrierens? Gew�hnlich h�lt der menschliche Organismus mit Hilfe des W�rmeregulationszentrums, das im Hypothalamus���dem Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems���und im limbischen System des Gehirns lokalisiert ist, die K�rpertemperatur von knapp 37 Grad Celsius konstant aufrecht. Diese W�rmeregulierung steuert dabei nicht nur die W�rmeproduktion, sondern auch den W�rmeerhalt unseres K�rpers. Nun sollte man denken, dass Alkohol doch eigentlich eher W�rme verbreitet als W�rme entzieht. Haben doch die meisten Nichtabstinenzler schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Alkohol bereits in geringer Dosis, z.B. ein kleiner Schnaps auf der Skih�tte, ein wohliges W�rmegef�hl erzeugt. Alkohol erweitert die Blutgef��e in der Haut und verst�rkt damit die Hautdurchblutung, dies sorgt f�r ein tr�gerisches Gef�hl von W�rme. In h�heren Konzentrationen ver�ndert Alkohol zus�tzlich noch die Wahrnehmung der Au�entemperatur durch unser W�rmeregulationszentrum im Gehirn. Was sich eigentlich kalt anf�hlen m�sste, f�hlt sich nach einigen Schn�psen gar nicht mehr so kalt an. In diesem Sinne kann man aus medizinischer Sicht Alkohol getrost als �neurotoxisch�, also als Nervengift bezeichnen. Zudem hat Alkohol bei einem Blutalkoholspiegel von �ber einem Promille eine so stark gef��erweiternde Wirkung, dass er den W�rmeverlust rapide beschleunigt. Erweiterte Gef��e geben ihre W�rme schneller an die Umgebung ab und nehmen im Gegenzug die Umgebungsk�lte von au�en schneller auf, was dazu f�hrt, dass der Mensch schneller ausk�hlt. Auch wird bei h�herem Blutalkoholspiegel nicht nur das Temperaturempfinden gest�rt, sondern es werden auch die geistigen Funktionen eingeschr�nkt. So kommt der Erfrierende gar nicht auf die Idee, sich als Schutz gegen die K�lte zu bewegen oder sich so schnell wie m�glich in die W�rme zu begeben. Ferner hat Alkohol, als �ltestes Narkotikum unseres Kulturkreises, bekannterma�en auch eine schmerzstillende Wirkung. Finger und Zehen f�hlen sich dann gar nicht so kalt an, wie sie eigentlich sind. All diese Faktoren f�hren dazu, dass Betrunkene h�ufiger und schneller erfrieren als nicht Alkoholisierte. Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Exkurs, den ich mir als Hardrock-Freund nicht verkneifen kann���n�mlich zu Bon Scott, dem am 19. Februar 1980 gestorbenen legend�ren ersten S�nger der australischen Hardrockband �AC/DC�. Auf dem im King's College Hospital in London ausgestellten Totenschein von Bon Scott steht als Todesursache �Alkoholvergiftung�. Von Fans wird seit Jahrzehnten kolportiert, er w�re an seinem Erbrochenen erstickt. M�glicherweise kennen Sie die Geschichte. Es war circa drei Grad �ber dem Gefrierpunkt an diesem Abend vor Scotts Todestag, als der S�nger mit seinem Kumpel Alistair Kinnear im Londoner Stadtteil Camden Town�auf Kneipentour ging. Nach der durchzechten Nacht fuhr Kinnear beide in den fr�hen Morgenstunden mit seinem Renault nach Hause. Bon Scott war auf dem Beifahrersitz des Wagens eingeschlafen und nicht wach zu kriegen. Deshalb fuhr Kinnear zu sich nach Hause nach South London, um Bon Scott in seiner Wohnung auf die Couch zu legen. Doch als er den Schlafenden aus dem Auto hieven wollte, stellte er fest, dass Scotts K�rper schwer wie Blei war und er ihn unm�glich tragen konnte. Kinnear lie� Bon Scott daher im Auto zur�ck, stellte vorher die R�cklehne des Beifahrersitzes, auf dem Scott schlief, so weit wie m�glich nach hinten, damit der Schlafende flach liegen konnte, legte ihm einen Zettel mit seiner Adresse und Telefonnummer auf das Armaturenbrett und schleppte sich selbst ins Bett. Gegen elf Uhr morgens wurde Kinnear nach circa sechs Stunden Schlaf von einem Freund geweckt, der an der T�r klingelte. Noch reichlich wackelig auf den Beinen bat er den Freund darum, kurz zu seinem Auto zu schauen und ihm zu sagen, ob Bon Scott noch darin schlafen w�rde. Der Freund meinte, Bon sei nicht mehr da. Erleichtert dar�ber, dass es Scott offenbar wieder gutging und er nach Hause gegangen war, verkroch Kinnear sich wieder ins Bett und schlief weiter. Als Kinnear allerdings an diesem Abend zu seinem Auto ging, durchfuhr ihn der Schreck seines Lebens: Bon Scott lag noch immer im Wagen, genau so, wie er ihn in der Nacht zuvor zur�ckgelassen hatte. Hatte der Freund nicht behauptet, Bon Scott w�re nicht mehr im Auto gewesen? Hatte er den Schlafenden etwa nur�nicht bemerkt, weil Kinnear am Abend zuvor den Beifahrersitz auf Liegeposition gestellt hatte? Oder hatte der Freund gar im falschen Auto nachgesehen? Kinnears Verwirrung schlug in Entsetzen um, als er die T�r des Wagens �ffnete und merkte, dass Bon Scott nicht mehr atmete. Dass er an einer Alkoholvergiftung gestorben war (�Drunk to himself�, wie es w�rtlich auf seinem Totenschein hei�t), ist bei einem exzessiven Alkoholiker, wie Bon Scott es war, sehr unwahrscheinlich. Bon Scott lag bei circa drei Grad Celsius Au�entemperatur stark alkoholisiert, nur mit einer Jeansjacke und einem T-Shirt nicht unbedingt winterfest bekleidet, sechzehn Stunden lang in Kinnears Wagen. Vor dem Hintergrund all dieser Tatsachen bin ich mir sicher, dass Bon Scott schlicht und einfach erfroren ist. Zur�ck zu der Frage, warum Egon Gillert fast nackt gewesen war, als die Rentnerin ihn entdeckt hatte. �Keine Zeichen von todesurs�chlicher oder mittodesurs�chlicher Gewalteinwirkung�, diktierte ich f�r das Sektionsprotokoll. Egon Gillert war weder misshandelt oder sexuell missbraucht noch ermordet worden. Und die Vorstellung, dass er sich bei Minustemperaturen mit einer Freundin oder einem Freund f�r eine lauschige Liebesnacht auf dem Spielplatz entkleidet hatte, war trotz Trunkenheit zu abwegig, um sie �berhaupt in Betracht zu ziehen. Trotzdem hatte Egon Gillert sich selbst entkleidet. Warum? Die 1,89 Promille Alkohol waren, wie ausf�hrlich erkl�rt, ein Teil der Wahrheit. Und der andere? Was Nichteingeweihten wie ein Mysterium erscheint, ist in Wahrheit der deutlichste Hinweis, dass der Mann tats�chlich an nichts anderem als an Unterk�hlung gestorben ist: Jedem Rechtsmediziner begegnet hin und wieder das Ph�nomen, dass Unterk�hlte kurz vor Bewusstseinsverlust und nachfolgendem Tod ihre Kleidung ausziehen. Das sogenannte �paradoxe Entkleiden�, auch �K�lteidiotie� genannt, r�hrt von dem oben schon erw�hnten W�rmegef�hl her: Der Erfrierende bildet sich ein, ihm w�re hei�, und tut das, was Menschen bei tats�chlicher Hitze tun, sofern die Situation dies zul�sst: Er rei�t sich die Klamotten vom Leib. Sind die am Leichenfundort eingesetzten Polizeibeamten nicht mit diesem Ph�nomen vertraut, wird der Umstand, dass die oder der Tote nackt ist (�Leiche liegt nackt im Park�), h�ufig als Hinweis auf ein vorangegangenes Sexualdelikt interpretiert. Ermittlungen k�nnen so schon mal in eine vollkommen falsche Richtung laufen. Dabei ist die K�lteidiotie �hnlich wie der Erfrierungstod in Kombination mit Alkohol kein seltenes Ph�nomen. �ber die H�lfte aller Erfrierungstodesf�lle in Deutschland ereignet sich in Kombination mit diesem paradoxen Entkleiden. Ich erinnere mich noch an den Fall eines 78-j�hrigen Rentners, der tot und v�llig unbekleidet im Winter in seinem Garten gefunden wurde. Er war schwer betrunken aus einer Kneipe nach Hause zur�ckgekehrt und hatte seinen Schl�ssel nahe dem Haus verloren. W�hlspuren im Rasen zeigten, wo er nach dem Schl�ssel gesucht haben musste, bis bei ihm, bedingt durch K�lte und zus�tzlichen Alkoholeinfluss, das paradoxe W�rmegef�hl eingesetzt hatte. Er hatte dann Schuhe, Hose, Jacke, Mantel und M�tze von sich geworfen und war im Garten erfroren. Ein Kollege von mir erz�hlte mir von einem bizarren Fall, mit dessen rechtsmedizinischer Untersuchung er betraut war. Dabei wurden im tiefen Winter zwei �bel zugerichtete Obdachlose nackt und tot in einem Park im Ruhrgebiet aufgefunden, ihre Kleidung war �ber den gesamten Park verstreut. Nachdem die Polizei zun�chst, �hnlich wie in unserem Fall, spekuliert hatte, ob sie es mit einer brutalen Vergewaltigung zu tun hatten, f�hrte die Obduktion zu entscheidenden Hinweisen auf den tats�chlichen Geschehensablauf: Die beiden Obdachlosen hatten sich gemeinsam mit billigem Schnaps betrunken und waren dabei durch die Gegend gezogen. Als sie den Park erreicht hatten, entwickelte sich zwischen ihnen ein Streit, der in eine heftige Pr�gelei m�ndete. Absch�rfungen, Schwellungen, Nasenbeinbr�che und Platzwunden waren den beiden gem�� der rechtsmedizinischen Rekonstruktion nicht von einem Dritten, sondern jeweils vom Gegen�ber beigebracht worden. Ersch�pft von der Pr�gelei und narkotisiert vom Alkohol d�mmerten beide langsam ein, entwickelten in ihrem deliranten Zustand ein paradoxes W�rmegef�hl, zogen sich aus und erfroren dort im Park. Wenn Menschen hierzulande erfrieren, geschieht dies meist selbstverschuldet und ohne Einwirkung Dritter. Man�erfriertund�wird nicht erfroren. Trotzdem kann der Tod durch Unterk�hlung, auch wenn er von niemandem absichtlich herbeigef�hrt wird, strafrechtlich von Bedeutung sein, und zwar dann, wenn hilflose Menschen bei niedrigen Au�entemperaturen oder in kalten R�umen zur�ckgelassen werden. H�tte beispielsweise ein Saufkumpan Egon Gillert in dessen hochgradig betrunkenem Zustand, und damit mehr oder weniger hilflos, auf dem Spielplatz bei Minustemperaturen zur�ckgelassen, k�nnte das den Strafbestand der unterlassenen Hilfeleistung bzw. des Aussetzens erf�llen. So hei�t es in � 323c des deutschen Strafgesetzbuches zur unterlassenen Hilfeleistung: �Wer bei Ungl�cksf�llen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umst�nden nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten m�glich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.� �ber Aussetzung informiert � 221: �(1)Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich l�sst, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitssch�digung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu f�nf Jahren bestraft.� Ph�nomene wie paradoxes Entkleiden auf einem Kinderspielplatz bei 10 Grad unter Null oder Obdachlose, die sich bei eisiger K�lte nach einer Pr�gelei ausziehen, wirken so grotesk, dass manch einer nicht nur den Kopf sch�ttelt, sondern sich auch ein Grinsen nur schwer verkneifen kann. Das Grinsen vergeht einem jedoch sp�testens dann, wenn man wei�, wo ein Gro�teil des Wissens der modernen Medizin �ber Hypothermie und K�ltetod seinen Ursprung hat. Es ist allgemein bekannt, dass die Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern, insbesondere in Dachau und Auschwitz, medizinische Experimente mit H�ftlingen durchgef�hrt haben. Zun�chst hatten die Stabs�rzte von Armee und Luftwaffe festgestellt, dass Tierversuche nicht die gesuchten Ergebnisse brachten. Ihr Auftrag: Nach wissenschaftlichen Grundlagen zu forschen, auf denen sich neue Rettungsanz�ge f�r Marinesoldaten und Piloten entwickeln lie�en, die vor extremen Umgebungstemperaturen, z.B. im eisigen Wasser der Nord- und Ostsee, sch�tzten. Daher ging man in einem n�chsten Schritt zu Menschenversuchen �ber���orchestriert von der deutschen Versuchsanstalt f�r Luftfahrt und unter der �Schirmherrschaft� des Reichsf�hrers SS, Heinrich Himmler, einem der Hauptverantwortlichen f�r den Holocaust. Bei diesen Experimenten lie� man zum Beispiel H�ftlinge nackt oder auch mit einer Fliegeruniform bekleidet in Eiswasser schwimmen und leitete gleichzeitig ihre Herzfunktion �ber EKG-Elektroden ab und ma� die Rektaltemperatur. Andere KZ-H�ftlinge legte man stundenlang in eisigen Wintern�chten nackt und gefesselt auf die Erde und �bersch�ttete sie in regelm��igen Abst�nden mit kaltem Wasser, um die Rolle von Wasser als Beschleuniger des Erfrierungstodes zu untersuchen. Wieder andere wurden abwechselnd mit Eiswasser und kochend hei�em Wasser �bersch�ttet. Auch vor Kindern und Babys machten die Nazischergen nicht halt. Dass dies barbarische Qu�lereien durch Sadisten waren, steht au�er Frage. �Sofern es prinzipiell dem Wohl des Staates dient, sind Menschenversuche zu tolerieren�, war Hitlers Ansicht zu diesen medizinischen Folterungen. Gedanken an die Schmerzen der Opfer verschwendete man nicht. Aus den Akten der N�rnberger Prozesse ist zu entnehmen, dass die KZ-�rzte ihre Opfer schlie�lich narkotisieren�mussten����was sie vorher aus Kostengr�nden nicht getan hatten��, da die Schmerzenschreie so laut waren, dass sie auch in den Ortschaften rund um das Lager zu h�ren waren und so f�r unerw�nschte Aufmerksamkeit sorgten. Leider kann man diese Versuche nicht als Barbarei einer l�ngst �berwundenen Vergangenheit abtun, mit denen wir nie mehr etwas zu tun haben. Denn die Resultate dieser Experimente sind dem modernen Mediziner allgegenw�rtig. Das Perverse���mir f�llt wirklich kein passenderes Wort ein���ist, dass ein Gro�teil des medizinischen Wissens in den gegenw�rtigen universit�ren Physiologieb�chern zu Thermoregulation und Erfrierungstod und auch das, was wir Rechtsmediziner �ber den Tod durch Unterk�hlung wissen, seinen Ursprung in den Menschenversuchen der KZ-�rzte hat. Entzweigeteilte Ermittlung Das rechtsmedizinische Obduktionsprotokoll ist Teil eines jeden strafrechtlichen Todesermittlungsverfahrens und wird daher immer dann angefertigt, wenn es um einen nicht nat�rlichen Tod geht bzw. um den Verdacht, dass es sich um einen solchen handelt. In diesem Kapitel gebe ich Ihnen einen ausf�hrlichen Einblick in ein solches Protokoll; damit k�nnen Sie mir bei meiner Arbeit noch etwas genauer als bisher �ber die Schulter blicken. Die folgenden Ausz�ge stammen aus einem authentischen, wenn auch aus rechtlichen Gr�nden anonymisierten Protokoll zu einem spektakul�ren Fall, mit dem unser Institut betraut war. PROTOKOLL �ber die am xx.xx.xxxx im Institut f�r Rechtsmedizin xx durch die �rzte 1. Prof. Dr. med. Michael Tsokos 2. Dr. med. xx unter Assistenz von 3. Frau xx vorgenommene Leichen�ffnung Die Leichen�ffnung f�hrte zu den nachstehenden, zun�chst auf Tontr�ger aufgenommenen Ergebnissen. A. �USSERE BESICHTIGUNG 1. Die Augen ge�ffnet. Vorquellung der Aug�pfel, die Hornh�ute getr�bt, die Augenbindeh�ute wie ausgewaschen, blass, nicht mehr beurteilbar. 2. Die gesamte Oberhaut (soweit vorhanden, s. u.) von Kopf und Hals (einschlie�lich Gesicht und behaarter Kopfhaut) f�ulnisver�ndert, gr�nlich-gr�ulich, erweicht und leicht abl�sbar. 3. Fehlen von Haut- und Weichteilstrukturen im Bereich der Nasenspitze und des Nasenr�ckens. Freiliegen des kn�chernen Nasenskeletts und der Nasenscheidewand. 4. Freiliegen des jauchig erweichten Unterhautgewebes im rechten Kieferwinkelbereich. Entsprechender Befund unterhalb des Kinns in der linksseitigen Wangenregion mit Freiliegen der Kiefermuskulatur. Der Blick auf die Z�hne des linken Oberkieferquadranten liegt frei. 5. Die rechte Ohrmuschel intakt. Beide Ohrl�ppchen nicht angewachsen, keine pr�formierten L�cher im Sinne von Hinweis auf fr�her getragenen Ohrschmuck. 6. Die linksseitige Ohrmuschel weist grobfetzige Defekte in ihren �u�eren Anteilen auf, keine Unterblutungen, das hier freiliegende Weichgewebe�hellgr�nlich-gr�ulich imponierend (dieser Defekt grobsichtig sehr wahrscheinlich auf postmortalen Tierfra� zur�ckzuf�hren). 7. Eigenes, festsitzendes Gebiss des Oberkiefers. Der erste Schneidezahn des rechten Unterkieferquadranten fehlt, das dazugeh�rige Zahnfach ist offen. Im linken unteren Quadranten vollst�ndiges, eigenes Gebiss. Zum Zahnstatus s. �B. INNERE BESICHTIGUNG�. 8. Am Kinn noch vereinzelte schw�rzlich-dunkelbr�unliche Bartstoppeln (bis 0,2 cm lang) erkennbar. 9. Schmierige, pastellartige Erweichung der Halseingeweide, soweit von der Abtrennungsstelle her einsehbar. 10. Im Nackenbereich bis 16 Zentimeter langes, dunkles, vermutlich vormals br�unliches Haar, leicht ausziehbar. 11. Die Wundr�nder am Hals teilweise relativ glatt begrenzt, teilweise auch grobfetzig, teilweise (bei eingeschr�nkter Beurteilbarkeit durch Leichenf�ulnisver�nderungen) von einem bandartigen, bis 0,5 cm breiten Vertrocknungssaum (Sch�rfungszone) umgeben; in dem darunter freiliegenden Weichgewebe des Halses grobsichtig keine Unterblutungen feststellbar. 12. Vereinzelt kleinere Muscheln im Bereich der Wundrandanteile an der Kopfunterseite bzw. Abtrennungsstelle des Kopfes am Hals (werden asserviert). 13. In den �u�eren Geh�rg�ngen schw�rzlichbr�unliches, k�rniges Material, grobsichtig Sand und Kies entsprechend (Material wird asserviert). Und? Haben Sie als interessierter Laie etwas verstanden? Was denken Sie, wie dieser Mensch wohl zu Tode gekommen ist? Eines ist Ihnen sicher aufgefallen: Es ist nur von einem Kopf die Rede. Der Grund daf�r ist ebenso einfach wie unheimlich���wir hatten nur den Kopf! Es war ein Sonntagnachmittag im Herbst, als Spazierg�nger den Kopf am Elbstrand entdeckten. F�r sie, die in sonnt�glicher Idylle die Landschaft und die frische Luft genie�en wollten und aller Wahrscheinlichkeit nach noch nie zuvor einen Toten aus der N�he gesehen hatten, muss es eine grausige Erfahrung gewesen sein. Denn der Anblick, der sich uns bot, als der Kopf auf dem Sektionstisch lag, war auch f�r uns keineswegs allt�glich: Leichenf�ulnisprozesse hatten das Gesicht fast aller Konturen beraubt. Nur an den Bartstoppeln konnte man erkennen, dass es sich um den Kopf eines Mannes handeln musste. Die Haare waren zum Gro�teil ausgefallen, daher lie� sich die Haarl�nge nicht eindeutig feststellen, und auch in Bezug auf die Haarfarbe konnten wir nur mutma�en. Zudem hatte das Wasser die Haut des Kopfes aufgeweicht und die Gesichtshaut in eine graue Substanz verwandelt, die an Gummi erinnerte. Die glasigen, nahezu pupillenlosen Augen quollen aus den H�hlen hervor. Die Hornh�ute waren tr�b�und hatten ihren Glanz v�llig verloren. Im Bereich der Abtrennungsstelle hatten sich bereits Muscheln angesiedelt. Fische und andere Meerestiere hatten Gewebeteile aus dem einen Ohr herausgebissen, und durch die zunehmende Verwesung lagen auf der linken Seite Kiefermuskulatur und Backenz�hne frei, was den Mund zu einer schaurigen Grimasse verzerrte. Spricht man bei einem einzelnen abgetrennten Kopf eigentlich von einer Leiche? Ja, denn als Leiche gilt nach den Bestattungsgesetzen einiger Bundesl�nder auch ein K�rperteil, ohne den ein Mensch nicht lebensf�hig ist, wie z. B. der Kopf oder der kopflose Rumpf. Andere Organe oder Gliedma�en, wie z.B. Arme oder Beine, gelten hingegen als �Leichenteile�, sofern sie nicht aus medizinischen Gr�nden operativ entfernt, also amputiert wurden���in dem Falle spricht man von �Amputaten�. Wann immer also ein Kopf ohne K�rper gefunden wird, werden sofort Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizin eingeschaltet, da allein das Fehlen des K�rpers auf einen nicht-nat�rlichen Tod hindeutet. Also musste unser rechtsmedizinisches Team bei der Obduktion des am Elbstrand gefundenen Kopfes dasselbe tun wie bei jedem vollst�ndigen Leichnam: Hinweise zur Todesursache, zur Identifizierung und zum Tat- bzw. Geschehenshergang finden. Und nat�rlich war zu kl�ren, ob der Mann, dessen Kopf wir untersuchten, vor oder nach seinem Tod enthauptet worden war. B. INNERE BESICHTIGUNG I. KOPFSEKTION 1. Er�ffnen der Kopfschwarte �ber einen im Hinterhauptsbereich von Ohr zu Ohr gesetzten Schnitt: die Kopfschwarte ohne Unterblutungen. 2. Kreisf�rmiges Er�ffnen des kn�chernen Sch�deldaches mit der oszillierenden Knochens�ge. Kein fremder Inhalt zwischen innerem Sch�deldach und harter Hirnhaut; kein fremder Inhalt zwischen harter Hirnhaut und der Oberfl�che des (durch F�ulnis) in der Sch�delh�hle zur�ckgesunkenen Gehirns. 3. Das Sch�deldach wird abgehoben. Die harte Hirnhaut wird mit einem Spatel vom inneren Sch�deldach gel�st; sie ist unauff�llig und weist grobsichtig keine Blutanlagerungen auf. 4. Inspektion der Innenseite des kn�chernen Sch�deldaches: Die Pfeilnaht von der Sch�delinnenseite her nicht vollst�ndig kn�chern verschlossen. 5. Die Hirnmasse muss aufgrund ihrer Erweichung zum Teil mit einem L�ffel aus dem Sch�delinneren entnommen werden. 6. Entnahme der noch vorhandenen Halsweichteile (Zunge, tiefer Rachen, Kehldeckel und Zungenbein) �ber einen von der Abtrennungsstelle des Kopfes bis unter die Kinnspitze mit einem Skalpell gef�hrten Schnitt. 7. Das Zungenbein im �bergangsbereich zwischen den H�rnern und dem K�rper beiderseits beweglich (noch erhaltene knorpelige Verbindung zwischen den im �brigen kn�chern angelegten Strukturen). Das umgebende Weichgewebe wird vorsichtig mittels einer Schere schichtweise abgel�st, es ist���abgesehen von F�ulnisver�nderungen���unauff�llig. Blutungen lassen sich mit dem blo�en Auge nicht abgrenzen. 8. Die Halsschlagadern weisen zarte Gef��wandinnenschichtverh�ltnisse auf. 9. Der erste und zweite Halswirbel werden unter Durchtrennung ihrer Bandverbindungen von der Sch�delbasis abgel�st. Beide Wirbelk�rper sind grobsichtig unauff�llig, sie weisen keine Besch�digungen auf. Unauff�lliger Aspekt der Wirbels�ulenschlagadern. Der Wirbelkanal beider zuvor genannter Wirbel leer, das R�ckenmark fehlt. Beide Halswirbel werden tiefgefroren asserviert. Vielleicht haben Sie es aus dem Protokollauszug schon herausgelesen:Vitalit�tszeichen, die uns in unserem Fall h�tten zeigen k�nnen, ob der Kopf antemortal���also vor dem Tod���oder postmortal abgetrennt worden war, fanden sich bei der Obduktion nicht. Zwar ist es prinzipiell m�glich, aufgrund der Wundstruktur bei F�llen von Enthauptung relativ genaue Aussagen zu treffen, auf welche Weise der Kopf abgetrennt wurde, z. B. mittels einer S�ge, einer Axt oder eines Beils, denn alle diese Werkzeuge hinterlassen charakteristische Spuren an�Weichgewebe und Knochen. Dazu aber waren in unserem Fall die Weichteile der Abtrennungsstelle am Kopf zu stark verfault, zudem h�tte das Wasser alle Unterblutungen, wenn es sie denn an den Wundr�ndern gegeben h�tte, ausgewaschen. Auch den Todeszeitpunkt konnten wir wegen der langen Zeit, die der Kopf im Wasser gelegen hatte (�postmortales Intervall�), und der daraus resultierenden F�ulnisver�nderungen nicht mehr n�her eingrenzen. W�re der Kopf wenige Stunden nach Abtrennung bei uns auf dem Sektionstisch gelandet, h�tte man eventuell noch eine vorsichtige Einsch�tzung des Todeszeitpunktes durch die Messung der Hirntemperatur vornehmen k�nnen. In den achtziger und neunziger Jahren wurden experimentelle Daten zu Todeszeit bzw. Leichenliegezeit und dem postmortalen Abfall der Hirntemperatur erhoben, die gegebenenfalls h�tten hilfreich sein k�nnen. Anhand des Ausma�es der F�ulnisver�nderungen und der Muschelbesiedlung konnten wir immerhin sch�tzen, dass sich der Kopf zwischen zwei und f�nf Wochen im Wasser befunden haben musste. Eine grobe Sch�tzung, mehr war nicht m�glich. Und ebenso wenig entdeckten wir bei der Obduktion Hinweise darauf, wie es zum Tod des Mannes und zur Enthauptung (�Dekapitation�) gekommen sein k�nnte. Doch auch in solchen F�llen folgt im Obduktionsprotokoll auf die Auflistung zu �u�erer und innerer Besichtigung immer das vorl�ufige Sektionsgutachten, das die Befunde zusammenfasst und gegebenenfalls aus rechtsmedizinischer Sicht interpretiert. �Vorl�ufig� wird dieses Gutachten deshalb genannt, weil es sich in seiner Einsch�tzung auf die Ermittlungsergebnisse bezieht, die beim Abschluss der Obduktion vorliegen. Die abschlie�ende gutachterliche Stellungnahme enth�lt neben allen sp�teren Ermittlungsergebnissen auch noch die Resultate nachfolgender chemisch-toxikologischer, feingeweblicher (mikroskopischer) und gegebenenfalls notwendiger molekularbiologischer Untersuchungen. C. VORL�UFIGES SEKTIONSGUTACHTEN I. Vorgeschichte: Wie von Herrn xx, LKA xx, den Obduzenten mitgeteilt wurde, fanden Spazierg�nger den jetzt obduzierten Kopf am xx.xx.xxxx in den Vormittagsstunden in einer Uferb�schung (mit Steinen befestigt) am Elbstrand auf H�he xx. Der dazugeh�rige K�rper wurde nicht gefunden. Auch unter Einsatz einer Suchmannschaft der Bereitschaftspolizei und unter Einsatz von Leichensp�rhunden fanden sich in der Umgebung keine weiteren Leichenteile. II. Die Sektion f�hrte zu den folgenden wesentlichen Befunden (Sektionsdiagnose): III. Kopf eines ca. 25 bis 45 Jahre alt gewordenen Mannes im Zustand fortgeschrittener Leichenf�ulnis bei l�ngerer Wasserliegezeit. Teils glatt begrenzte, teils grobfetzig imponierende, von einem bandartigen Sch�rfungssaum umgebene Absetzungsstelle des Kopfes im unteren Halsbereich. Keine Vitalzeichen an den�Wundr�ndern (bei eingeschr�nkter Beurteilbarkeit aufgrund l�ngerer Wasserliegezeit). Keine Frakturen des kn�chernen Sch�deldaches, keine Einblutungen in der Kopfh�hle, grobsichtig keine Einblutungen im Hirngewebe (bei hochgradig eingeschr�nkter Beurteilbarkeit durch weit fortgeschrittene Leichenf�ulnis). IV. Grobsichtig unversehrter erster und zweiter Halswirbel. V. Grobfetzige Defekte der linksseitigen Ohrmuschel (sehr wahrscheinlich auf postmortalen Tierfra� durch Einwirkung z.B. mariner Fauna zur�ckzuf�hren). VI. Todesursache: Die Todesursache konnte durch die Sektion nicht gekl�rt werden. VII. Hinsichtlich m�glicher Identifizierungskriterien ist Folgendes festzustellen: Der Verstorbene war m�nnlichen Geschlechts und d�rfte zwischen 25 und 45 Jahre alt gewesen sein, was u. a. durch das Fehlen von arteriosklerotischen Ver�nderungen der Halsschlagadern und durch die nicht vollst�ndig verkn�cherte Pfeilnaht des Sch�dels angenommen werden kann. Hinsichtlich der Haarfarbe des Verstorbenen ist festzuhalten, dass der Verstorbene sehr wahrscheinlich braune Haare hatte und diese (zumindest im Nackenbereich) bis zu 16 Zentimeter lang trug. Ferner zeigten sich beide Ohrl�ppchen nicht angewachsen und wiesen keine Ohrl�cher (f�r Ohrschmuck) auf. Die teils glatt begrenzten, teils grobfetzig imponierenden und von einem bandartigen Sch�rfungssaum umgebenen Wundr�nder am Hals sprechen f�r eine Dekapitation durch eine sehr wahrscheinlich halbscharfe Gewalteinwirkung. Bei hochgradig eingeschr�nkter Beurteilbarkeit aufgrund fortgeschrittener Leichenf�ulnisver�nderungen des Kopfes lie�en sich grobsichtig keine Unterblutungen im Bereich der Wundr�nder feststellen. Allerdings spricht diese Feststellung bei der l�ngeren Wasserliegezeit des Kopfes nicht zwangsl�ufig gegen eine Dekapitation zu Lebzeiten bzw. f�r eine postmortale Enthauptung des Mannes. VIII. Am Ende der Sektion wurden folgende Asservate zur�ckbehalten: IX. a) Kopfhaar und Gesichtsmuskulatur f�r chemisch-toxikologische Untersuchungen X. b) Kopfhaare, Gesichtsmuskulatur und Z�hne f�r DNA-Untersuchung XI. c) Zungenbein, Kehlkopfskelett und harte Hirnhaut, formalinfixiert XII. d) Ober- und Unterkiefer f�r odontologische Untersuchung, tiefgefroren XIII. e) Erster und zweiter Halswirbel, tiefgefroren XIV. f) Muscheln und schw�rzlich-br�unliches, k�rniges Material (Letzteres grobsichtig Sand und Kies entsprechend) Die o.g. Asservate verbleiben f�r weiterf�hrende Untersuchungen mindestens zw�lf Monate in Obhut des Instituts f�r Rechtsmedizin���sie k�nnen danach aus Platzgr�nden entsorgt werden, sollten bis dahin keine Untersuchungsauftr�ge eingehen, die Asservate abgefordert oder um eine l�ngere Aufbewahrungsfrist nachgesucht werden. Gezeichnet � Prof. Dr. Tsokos Dr. xx 1. Obduzent 2. Obduzent Vom Tontr�ger abgenommen am xx.xx.xxxx Auch wenn wir den Kripo-Leuten keine harten Fakten f�r den Tat- oder Geschehenshergang liefern konnten, standen wir nicht komplett mit leeren H�nden da. Denn immerhin lie� sich einiges �ber das Gebiss des Toten verraten. Entsprechend enthielt das Obduktionsprotokoll unter �B. Innere Besichtigung� noch einen Abschnitt, den ich hier bisher unterschlagen habe: Zahnstatus: Oberkiefer, rechter Quadrant���die Z�hne 1 bis 8 vorhanden, keine fr�heren Zahnarbeiten feststellbar. Linker oberer Quadrant���die Z�hne 1 bis 7 vorhanden? Zahn 8 fehlt, das Zahnfach geschlossen. Rechter Unterkieferquadrant���der erste Schneidezahn fehlt, hier ein offenes Zahnfach (sehr wahrscheinlich postmortaler Verlust dieses Zahnes); die Z�hne 2 bis 8 hier vorhanden, die Z�hne 4 und 5 an der kauseitigen Fl�che�mit Amalgamf�llung versehen, die Z�hne 6 und 7 an der Kaufl�che ausgeh�hlt (fraglich Zustand nach Ausfall von prothetischem Zahnmaterial), Zahn 8 an der Kaufl�che Amalgamf�llung. Linker Unterkieferquadrant���die Z�hne 1 bis 8 vorhanden, Amalgamf�llung der Kaufl�che der Z�hne 6 bis 8. Dieser detaillierte Bericht �ber das Gebiss des Toten wurde von den polizeilichen Ermittlern (in diesem Fall der zust�ndigen Mordkommission) an umliegende regionale Polizeidienststellen weitergeleitet, mit der Anfrage, ob in deren Zust�ndigkeitsbereich eine Vermisstenanzeige einen etwa 25 bis 45 Jahre alten Mann mit vermutlich braunen Haaren betreffend aufgegeben worden sei. Nach knapp zwei Wochen bekamen wir eine positive R�ckmeldung. Einem Beamten war aufgefallen, dass unser grobes Raster (Geschlecht, gesch�tztes Alter und vermutete Haarfarbe) zu einer Vermisstenanzeige passte, die drei Wochen zuvor eingegangen war. Eine �ltere Frau hatte angegeben, dass ihr Sohn spurlos verschwunden sei. Daraufhin wandte sich der Beamte an den Zahnarzt des Vermissten, und der konnte den dokumentierten Zahnstatus zweifelsfrei seinem Patienten zuordnen. Holger Evers, ein 42-j�hriger Facharbeiter, hatte in einem Dorf in der N�he der Polizeidienststelle gewohnt und laut Zeugenaussagen an einer depressiven Pers�nlichkeitsst�rung gelitten. Nun, da es gelungen war, den �Besitzer� des Kopfes zu identifizieren, hatten die Kollegen von der Kripo eine�Grundlage f�r weitere Ermittlungen, auch wenn diese nur darin bestehen konnten, die nun vorhandenen Daten von Holger Evers an andere Polizeidienststellen weiterzugeben���K�rpergr��e, Gewicht, Statur und Hautfarbe. Ein Foto von Evers zu verschicken hatte nat�rlich keinen Sinn���denn man suchte ja nach einem K�rper, der keinen Kopf mehr hatte. Doch die Daten reichten aus: Nach einigen Tagen kam von wiederum einer anderen Polizeidienststelle in der Region tats�chlich der entscheidende Hinweis. F�nf Wochen zuvor war in der Elbe ein K�rper ohne Kopf gefunden worden���von der Fundstelle des Kopfes 25 Kilometer stromaufw�rts. Dieser K�rper ohne Kopf war, als man ihn entdeckt hatte, nahezu �frisch� gewesen (wir sprechen von �frischen Leichen�, wenn sich noch keine F�ulnisver�nderungen am Leichnam zeigen). Der Tote war bereits von den Kollegen des rechtsmedizinischen Instituts obduziert worden, zu dessen Zust�ndigkeitsbereich der Auffindungsort geh�rte. Ein DNA-Abgleich ergab, dass Kopf und K�rper zweifellos zusammengeh�rten, also von Holger Evers stammten. Am Telefon erz�hlte mir der zust�ndige Kriminalbeamte der Dienststelle, die es mit dem kopflosen Holger Evers zu tun gehabt hatte, den Sachverhalt, wie er sich wenige Wochen zuvor ihm und den zust�ndigen Rechtsmedizinern dargestellt hatte: Der kopflose K�rper war in der Elbb�schung am Fu� einer neun Meter hohen Elbbr�cke aufgefunden worden. Von einem Elbdampfer aus hatten Touristen den K�rper auf der steinigen B�schung liegen sehen und die Szenerie zun�chst f�r einen makaberen Halloween-Scherz gehalten, da es�der 31. Oktober war. Dem Kapit�n des Elbdampfers war jedoch relativ rasch klar, dass es sich hierbei nicht um eine Inszenierung, sondern um etwas ganz anderes handeln musste. Seinem geschulten Blick war n�mlich schon bei der Durchfahrt seines Schiffes unter der Elbbr�cke nicht entgangen, dass ein Stahlseil von der Br�cke hing, mit einer Schlinge am unteren Ende. Als die Polizei eintraf, wurde das Gel�nde weitr�umig abgesperrt und der Leichenfundort untersucht. Der kopflose K�rper lag auf dem Ger�ll der Uferb�schung und war mit einer Windjacke, Jeans und Str�mpfen bekleidet. Die Schuhe fehlten. Und vor allem fehlte jede Spur von dem Kopf des Mannes. Bei der Br�cke handelte es sich um eine Autobr�cke, die am Rand auch von Fu�g�ngern genutzt werden konnte. Schnell fanden die Beamten an der Au�enbalustrade der Br�cke das Stahlseil, das der Kapit�n bereits entdeckt hatte. Es war 15 Meter lang, hatte einen Durchmesser von 0,6 Zentimetern und war mehrfach um das Br�ckengel�nder geschlungen und zus�tzlich mit einem Karabinerhaken daran befestigt. Die Schlinge des Stahlseils hing sechs Meter tief von der Br�cke herab. Auf dem Fu�weg der Br�cke lag ein Rucksack, der pers�nliche Gegenst�nde und Ausweispapiere von Holger Evers enthielt���und einen Abschiedsbrief. In dem Brief bat Evers seine Mutter um Vergebung und erkl�rte seine Gr�nde. Er habe Probleme an seinem Arbeitsplatz gehabt und unter chronischen Stimmungsschwankungen gelitten, die ihn immer wieder in seinem Handeln l�hmten. Wegen des mit einer Schlinge versehenen Stahlseils�und des Abschiedsbriefes glaubte keiner der beteiligten Ermittler an Mord. Andererseits sind Selbstt�tungen durch Enthauptung ausgesprochen selten. Und noch seltener kommt es zur Enthauptung durch Erh�ngen. Von 7.700 Todesf�llen, die wir zwischen 1995 und 2002 in unserem Institut untersucht haben, hat es sich nur in zehn F�llen um Tod durch Dekapitation gehandelt. Acht dieser Suizidenten waren von einem Zug �berrollt worden. Zur Enthauptung durch Erh�ngen war es lediglich in zwei F�llen gekommen. Der Grund daf�r, dass diese Todesursache auch uns Rechtsmedizinern kaum begegnet, hat haupts�chlich mit physikalischen Gesetzen zu tun.Wenn sich jemand eine Schlinge um den Hals legt und sich in die Schlinge gleiten oder fallen l�sst, so dass das eigene K�rpergewicht Zug auf die Schlinge aus�bt und diese zuzieht, werden im Normalfall die Halsschlagadern abgedr�ckt, was zu Blut- und Sauerstoffleere im Gehirn und so zum Tod f�hrt. Zur Dekapitation kommt es nur dann, wenn gleichzeitig mehrere Voraussetzungen erf�llt sind. Entscheidende Faktoren sind die�Stabilit�t des Seils,�das�K�rpergewichtund die� Fallh�he.�Das Seil muss rei�fest und sehr d�nn sein���wie in diesem Fall ein Stahlseil mit nur 0,6 cm Durchmesser. Der Suizident muss aus gro�er H�he bzw. in gro�e Tiefe springen���wie hier von einer neun Meter hohen Br�cke mit einem sechs Meter langen Seil um den Hals. Da das Seil eine Weile brauchte, bis es sich spannte und Zug auf den Hals aus�bte, kam es zu erheblicher Zugspannung auf den Hals���ein starker Impuls, der bei einem stabilen und d�nnen Seil wie diesem Gewebe und Bandverbindungen zwischen den Halswirbeln komplett durchtrennen konnte. Doch dabei spielte nat�rlich auch das K�rpergewicht des Suizidenten eine Rolle. Kriminaltechniker haben spezielle Formeln, mit denen sie die Fallenergie, die zur Kopfabtrennung notwendig ist, exakt berechnen k�nnen. Diese Formeln setzen Fallh�he, K�rpergewicht und Erdbeschleunigung miteinander ins Verh�ltnis. Werte von 12.000 Newton und mehr f�hren in der Regel zur Enthauptung. Holger Evers wog 102 Kilo. Er hatte das d�nne, sechs Meter lange Stahlseil an der Balustrade befestigt, sich die Schlinge um den Hals gelegt und sich dann durch einen Sprung von der Br�cke in den Tod gest�rzt. Das zusammen ergab die n�tige kinetische Energie, um seinen Kopf vom Rumpf zu trennen. Was nach der Dekapitation durch Erh�ngen geschah, konnten wir nun, da wir die Zusammenh�nge kannten, leicht nachvollziehen. Der K�rper des Mannes war auf der Uferb�schung gelandet, w�hrend der abgetrennte Kopf die schr�ge B�schung hinuntergerollt und im Elbwasser gelandet war. Dort wurde er von der Str�mung erfasst und erst nach etwa drei Wochen 25 Kilometer flussabw�rts an Land gesp�lt. Das erkl�rt auch, warum nur der Kopf, nicht aber der K�rper von Leichenf�ulnisver�nderungen in Mitleidenschaft gezogen war. Der grausige Fund war also, wie in so vielen anderen F�llen, die Folge davon, dass ein Mensch mit aller Macht aus dem Leben scheiden wollte���auch wenn die Enthauptung ganz sicher dabei nicht einkalkuliert war. Ein Kopf ohne K�rper���der Anblick erschreckt und fasziniert die Menschen seit jeher. An keinem anderen K�rperteil zeigen sich Charakter und Einzigartigkeit des jeweiligen Menschen so sehr wie am Kopf, und neben dem Herzen ist kein anderer K�rperteil f�r das �berleben des Gesamtorganismus so wichtig. Fast alle anderen Organe kann man transplantieren oder ihre Funktion mittels Pharmaka ersetzen. Beim Kopf geht das nicht. Im kn�chernen Sch�del befindet sich das Gehirn, das nicht nur durch seine mentalen und kognitiven Funktionen, sondern auch durch die von hier gesteuerten Emotionen jeden Menschen einzigartig, eben zu einem Individuum macht. Metaphern wie �der Kopf der Organisation� und �kopflos handeln� zeigen die Bedeutung dieses K�rperteils als Schaltzentrale, von der aus alles �brige gesteuert wird. So sind auch der Kopf ohne K�rper sowie das Enthaupten an sich sehr alte und wirkungsvolle Motive in der menschlichen Kulturgeschichte. Bilder eines abgetrennten Kopfes zeigen den Charakter und das Besondere des abgebildeten Menschen zugleich mit dessen Ausl�schung. Denn der Kopf ohne K�rper ist gleichzeitig Abbild f�r den Tod des Individuums. Vielleicht kennen Sie eines der Gem�lde, die Salome, Tochter des Herodes, mit dem Haupt Johannes� des T�ufers zeigen oder Judith bei der Enthauptung von Holofernes. Vom heiligen Minias, dem Namensgeber der Kirche San Miniato al Monte in Florenz, ist �berliefert, dass der r�mische Kaiser Decius ihn im Jahre 250 n.Chr. k�pfen lie�, da Minius sich weigerte, ihn als Gott anzuerkennen. Dennoch gelang es Minius der�Sage nach, mit seinem Kopf unter dem Arm den H�gel am Arno hinaufzulaufen, um dort den Grundstein f�r seine Kirche zu legen. Fr�her kannte jedes Kind die Geschichte von dem Piraten Klaus St�rtebeker, der mit seinem Scharfrichter die ber�hmte Vereinbarung getroffen hatte, dass alle Mitglieder seiner Mannschaft, an denen er ohne Kopf noch vorbeilaufen konnte, begnadigt w�rden. Er wurde �brigens am selben Elbstrand gek�pft, an dem auch jener Kopf gefunden wurde, den ich 600 Jahre sp�ter rechtsmedizinisch untersuchte. Enthauptungen sind auch ein beliebtes Feld f�r Phantasien und Spekulationen aller Art. So wurde ich tats�chlich schon einmal ernsthaft in einem Interview gefragt, wie lange ein Kopf ohne K�rper �berleben bzw. ob ein K�rper ohne Kopf wie in der St�rtebeker- Geschichte noch laufen kann. Franz�sische �rzte haben zur Zeit der Franz�sischen Revolution dazu makabere Experimente durchgef�hrt. Sie hatten frisch abgeschlagene bzw. guillotinierte K�pfe���von denen es ja zu jener Zeit einige gab���Licht- und Tonreizen ausgesetzt und m�gliche �Reaktionen� protokolliert. Allzu viel d�rfte es dabei allerdings nicht zu protokollieren gegeben haben, denn die Wahrheit ist, dass ein Kopf ohne K�rper nicht �berleben kann. Dennoch fragen sich viele Menschen, ob abgetrennte K�pfe noch bewusste (sinnvolle, zielgerichtete) kognitive Leistungen erbringen k�nnen und ob das menschliche Gehirn nicht doch eine Zeitlang ohne Sauerstoffzufuhr funktionieren kann. Auch die Frage, ob ein�K�rper ohne Kopf noch irgendwelche motorischen Fertigkeiten verrichten kann (z.B. umherlaufen, wie es der heilige Minias und St�rtebeker angeblich noch taten), wird immer mal wieder, insbesondere von Physiologen, diskutiert. Ein durchaus berechtigter Grund f�r die Annahme, dass der K�rper ohne Kopf noch zumindest einen Moment lang motorische Funktionen erf�llen kann, d�rfte der Umstand sein, dass sich bei einem Gro�teil von Enthaupteten aspiriertes Blut noch tief in den Atemwegen findet. Dies ist theoretisch eigentlich unm�glich, da durch die Trennung der Verbindung zwischen Kopf und K�rper das R�ckenmark und somit die Kommunikation zwischen Atemzentrum im Gehirn und �brigem peripherem Nervensystem unterbrochen wird. Damit sind auch die Nervenstr�nge unterbrochen, die f�r das Zwerchfell und die Atemhilfsmuskulatur verantwortlich sind und den reibungslosen Ablauf der Atemt�tigkeit sicherstellen. Somit m�sste theoretisch jede Atemt�tigkeit bei einer Abtrennung des Kopfes schlagartig aussetzen. Dennoch finden wir bei Obduktionen Enthaupteter (z.B. nachdem sie von einem Zug �berfahren wurden) fast immer Blut aus den durchtrennten Halsgef��en in den Atemwegen bis in die kleinen Lungenbl�schen hinein���was eine funktionierende Atemt�tigkeit voraussetzt. Pathophysiologisch kann dieser Befund nur so erkl�rt werden, dass die Atmung noch f�r ein paar Sekunden (vielleicht auch nur Millisekunden), auch ohne Koordination durch das Gehirn, allein �ber das R�ckenmark gesteuert wird und auf diese Weise, wenn auch nur sehr�kurze Zeit eine (Rest-)Atemfunktion erhalten ist und Blut aspiriert werden kann. Theoretisch reichen ein oder zwei tiefe Atemz�ge, um die Bronchien und Lungenbl�schen mit dem Blut zu f�llen, das aus den durchtrennten Halsschlagadern und Venen in die Luftr�hre gelangt ist. Es muss also niemand bef�rchten, auf der Stra�e einem kopflosen Passanten zu begegnen. Und zum Gl�ck begegnet auch mir als Rechtsmediziner �u�erst selten ein solcher Fall wie der Kopf am Elbstrand. Ein t�dliches Wunder Der 43-j�hrige Dieter Hemker verl�sst seine Wohnung. Das Gesicht bleich, die Augen tief in den H�hlen, der Gang geb�ckt. Zielgerichtet, aber unsicher auf den Beinen bewegt er sich auf sein Auto zu. Mit der einen Hand umklammert er eine blaue Tasche, in der anderen h�lt er drei Fotos: von seiner Frau und seinen zwei Kindern. Er �ffnet die Wagent�r, steigt ein, l�sst die Tasche auf den Beifahrersitz fallen und steckt den Schl�ssel ins Z�ndschloss. Er holt noch einmal tief Luft, dann f�hrt er aus der Parkl�cke und tritt aufs Gas. Sp�ter am selben Tag: Ein Streifenwagen f�hrt eine Landstra�e in Norddeutschland entlang. Pl�tzlich entdecken die Polizeibeamten im Stra�engraben einen Kastenwagen, der offenbar von der Stra�e abgekommen ist. Sie halten an, um sich die Sache aus der N�he anzusehen. Es ist Winter, deshalb ist das Wasser in dem Graben gefroren. Vorderr�der und Sto�stange des Kastenwagens stecken teilweise im Eis. Das Fahrzeug ist unbesch�digt. Die Beamten rechnen nicht damit, dass sich bei minus drei Grad Au�entemperatur noch jemand in dem Wagen aufh�lt. Routinem��ig werfen sie einen Blick ins Wageninnere. Und schrecken augenblicklich zur�ck. Es sitzt tats�chlich jemand auf dem Fahrersitz. Die�H�nde ruhen auf dem Lenkrad, der Anschnallgurt ist vorschriftsm��ig angelegt. Doch schon ein einziger Blick verr�t, dass der Fahrer nicht am Steuer eingeschlafen ist, unter Drogen steht oder aus unerfindlichen Gr�nden trotz der Winterk�lte in dem Wagen sitzt und liest oder telefoniert. Er hat den Wagen nicht verlassen, weil er ohne jeden Zweifel tot ist. Denn dort, wo zuvor einmal der Kopf des Fahrers gewesen ist, ragt jetzt nur noch ein blutiger Stumpf aus der blauen Winterjacke und dem beigefarbenen Pullover heraus. Nach dem Kopf m�ssen die beiden Polizisten nicht lange suchen. Er liegt im Fu�raum der R�ckbank, hinter dem Fahrersitz. Ein solches Horrorszenario regt nat�rlich zu allerlei Spekulationen an. Als der Verstorbene im Institut f�r Rechtsmedizin eingeliefert wurde, mutma�ten die Streifenpolizisten und die Ermittler von der Kripo bereits, wer wohl eine solch bestialische Tat begangen hatte���Mord durch Enthauptung. Es fielen Worte wie �sadistischer Killer� und �Milieumord�. An einen Unfall glaubte niemand. Ich selbst hatte noch nie einen Fall untersucht oder auch nur von einem geh�rt, bei dem ein Mensch durch einen Autounfall enthauptet worden war. Durch einen M�hdrescher oder andere gro�e Maschinen kann so etwas passieren, aber kaum auf dem Vordersitz eines Pkws, noch dazu in einem unbesch�digten Fahrzeug. Allerdings sind Enthauptungen als Mordmethode ebenfalls ausgesprochen selten. In meiner Eigenschaft als Rechtsmediziner konnte ich mich nur an einen einzigen Fall erinnern. Bei der Obduktion hatte sich herausgestellt, dass sich in den Atemwegen und in der Lunge aspiriertes Blut befand. Das hie�: Der T�ter hatte die Frau, nachdem er sie ans Bett gefesselt hatte, bei lebendigem Leib enthauptet. Tatwaffe war damals ein K�chenmesser gewesen. Aber etwas �hnliches war in diesem aktuellen Fall schwer vorstellbar. Warum sollte jemand eine solche Tat auf offener Stra�e begehen? Da war es wahrscheinlicher, dass der M�rder sein Opfer im Anschluss an die T�tung gek�pft hatte. Mordopfer werden manchmal postmortal von einem T�ter enthauptet, mit dem Ziel, die Identifizierung des Toten zu erschweren. In einigen F�llen wird der ganze K�rper zerst�ckelt, und die einzelnen K�rperteile werden an verschiedenen Orten abgelegt. Der Rechtsmediziner spricht dabei auch von �defensiver Leichenverst�mmelung�. Ich erinnerte mich an einen Fall, in dem die Ermittler in einem Hotelappartement auf dem Bett den enthaupteten K�rper eines 40-j�hrigen Mannes fanden, daneben einen Hammer und eine Fuchsschwanzs�ge. Den Kopf des Mannes entdeckten die Beamten schlie�lich in der Toilette. Die grausige Wahrheit: Der T�ter hatte seinen Ex-Lover zun�chst erdrosselt, nachdem zwischen beiden in alkoholisiertem Zustand ein Streit ausgebrochen war. Dann hatte er den Kopf des Mannes mit der S�ge abgetrennt und versucht, ihn in der Toilettensch�ssel hinunterzusp�len, nat�rlich vergeblich. Da der Kopf daf�r zu gro� war, wollte der T�ter ihn mit Hammerschl�gen �zerkleinern�. Als auch das nicht gelang, lie� er den Kopf in der Toilettensch�ssel liegen und steckte das Appartement in Brand. Nachbarn riefen allerdings sofort die Feuerwehr, und kurze Zeit sp�ter war auch die Kripo am Tatort. Die Obduktion von Kopf und K�rper des Mannes belegte, dass das Opfer durch Erdrosseln gestorben war und die Enthauptung postmortal stattgefunden hatte. Es fanden sich keine Unterblutungen an den Wundr�ndern des abgetrennten Kopfes und in den Lungen auch keine Aspiration von Blut infolge der Kopfabtrennung, auch Kopfhaut und Kopfschwarte waren nicht so unterblutet, wie dies der Fall gewesen w�re, wenn die Hammerschl�ge den Kopf zu Lebzeiten des Mannes getroffen h�tten. Bei dem Fahrer des Kastenwagens konnten wir eine defensive Leichenverst�mmelung durch Enthauptung ausschlie�en, da der Kopf weder versteckt noch unkenntlich gemacht worden war. Es kam also bestenfalls eine �offensive Leichenverst�mmelung� in Frage. Von offensiver Leichenverst�mmelung sprechen wir, wenn der T�ter im Anschluss an den Mord K�rperteile des Opfers abtrennt, weil ihn entweder der Vorgang als solcher erregt oder er sie als Souvenirs oder Troph�en mit nach Hause nehmen will, um den Mord und vielleicht auch die Leichenzerst�ckelung sp�ter wieder und wieder in seiner Phantasie durchleben zu k�nnen. Letzteres konnte in unserem Fall aber auch keine Rolle spielen���eine Enthauptung im Rahmen einer offensiven Leichenzerst�ckelung war wegen des �ffentlichen und beengten Tatortes und aufgrund der Tatsache, dass der abgetrennte Kopf ja nicht entwendet worden war, mehr als unwahrscheinlich. Aber stand denn �berhaupt zweifelsfrei fest, dass der Mann im Auto get�tet und enthauptet worden war? Der Mann konnte doch auch nach Mord und Enthauptung auf den Fahrersitz gesetzt, angeschnallt und der Kopf im Fu�raum des Fonds vor der R�ckbank platziert worden sein. Das ist zwar theoretisch m�glich, konnte hier aber ausgeschlossen werden, da der Fahrer bei der Dekapitation zweifelsfrei auf dem Fahrersitz gesessen hatte. Das bewiesen die Blutspurenmuster, d.h. Verteilung und Aussehen der Blutspritzer und -tropfen im Fahrzeuginneren: Neben Blutspritzern auf Lehne und Sitzfl�che der R�cksitzbank fanden sich Blutabrinnspuren am r�ckw�rtigen Teil der R�ckenlehne des Fahrersitzes und Tropfspuren von frischem Blut im Fu�raum der R�ckbank, wo der abgetrennte Kopf lag. Was den Tat- oder Geschehenshergang betraf, gab es also zwar Anhaltspunkte, um verschiedene Theorien auszuschlie�en, aber keine wirklichen Hinweise. Solche hofften wir nun bei der Obduktion zu finden. Die Identifizierung des Opfers mussten wir dagegen nicht mehr vornehmen, denn in der Jacke des Enthaupteten fanden sich Ausweispapiere, die den Ermittlern die Identit�t des Kopfes verrieten: Dieter Hemker, arbeitsloser Heizungsmonteur, 43 Jahre alt. Aufgrund einer charakteristischen T�towierung am linken Unterarm lie� sich zweifelsfrei best�tigen, dass Kopf und K�rper zusammengeh�rten, denn Hemker hatte, nach Angaben seiner Frau, genau so eine T�towierung gehabt. Auch wenn die vorliegenden Fakten trotz aller Klarheit wie immer auch rechtsmedizinisch verifiziert werden mussten, konnten wir uns auf potentielle Hinweise in Bezug auf den Hergang konzentrieren: Wie war Dieter Hemker get�tet und enthauptet worden? Und in der Tat f�rderte die Obduktion einige interessante Resultate zutage. Allerdings auch neue Fragen. So entdeckten wir zum Beispiel Blut in den Atemwegen. Der Mann hatte also kurz vor seinem Tod noch Blut aspiriert. Damit war klar, dass er zum Zeitpunkt der Enthauptung noch gelebt haben musste und wir alle Theorien einer postmortalen Enthauptung endg�ltig ausschlie�en konnten.Aber das erkl�rte noch immer nicht, unter welchen Umst�nden der Mann enthauptet worden war. Aus den obenerw�hnten Gr�nden passte ja ein Mord durch Enthauptung nicht ins Bild. Hatten wir es doch gegen jede Erwartung mit einem abstrusen Unfall, mit irgendeiner anderen Form von Fremdeinwirkung zu tun? Bei der intensiven Inspektion der Abtrennungsstelle von Kopf und K�rper am Halsstumpf konnten wir feinstaubartige Metallablagerungen nachweisen, wie sie sich zum Beispiel auch beim Bearbeiten von Metall mit einer entsprechenden Feile finden. Im �brigen war die Wunde untypisch f�r eine durch einen Schnitt hervorgerufene Verletzung. Wenn der Kopf aber nicht durch einen Schnitt abgetrennt worden war, wodurch dann? Und wie? Die Antworten auf diese zentralen Fragen fanden dann die zust�ndigen Ermittler und die Spurensicherung. Zuallererst nahmen sie die private Situation von Dieter Hemker unter die Lupe: Nachdem seine Frau�sich von ihm getrennt hatte, war ihr auch das alleinige Sorgerecht f�r die zwei Kinder zugesprochen worden. Seither hatte Hemker allein gelebt. Kurz vor seinem Tod hatte er dann auch noch seinen Job als Heizungsmonteur verloren. Zudem verriet ein Blick in die medizinischen Unterlagen seines Hausarztes, dass Hemker sich schon seit einigen Monaten wegen schwerer Depressionen in psychiatrischer Behandlung befunden hatte. Das alles deutete darauf hin, dass er im Kastenwagen Suizid begangen hatte. Aber Suizid durch Enthauptung? Als die Spezialisten von der Spurensicherung auch die weitere Umgebung des Fahrzeugs in Augenschein nahmen, erhielten wir sowohl die Best�tigung f�r die vermutete Selbstt�tung als auch die dazugeh�rige Erkl�rung. An einem h�lzernen Weidezaun entdeckten die Beamten ein d�nnes, 40 Meter langes Stahlseil, das mehrfach um eine der Holzplanken gewickelt und geknotet war. Am anderen Ende des Seils, das gut versteckt unter dem Schnee gelegen hatte, befand sich eine Schlinge von etwa 15 Zentimeter Durchmesser. Das gefundene Stahlseil zusammen mit dem starken Suizidmotiv lie� mehr als vermuten, was sich dort abgespielt hatte, bevor die nichtsahnenden Streifenpolizisten ihren grausigen Fund machten: Dieter Hemker hatte das Stahlseil am Weidezaun befestigt, durch das R�ckfenster seines Kastenwagens ins Wageninnere gef�hrt und sich anschlie�end die Schlinge um den Hals gelegt. Dann raste er los. Durch die hohe Startgeschwindigkeit���wahrscheinlich trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch���und die Stabilit�t des Stahlseils�wurde ihm schon nach wenigen Metern Fahrt der Kopf abgerissen. Dieser fiel nach hinten in den Fu�raum vor der R�ckbank. W�hrend der Wagen weiterfuhr und schlie�lich im Stra�engraben zum Stehen kam, glitt das Stahlseil mitsamt der Schlinge wieder aus dem Auto und blieb auf dem Seitenstreifen liegen, wo es dann von frisch gefallenem Schnee bedeckt wurde und deshalb den vor Ort eingesetzten Polizeibeamten zun�chst nicht aufgefallen war. Der sp�tere DNA-Abgleich bewies, dass die Vermutung den Tatsachen entsprach: Die Gewebereste, die an der Schlinge hafteten, stammten eindeutig von Dieter Hemker. Damit war der Fall also gekl�rt. Eigentlich. Doch der Suizid durch Enthauptung war buchst�blich nur die halbe Wahrheit. Auf die andere H�lfte hatte uns schon die Obduktion gesto�en, die n�mlich nicht nur die obenerw�hnten Fragen aufwarf: Schon bei der obligatorischen �u�eren Leichenschau stie�en wir auf zwei bemerkenswerte Details: Der Tote wies fast keine Leichenflecken auf und hatte in beiden Armbeugen frische Nadeleinstichstellen. Solche Einstiche finden sich h�ufig bei Menschen, die noch lebten, als sie gefunden wurden, und weisen auf das Bem�hen des Notarztes hin, das Leben des Menschen doch noch zu retten. Dies konnten wir in unserem Fall jedoch ausschlie�en. Bei der eigentlichen Obduktion entdeckte ich erneut Ungew�hnliches: S�mtliche inneren Organe wiesen eine �berdurchschnittliche Blutarmut auf, die sich allein durch die Dekapitation und die im Fahrzeuginneren vorhandene Blutmenge nicht erkl�ren lie�. Diese Blutarmut hatte dazu gef�hrt, dass die Nieren des Mannes ihre r�tliche Farbe verloren und ihre graugelbe �Eigenfarbe� angenommen hatten. Zusammen mit dem fast vollst�ndigen Fehlen von Leichenflecken konnte das nur bedeuten, dass der Verstorbene einen Teil seines Blutes schon vor seiner Enthauptung verloren hatte. Was war hier vor der Enthauptung passiert? Woher r�hrte dieser offensichtlich massive Blutverlust zu Lebzeiten des im �brigen v�llig organgesunden Mannes? Die Antwort fanden die Ermittler der Kriminalpolizei in der Wohnung von Dieter Hemker, denn dort erwartete sie eine wahrhaft schaurige Anordnung von Gegenst�nden: Auf dem K�chentisch standen zwei Colaflaschen, beide gef�llt mit jeweils einem Liter einer dunkelroten Fl�ssigkeit, offenbar Blut. Daneben lagen zwei Kan�len und zwei mit eingedicktem und angetrocknetem Blut verstopfte d�nne Plastikschl�uche. Eine Probe der dunkelroten Fl�ssigkeit wurde sofort in unser DNA-Labor gebracht, um zweierlei zu kl�ren: Handelte es sich tats�chlich um Blut, und wenn ja, stammte dieses Blut von Dieter Hemker? Es best�tigte sich beides. Als ich von dem Fund in der Wohnung erfuhr, war mir klar, was die Einstiche in den beiden Armbeugen des Toten zu bedeuten hatten: Dieter Hemker, der seine Familie und seinen Job verloren hatte und zudem an schweren Depressionen litt, hatte zun�chst versucht, sich mit den Kan�len Blut abzuzapfen und sich auf diese Weise quasi selbst �ausbluten� zu lassen. Daf�r hatte er sich die Kan�len nacheinander in die Venen seiner�Armbeugen gestochen und �ber den Plastikschlauch sein Blut in die Colaflaschen abflie�en lassen. Als das Blut aus der einen Armbeuge zu gerinnen begann und der eine Plastikschlauch mit geronnenem Blut verstopft war, stach sich Hemker in den anderen Arm und wiederholte die Prozedur. Auch hier f�llte er eine Colaflasche, doch wieder gerann das Blut in dem Plastikschlauch, ohne dass er das Bewusstsein verlor oder gar der Tod eintrat. Was der verlassene und arbeitslos gewordene Mann als Suizidmethode gew�hlt hatte, war seit der Antike viele Jahrhunderte lang mit dem Ziel eingesetzt worden, Krankheiten zu heilen. Gemeint ist der Aderlass. Vielleicht hatte Hemker die Idee ja aus der Geschichte von Robin Hood, an die ich mich aus Kindertagen erinnere, weil sie mich damals, als meine Mutter sie mir vorlas, so schockiert und traurig gemacht hatte. In dem Buch l�sst eine �btissin, bei der Robin Hood Unterschlupf gesucht hat, ihn wegen einer Erkrankung zur Ader. Was Robin Hood nicht wei�: Sie hat nicht seine Heilung im Sinn, sondern ist von seinem Feind Sir Guy of Gisborne gedungen worden, ihn durch den Aderlass zu t�ten. Tats�chlich stirbt er dann an dem starken Blutverlust aus seinen Armvenen. Der Aderlass���das Behandlungsmittel der Medizin in Antike und Mittelalter���wurde bis ins 17. Jahrhundert angewandt. Hierdurch sollte das Gleichgewicht der K�rpers�fte, das man bei einer Krankheit gest�rt glaubte, wiederhergestellt werden. Man dachte damals, �schlechtes� Blut, das sich in den Adern gestaut habe, verursache Krankheiten. Dabei war der Aderlass r�ckblickend betrachtet schon immer eher daf�r geeignet, das Ableben des Patienten zu beschleunigen, anstatt ihn zu heilen. In der modernen Medizin wird der Aderlass nur in sehr seltenen F�llen und dann gezielt und kontrolliert eingesetzt, z.B. bei der Polyzyth�mie. Bei dieser Erkrankung sind die Blutzellen um ein Vielfaches in ihrer Zahl erh�ht, was das Blut dickfl�ssiger und dadurch die Betroffenen anf�llig f�r Thrombosen macht. Durch eine Blutentnahme von einem halben bis einem Liter werden die Flie�eigenschaften des Blutes zumindest f�r eine gewisse Zeit verbessert. Im Mittelalter war der Aderlass durch �rzte und Bader dagegen eine g�ngige Praxis. Die Aderlasssch�ssel war noch lange das �Aush�ngeschild� am Laden der Fris�re, der fr�heren Bader. Es wurden so viele verschiedene Krankheiten durch das scheinbare Allheilmittel des Aderlasses behandelt, dass man fast von einer Universaltherapie sprechen kann. Die f�r den Aderlass g�nstigen Tage und Stunden sowie die anzuzapfenden Stellen am K�rper wurden nach astrologischen Kriterien wie beispielsweise den Sternkonstellationen festgelegt. Davon zeugen zahlreiche Darstellungen und medizinische Illustrationen. Aus heutiger Sicht mutet es nicht allzu verwunderlich an, dass viele Patienten durch den Aderlass starben. Eines der prominentesten Beispiele ist der erste Pr�sident der Vereinigten Staaten. George Washington wurden von seinem Leibarzt Benjamin Rush zur Behandlung einer Kehlkopfinfektion mehr als anderthalb Liter Blut abgenommen. Dieser Blutverlust schw�chte�den ohnehin schwer angeschlagenen Pr�sidenten so sehr, dass er in den Folgestunden starb. Von Seneca, Erzieher Neros und Philosoph im ersten Jahrhundert n. Chr., wissen wir, dass er den von Nero geforderten Suizid durch ein �ffnen der Pulsadern umsetzte. Als das Blut nicht richtig lief, setzte er sich in eine Badewanne mit warmem Wasser, um die Blutgerinnung zu verhindern. Die Geschichte belegt: Der Aderlass kann sehr wohl den Tod eines Menschen herbeif�hren. Doch Dieter Hemker hatte den Versuch nach dem m�hseligen �Abzapfen� von zwei Litern Blut aufgegeben. Stattdessen verlie� er bei offensichtlich vollem Bewusstsein seine Wohnung, fuhr mit dem Auto aus der Stadt, bereitete auf einer einsamen Landstra�e die eigene Enthauptung vor und f�hrte sie dann �erfolgreich� aus. Das ist aus medizinischer Sicht allerdings fast ein Wunder. Der Grund: Ein erwachsener Mensch verf�gt �ber etwa f�nf bis sechs Liter Blut. Dabei verteilen sich 84 Prozent des zirkulierenden Blutvolumens im K�rpergef��system, also in den Venen und Arterien und deren �sten, 9 Prozent auf das Lungengef��system und 7 Prozent auf das Herz. Der Anteil des Blutes am K�rpergewicht betr�gt bei Erwachsenen ca. 6 bis 8 Prozent, bei Kindern ca. 8 bis 9 Prozent. Dabei ist ein Verlust von einem Drittel Blut, also ca. 1,7 Litern bei einem normalen Erwachsenen, bereits lebensgef�hrlich und f�hrt nicht selten durch das geringe noch im K�rper vorhandene zirkulierende Blutvolumen zu einem relevanten Sauerstoffmangel im Gehirn und dadurch zu M�digkeit, starker k�rperlicher und geistiger�Schw�che und nicht selten zu Bewusstlosigkeit. Der Verlust von zwei Dritteln des zirkulierenden Blutvolumens, also 3,3 Litern, f�hrt sicher zum Tod. Bevor Hemker sich ans Steuer seines Autos setzte und die etwa 25 Kilometer Fahrstrecke bis zum Ort seines Suizides zur�cklegte, hatte er mit einem Blutverlust von zwei Litern bereits die kritische Grenze �berschritten und befand sich in einem Zustand �u�erster Lebensgefahr. Doch er lebte noch, und er wollte sterben, koste es, was es wolle. Vielleicht hielt ihn dieser Gedanke, sterben zu wollen, bei Bewusstsein. Als er merkte, dass er sich durch das Abzapfen von Blut nicht t�ten konnte, dachte er sich eine neue Todesart aus, die man nicht anders als�todsicher�bezeichnen kann. Die Kombination von Aderlass und Enthauptung machte den Suizid von Dieter Hemker zu einem au�ergew�hnlichen Fall. Gar nicht au�ergew�hnlich ist dagegen das Kombinieren von zwei Suizidmethoden. Jedem Rechtsmediziner begegnet in seinem Arbeitsalltag immer wieder mal ein sogenannter �kombinierter Suizid�. Meine erste Sektion als verantwortlicher Obduzent f�hrte ich an einer Neunzehnj�hrigen durch. Die junge Frau hatte zun�chst blutverd�nnende Medikamente ihres Vaters in sehr hoher Dosierung eingenommen und sich dann die Pulsadern mit einem scharfen K�chenmesser aufgeschnitten. Doch anstatt zum Tod zu f�hren, war die Blutung aus den Pulsaderschnittverletzungen immer wieder zum Stillstand gekommen.�Also fuhr die Frau mit dem Fahrstuhl in den neunten Stock eines Hochhauses und st�rzte sich von dort aus in die Tiefe���und in den Tod. Bei ihr wie bei Dieter Hemker war die Kombination zweier Suizidmethoden nicht beabsichtigt. Die zweite wurde erst eingesetzt, nachdem die erste sich als erfolglos erwiesen hatte. Daher sprechen wir in diesen F�llen von einem �ungeplanten kombinierten Suizid�. Ein �geplanter kombinierter Suizid� war dagegen der Fall eines vierzigj�hrigen Mannes, den ich vor einigen Jahren zu untersuchen hatte. Der Mann war auf einer Autobahn mit Vollgas auf einen Br�ckenpfeiler zugerast und hatte sich w�hrend der Fahrt mit einer Pistole in den Kopf geschossen. Davon zeugten feinste Schmauch- und Blutspritzer an der rechten Hand des Verstorbenen. Die Obduktion ergab sp�ter, dass nicht die Kollision mit dem Br�ckenpfeiler, sondern der Kopfschuss den Mann get�tet hatte. Als er mit seinem Auto gegen den Br�ckenpfeiler prallte, lebte er schon nicht mehr. Damit war auch zweifelsfrei gekl�rt, dass es sich nicht um einen Verkehrsunfall handelte. In seltenen F�llen ist es n�mlich beabsichtigt, die Selbstt�tung wie einen Unfall aussehen zu lassen, damit den Angeh�rigen die Auszahlung der Lebens- oder Unfallversicherung nicht entgeht. Daher wird in Zweifelsf�llen die Rechtsmedizin auch zu dem Zweck hinzugezogen, eindeutig Suizid oder Unfall nachzuweisen, um so gegebenenfalls einen m�glichen Versicherungsbetrug zu verhindern. Weit h�ufiger ist der geplant kombinierte Suizid aber schlicht eine Methode, um auf Nummer sicher zu gehen. So auch bei einem an Hodenkrebs erkrankten Mann, der in die Elbe hinausschwamm und sich mit einer Gaspistole in den Hals schoss. Zwar war der Schuss an sich nicht t�dlich, aber er verletzte den Mann so schwer, dass er im Wasser unterging und ertrank. Manchmal frage ich mich, was diese Menschen in unserer Welt erreichen k�nnten, wenn sie diese unglaubliche Energie und Entschlossenheit, die hinter ihren verzweifelten Taten stecken und die notwendig sind, um diesen letzten Schritt �berhaupt mit Erfolg durchf�hren zu k�nnen, in den Dienst des eigenen Lebens und in das anderer stellen w�rden. Tatwaffe Feuer Ich hatte schon seit einer Weile Feierabend an diesem eisigen Winterabend im Dezember und schaute mir zu Hause einen Film im Fernsehen an, als mich die Kriminalpolizei anrief und mich bat, in eine ausgebrannte Wohnung zu kommen. Von anderen Eins�tzen kannte ich das Viertel, in dem das Mehrfamilienhaus lag: Die Ansammlung heruntergekommener Wohnblocks war ein Umschlagplatz f�r Drogen, an dem es h�ufig zu Gewaltt�tigkeiten kam, nicht selten zwischen rivalisierenden Banden. Als ich 40 Minuten sp�ter am Tatort eintraf, hatte die Feuerwehr gerade die L�scharbeiten beendet. �Eine Brandleiche, Geschlecht unklar, h�chstwahrscheinlich im Bett verbrannt�, sagte mir der zust�ndige Ermittler und erkl�rte in knappen Worten, was geschehen war: Das Ehepaar im Nachbarhaus hatte in der Erdgeschosswohnung der Gartenstra�e 75 einen ohrenbet�ubenden Knall, wie von einer Explosion, und dann laute Hilfeschreie geh�rt. Bald danach hatte es nach Rauch gerochen. Beide waren sofort nach drau�en gerannt, wo sie dann den Brand gesehen und gleich Feuerwehr und Polizei verst�ndigt hatten. �Als die Feuerwehr mit den L�scharbeiten fertig war, haben sie die Brandleiche in den Resten des Bettes entdeckt�, berichtete der Beamte von der Mordkommission. �Vollkommen verkohlt. Der muss schon tot gewesen sein, als die Feuerwehr hier anger�ckt ist.� Wir gingen in die vom Feuer fast v�llig verw�stete Wohnung, ein Einzimmerapartment. Der Verstorbene lag in Wasser und L�schschaum und in einem Haufen von Brandschutt, wahrscheinlich die �berbleibsel von dem, was einmal ein Sofa gewesen war. Statistisch gesehen war hier ein Unfall am wahrscheinlichsten. Etwa 90 Prozent aller Brandtodesf�lle sind Folge von Unf�llen, Suizide machen 5 bis 8 Prozent aus. Weitere 2 bis 5 Prozent der Verbrannten sind Opfer von Brandstiftung. Die Brandstiftung mit T�tungsabsicht, die in Ermittler- und Rechtsmedizinerkreisen als �Mordbrand� bezeichnet wird, bildet die absolute Ausnahme. Wenn Menschen durch ein Feuer get�tet werden, ruft die Feuerwehr in jedem Fall die Polizei hinzu. Die Polizeibeamten entscheiden dann, ob es sich um einen �Leichenfundort� oder einen �Tatort� handelt. Handelt es sich um einen m�glichen Tatort, wird der Brand zur �K-Sache�, zum Fall f�r die Kriminalpolizei. In diesem Fall hatten die Polizisten vor Ort den Leichnam beschlagnahmt und noch vom Brandort aus die Staatsanwaltschaft verst�ndigt, damit diese sich mit dem Fall befassen und die Obduktion des Toten anordnen konnte. W�hrend nun Spurensicherung, Kripo und Brandermittler des Landeskriminalamtes (LKA) die Wohnung untersuchten, befragten Kriminalbeamte die Nachbarn. Sie erfuhren, dass der Mieter des Einzimmerappartements ein gewisser Hendrik Wilkens war, laut einhelliger Zeugenaussage ein alkoholkranker und verhaltensgest�rter Mann Mitte drei�ig, der schon �fter in station�rer psychiatrischer Behandlung gewesen war. Er habe Stimmen geh�rt, behauptete eine Nachbarin. Gleich mehrere Hausbewohner erw�hnten, dass Wilkens h�ufig von seinem Fenster aus Passanten auf der Stra�e angep�belt und obsz�ne Gesten gemacht habe. Au�erdem sei die Wohnung vollkommen verwahrlost gewesen. Wegen des Gestanks, der seit geraumer Zeit der Wohnung entstr�mt war, hatten einige Nachbarn ihre Balkont�ren nicht mehr ge�ffnet. Wilkens hatte nach Aussage der Zeugen mit Vorliebe nachts laute Musik geh�rt und im Treppenhaus und auf der Rasenfl�che vor seiner Wohnung herumgeschrien. Oft sei er schon am Nachmittag derart betrunken gewesen, dass er auf seinem Sofa im Wohnzimmer bis zum Nachmittag des Folgetages geschlafen und sich dann h�ufig unter so f�rchterlichem Geheul aus dem Schlaf aufgerappelt habe, dass man das Geschrei im ganzen Viertel h�ren konnte. Eine Hausbewohnerin erz�hlte von einer unheimlichen Begegnung in der Nacht. Einmal sei sie sp�t nach Hause gekommen und habe schon vor dem Haus die Musik aus Wilkens� Wohnung geh�rt. �Sein Wohnzimmerfenster stand offen, und da sah ich Wilkens, wie er im Zimmer regelrecht Luftspr�nge gemacht und dabei krakeelt hat: �Ich werde euch alle t�ten. Alle, die gegen mich sind!�� Auch die Wohnungsbaugesellschaft, die die Wohnblocks in der Gartenstra�e vermietete, war mit Hendrik Wilkens schon lange �ber Kreuz. Er habe niemals p�nktlich seine Miete gezahlt und die Wohnung derart�verkommen lassen, dass man sie umfassend h�tte renovieren m�ssen, um sie sp�teren Mietern zumuten zu k�nnen. Der Vermieter habe dann beim Gesundheitsund Umweltamt Beschwerde eingereicht und durchgesetzt, dass Hendrik Wilkens k�nftig von einem Sozialarbeiter betreut wurde. Nur war dieser meist nur am Tage vor Ort, w�hrend Wilkens vorzugsweise nachts randalierte. W�hrend die Ermittler Brandschuttproben aus der Wohnung entnahmen und in kleinen Plastikbeh�ltern in Asservatenkoffern verschwinden lie�en, um sie sp�ter auf Brandbeschleuniger zu untersuchen, ging ich die m�glichen Szenarien durch. Im Durchschnitt werden pro Woche drei bis vier Brandleichen in unser Institut gebracht. Und bis zu diesem Tag lag, abgesehen von wenigen Suiziden, immer ein Unfall zugrunde. Was besonders h�ufig vorkommt: Jemand schl�ft mit der brennenden Zigarette in der Hand ein und steckt so die Wohnung in Brand. Meist ist �berm��iger Alkoholkonsum daf�r verantwortlich, dass er oder sie nicht rechtzeitig aufwacht, um sich noch in Sicherheit zu bringen. Deutlich seltener sind explosive Gefahrenstoffe im Spiel, und wenn, dann meist in beruflicher Umgebung und mit verheerenden Folgen. Jeder erinnert sich wahrscheinlich an das Ungl�ck in einer Feuerwerkfabrik im niederl�ndischen Enschede, bei dem im Mai 2000 der Sprengstoff von rund 100 Tonnen Feuerwerksk�rpern mitten in einem dichtbesiedelten Wohnviertel explodierte. 23 Menschen starben und weitere 947 wurden zum Teil schwer verletzt. Auch eine defekte Gastherme kann eine Explosion ausl�sen. Oder hatte hier jemand mit brennbaren Fl�ssigkeiten hantiert? Ich musste an einen Sportreporter mit einem albernen Spitznamen denken, der es sich vor einigen Jahren einmal im Bett seines Hotelzimmers mit einer Flasche Stroh-Rum und einer Zigarette bequem gemacht hatte. Dann hatte er versehentlich die brennende Zigarette in die Rumflasche fallen lassen, und es war zu einer gewaltigen Stichflamme gekommen, die seine rechte K�rperh�lfte schwer verbrannt hatte. Durch Chatr�ume und Mystery-Serien spukt auch immer mal wieder die zweifelhafte Theorie, dass ein menschlicher K�rper ohne Au�eneinwirkung oder einen sonstigen erkennbaren Grund von einem auf den anderen Moment verbrennen kann. Ich selbst hatte jedoch noch mit keinem Fall von�Spontaner Selbstentz�ndung (im� Angloamerikanischen��Spontaneous Human Combustion�)�zu tun, ebenso wenig wie mit Vampiren. Also w�rde ich mich bei der Obduktion neben der Identifizierung des Toten auf die �bliche Frage in solchen F�llen konzentrieren: Unfall, Suizid oder Mord? Bevor ich den Tatort verlie�, gab uns der Leiter der Brandermittler vom LKA einen knappen Bericht: Brandherd Nummer eins war das Wohn- und Schlafzimmer von Wilkens� Einzimmerappartement gewesen. Jedoch hatte die Spurensuche noch einen zweiten Brandherd in der K�che gefunden, die anders als das Schlafzimmer nur zum Teil von den Flammen vernichtet worden war. Aber das Wichtigste: In der K�che lagen die angeschmorten Reste eines F�nf-Liter-Kanisters sowie eine Einwegspritze mit klarer, leicht gelblicher Fl�ssigkeit���dem Geruch nach zu urteilen: Benzin. �Einwegspritze und Benzinkanister�, sagte der Mann vom LKA, �das kann schon mal kein Unfall gewesen sein. Vermute, da ist nachgeholfen worden. Genaueres wissen wir nach unseren Laboruntersuchungen.� Damit blieben nur noch Suizid oder Mord �brig. Noch in derselben Nacht obduzierten wir die in Hendrik Wilkens� Wohnung gefundene Brandleiche. Die unklaren Umst�nde und besonders der zweite Brandherd in der K�che deuteten darauf hin, dass hier wom�glich ein Gewaltverbrechen begangen worden war. Und der Tote war nicht identifiziert. Daher hatte die Staatsanwaltschaft nach kurzer Pr�fung des Falls die Obduktion angeordnet. Zum einen ging es wie gesagt um die Identit�t des Toten. Zum anderen mussten wir nach Hinweisen zum Tathergang suchen. Dabei ging es um zwei Fragen: 1. Frage:�Weist das Opfer Spuren auf, die verraten, dass es vor Ausbruch des Brandes get�tet worden ist? Also hielten wir Ausschau nach Verletzungen am K�rper des Toten, die nicht Folge des Feuers sein konnten und somit vor Ausbruch des Feuers entstanden sein mussten: Blutungen der Halsweichteile als Folge eines Angriffes gegen den Hals (W�rge- und Drosselmale) oder Abwehrverletzungen an den Streckseiten der Unterarme, die dann entstehen, wenn ein Mensch sch�tzend seine Arme vor Kopf und Gesicht h�lt, z.B. um Faustschl�ge abzuwehren. W�rden wir solche Spuren von Gewaltanwendung�finden, h�tten wir es aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem T�tungsdelikt, vielleicht mit �Brandmord�, zu tun. Brandmord hei�t, dass der M�rder im Anschluss an die T�tungshandlung die Leiche seines Opfers anz�ndet. Dahinter steckt die Hoffnung, dass das Feuer nicht nur das Opfer unkenntlich macht, sondern auch die eigentliche Todesursache verschleiert. Was allerdings kaum jemand wei�, ist, dass der Rechtsmediziner auch bei einer stark verbrannten Leiche immer noch den Zahnstatus feststellen oder eine DNA-Analyse durchf�hren kann. Diese Beweise werden erst dann vernichtet, wenn das Opfer mindestens ein bis anderthalb Stunden einer Temperatur von 800 �C oder mehr ausgesetzt ist und nichts weiter als ein H�ufchen Asche von dem �brig bleibt, was vorher mal ein Mensch war. 2. Frage:�Hat das Opfer zum Zeitpunkt des Brandes noch gelebt? Bei eindeutigen Hinweisen auf ein T�tungsdelikt vor der Explosion w�rden wir keine Vitalit�tszeichen finden. War der Mann aber zum Zeitpunkt des Brandausbruchs noch am Leben gewesen, musste er Ru� eingeatmet haben. In dem Fall w�rden wir also in Luftr�hre und Bronchien auf Ru�partikel sto�en. Die w�ren dann ein eindeutiger Beweis, dass der Mann durch das Feuer gestorben war. Der Umkehrschluss funktioniert allerdings nicht. Der Grund daf�r: Wird sehr viel Brandbeschleuniger eingesetzt, kann die Heftigkeit der Explosion dazu f�hren, dass der Betroffene derartig schnell vom Feuer get�tet wird, dass er keinen Ru� mehr einatmet oder verschluckt. Der Rechtsmediziner�findet in diesem Fall nur leichte Ru�ablagerungen im oberen Kehlkopf, aber nicht in den tieferen Abschnitten der Luftr�hre oder in den Bronchien. Entsprechend der rechtsmedizinischen Routine begannen wir zun�chst mit der �u�eren Leichenschau: Gesicht und K�rper des Toten waren vollst�ndig verkohlt, die Haut war aufgeplatzt, und r�tliches Fleisch schimmerte unter der schwarzen Oberfl�che hervor. Fast wie Lava in einem Vulkan, dachte ich. Manchmal kommen mir solche Bilder in den Kopf, wenn ich einen Toten obduziere. Das hat nichts mit mangelndem Respekt vor dem Toten zu tun. Ich denke, es ist eher wie bei jemandem, der lange im Zug sitzt und in den am Fenster vor�berziehenden Wolken Tiergestalt oder Gesichter sieht. Vermutlich helfen mir solche Assoziationen auch dabei, den n�tigen Abstand zu wahren und meine Arbeit sachlich zu erledigen. Der Leichnam lag leicht zusammengekr�mmt auf dem Seziertisch. Bei dieser Haltung sprechen wir Rechtsmediziner von der �Fechterstellung� oder �Boxerstellung�. Arme und Beine���bzw. das, was hier noch davon �brig war���waren angewinkelt, der R�cken gebeugt. Durch extreme Hitze schrumpfen die im Vergleich zu den Streckmuskeln weitaus kr�ftiger ausgebildeten Beugemuskeln in Armen und Beinen, so dass Brandleichen grunds�tzlich eine kauernde und in den Extremit�ten angewinkelte Haltung annehmen����hnlich wie ein Fechter oder ein Boxer, der sich auf einen Angriff vorbereitet. In der Haut neben den Augenlidern, kurz unterhalb beider Schl�fen, hoben sich zarte wei�e Streifen von�dem ansonsten schwarz verkohlten Gesicht ab. Diese speziellen �Kr�henf��e� k�nnen daf�r sprechen, dass das Opfer bei Ausbruch des Feuers noch gelebt hat���es hat reflexartig die Augen zusammengekniffen, als das flammende Inferno losbrach. Unter den interessierten Blicken der anwesenden Medizinstudenten und Kripoleute begannen wir dann die innere Leichenschau. Der Sektionsassistent �ffnete Brust- und Bauchh�hle, w�hrend der zweite anwesende Arzt damit begann, die Kopfhaut herunterzuziehen und die Sch�deldecke zu �ffnen, um das Gehirn zu entnehmen. �u�erlich lie� sich das Geschlecht des Leichnams nicht mehr feststellen. Dazu war die gesamte K�rperoberfl�che zu stark verbrannt und verkohlt, was bei Brandleichen h�ufig der Fall ist. Br�ste oder Penis und Hodensack waren quasi ein Raub der Flammen geworden. Als aber die Bauchh�hle ge�ffnet war und wir freien Blick auf die Organe im Becken hatten, stand fest, dass es sich bei der Brandleiche um einen Mann handelte: Tief im Becken, unterhalb des Schambeins, kam die Vorsteherdr�se, die Prostata, zum Vorschein. Damit stand zwar das Geschlecht des Toten fest, identifiziert war er damit aber noch nicht. Der Assistent reichte mir Lunge, Bronchien und Luftr�hre auf den Organtisch. F�r den Laien ist es oft schwer, in den realen Organen die Struktur zu erkennen, wie man sie aus Medizin- und Anatomieb�chern kennt. Sind die Organe jedoch vom Blut gereinigt, sehen sie nicht viel anders aus als die Abbildungen in den B�chern. Vorausgesetzt nat�rlich, sie sind nochintakt und der Leichnam ist nicht zu stark f�ulnisver�ndert. Ich schnitt Luftr�hre und Bronchien auf dem Organtisch mit einer Schere auf und sah sofort die schlierenartigen Ablagerungen auf der inneren Schleimhaut, bei denen es sich um die bewussten Ru�partikel handelte. Zum Zerschneiden der Organe benutzen wir h�ufiger eine Schere statt eines Messers, weil Luftr�hre und Bronchien, viele Gef��e oder Hohlorgane wie Magen, Blase oder Gallenblase mit einem Messer nicht sauber ge�ffnet werden k�nnen. Zudem schneidet man sich mit einer Schere nicht so leicht, denn wegen der Infektionsgefahr sind in der Rechtsmedizin alle sehr darauf bedacht, sich beim Sezieren nicht zu verletzen. Einige Kollegen tragen als zus�tzlichen Schutz Teflon-Handschuhe unter ihren Gummihandschuhen. Als N�chstes legte mir der Sektionsassistent den Magen samt Speiser�hre auf den Organtisch. Die Speiser�hre ist in etwa so dick wie der Zeigefinger eines Menschen und damit sehr viel d�nner, als man sich wohl gemeinhin vorstellt. Ich �ffnete Magen und Speiser�hre und entdeckte auch hier dieselben Ru�ablagerungen. Der Tote hatte diese Partikel also eingeatmet und auch verschluckt���er musste zum Zeitpunkt des Brandausbruchs noch am Leben gewesen sein. Auch eine hohe Konzentration von Kohlenmonoxid im Blut ist ein Beleg daf�r, dass das Todesopfer zum Zeitpunkt des Feuers noch am Leben war. Das Kohlenmonoxid wird mit dem Rauch des Feuers eingeatmet und gelangt �ber Luftr�hre und Bronchien�in die Lungen und von dort aus ins Blut. Am besten kann man den Gehalt dieses Gases im Herzblut feststellen. Um Herzblut f�r die toxikologische Untersuchung zu gewinnen, schneiden wir mit einer Schere den Herzbeutel, der das Herz umschlie�t, auf und heben das Herz an der Spitze aus dem Herzbeutel heraus. Dann werden die gro�en Gef��e, die zum Herzen hin- bzw. davon wegf�hren, mit einem Messer eingeschnitten und das aus dem kopf�ber gehaltenen Herzen herauslaufende Blut in einer Sch�pfkelle aufgefangen���einem Instrument, das einer Suppenkelle vergleichbar ist. Nur selten nehmen wir zum Aufschneiden der Leiche und zum Entnehmen der Organe wie dem Herzen Einweg-Skalpelle. Die Messer, die wir benutzen, haben robuste l�ngliche Klingen mit Kunststoffgriff, nicht un�hnlich denen, die auch in Metzgereien verwendet werden. Diese Messer werden regelm��ig geschliffen und ausgetauscht. Auch bei uns gilt: Mit einem stumpfen Messer ist die Verletzungsgefahr deutlich gr��er als mit einem scharfen. Im Labor stellten die Kollegen sp�ter einen Kohlenmonoxidgehalt von fast 60 Prozent in Wilkens� Herzblut fest. Auch das war ein klares Indiz daf�r, dass er zum Zeitpunkt des Brandes noch gelebt hatte und sehr wahrscheinlich durch das Feuer ums Leben gekommen war. Damit war ein Brandmord also eindeutig ausgeschlossen. Das hie� f�r die Ermittler: Entweder hatte der Tote selbst das Feuer gelegt, oder es war Brandstiftung. Doch wozu setzt jemand eine verwahrloste Wohnung ohne�jegliche Wertgegenst�nde in Brand? Die naheliegende Vermutung: Um den Bewohner zu t�ten. Damit h�tten wir es mit etwas zu tun, was �u�erst selten vorkommt: mit einem sogenannten Mordbrand. Hierbei ist das Feuer sozusagen die Tatwaffe. F�r die Identifizierung entnahmen wir auch in diesem Fall w�hrend der Obduktion Ober- und Unterkiefer des Toten. Da das Gebiss des Toten v�llig verkohlt war, mussten die Kiefer vor der Befunderhebung und Archivierung sorgf�ltig mit einer Zahnb�rste gereinigt werden, um eventuell vorhandene Plomben, Kronen und Br�cken f�r den sp�teren Abgleich mit einem Zahnschema �berhaupt erst freizulegen. Die Z�hne des Toten passten zwar zu Hendrik Wilkens� verwahrlostem Zustand, den die Zeugen beschrieben hatten: Fast alle Z�hne waren vollkommen kari�s und verfault. Das erschien aber f�r eine sp�tere Identifizierung mittels eines Zahnschemas von Hendrik Wilkens eher von zweifelhaftem Wert. F�r die Identifizierung eines unbekannten Toten wird bei der Obduktion routinem��ig eine Blutprobe f�r eine DNA-Analyse asserviert. Daf�r schneidet der Sektionsassistent entweder die Schenkelvene oder etwas h�her die Beckenvene auf. Das Blut befindet sich auch bei Leichen noch in den Gef��en. Da das Blut durch den Stillstand des Herzens nicht mehr weitertransportiert wird, sind die Gef��e bei Toten meist noch gut mit Blut gef�llt���es sei denn, der Betreffende ist verblutet oder litt vor seinem Tod an einer An�mie, einer Blutarmut. Durch Druck auf den Oberschenkel, den man vom Knie bis zur H�fte aufbaut, kann man die Vene sozusagen �auspressen� und mit einer Sch�pfkelle Blut f�r sp�tere DNA-Analysen oder auch toxikologische Untersuchungen entnehmen. Das Blut f�r die DNA-Untersuchung wird auf ein Leinenl�ppchen gegeben, luftgetrocknet und dann in einem sterilen Gef�� aufbewahrt, bis es sp�ter im DNA-Labor analysiert wird. Blut f�r DNA-Untersuchungen bewahren wir niemals in fl�ssiger Form in Spritzen oder Glasr�hrchen auf, da dann die im Blut enthaltenen Proteine verfaulen w�rden und wir keine Analysen mehr damit durchf�hren k�nnten. Weitere Blutuntersuchungen in unserem Fall ergaben eine Blutalkoholkonzentration von 1,5 Promille sowie Anteile von Diazepam und Nordazepam, beides Wirkstoffe, die in Beruhigungs- und Schlafmitteln wie z. B. Valium enthalten sind. Der Tote war also alkoholisiert gewesen und hatte zum Zeitpunkt seines Todes unter dem Einfluss von starken Beruhigungsmitteln gestanden. Daher war es durchaus m�glich, dass sich ein Fremder Zutritt zur Wohnung verschafft und, w�hrend Wilkens schlief, das Feuer gelegt hatte und Wilkens erst aufgewacht war, als die Wohnung bereits gebrannt hatte. Die weitere Untersuchung der Lunge erbrachte entscheidende Erkenntnisse. Ich hatte mehrere kleine St�ckchen Gewebe aus der Lunge herausgeschnitten und sie in ein daf�r vorgesehenes Glasr�hrchen f�r den Gaschromatographen gelegt. Diese Untersuchung zeigte uns, dass Benzin als Brandbeschleuniger eingesetzt worden war, sie best�tigte also, was wir kurz zuvor telefonisch vom LKA, Abteilung Physik und Elektrotechnik, erfahren hatten. Dort hatte man in den Brandschuttproben aus der Wohnung sowie im Kanister und der Einwegspritze Benzin als Brandbeschleuniger identifizieren k�nnen. Ferner hatte die Untersuchung des Brandortes ergeben, dass es, wie von den Zeugen geh�rt, zu einer Explosion gekommen war, die dann zu dem Wohnungsbrand gef�hrt hatte. Als wir mit der Obduktion fertig waren, stand fest, dass der Tote keine Verletzungen hatte, die nicht mit dem Feuer zu vereinbaren waren, oder anders ausgedr�ckt: Es fanden sich keine Hinweise auf eine Gewalteinwirkung auf den K�rper des Mannes zu Lebzeiten, abgesehen von den Folgen der Flammen. Der Mann war also durch das Feuer ums Leben gekommen. Am n�chsten Tag erhielten wir weitere Informationen von der Kripo. Wie bef�rchtet hatte kein Zahnarzt in ganz Norddeutschland Patientendaten von Hendrik Wilkens, offenbar war er niemals beim Zahnarzt gewesen. Und da in der fast komplett ausgebrannten Wohnung keine DNA-Spurentr�ger (z.B. eine Zahnb�rste oder ein Rasierer) von Wilkens mehr zu finden gewesen waren, die einen DNA-Vergleich mit der bei der Obduktion des Toten gewonnenen Blutprobe erm�glicht h�tten, blieb den Kollegen von der Kripo nichts anderes �brig, als die Eltern von Hendrik Wilkens aufzusuchen und ihnen von einem Arzt eine Blutprobe f�r eine DNA-Analyse entnehmen zu lassen. Ziel war es, zu widerlegen oder zweifelsfrei nachzuweisen, dass es sich bei der m�nnlichen Brandleiche tats�chlich um Hendrik Wilkens handelte. Als die Beamten sie antrafen, waren Wilkens� Eltern in einem Zustand von Bangen und Hoffen. Obwohl sie seit geraumer Zeit keinen�Kontakt mehr zu ihrem Sohn gehabt hatten, wollten sie nat�rlich wissen, ob der Tote aus dem Einzimmerappartement in der Gartenstra�e wirklich ihr Sohn war���oder ob er doch noch am Leben war, irgendwo anders, vielleicht untergetaucht. Doch einige Tage sp�ter hatten wir das Ergebnis in unserem Labor. Die DNA-Probe der Eltern war ausgewertet worden und best�tigte, dass der Tote ihr Sohn war. Der Kripo war es bald gelungen, mit dem Sozialarbeiter von Wilkens zu sprechen. �Er war schizophren, hat behauptet, Stimmen w�rden ihn auffordern, Dinge zu tun�, hatte der ausgesagt. Er h�tte sich bereits �fter in psychiatrische Behandlung begeben und sei kurz davor gewesen, in der Geschlossenen zu landen. Die Kollegen aus der Psychiatrie h�tten ihm Valium verschrieben, damit habe er wenigstens schlafen k�nnen. Mehrfach habe der Sozialarbeiter Wilkens dabei helfen m�ssen, durch das K�chenfenster in seine eigene Wohnung zu gelangen, da Wilkens im Alkoholrausch seinen einzigen Wohnungsschl�ssel verloren hatte. Seit einiger Zeit h�tte Wilkens die Wohnung nur noch durch das eingeschlagene K�chenfenster betreten und verlassen. Was die hygienische Situation der Wohnung anbelangte, pflichtete der Sozialarbeiter den Nachbarn bei. Zu Beginn habe er noch versucht, Wilkens zu �berzeugen, die Wohnung doch einmal gr�ndlich sauberzumachen, doch irgendwann habe er es aufgegeben. Einer Putzfrau h�tte man die Reinigung jedenfalls nicht mehr zumuten k�nnen. Die ganze Wohnung sei voll gewesen mit Abfall. Pizzakartons, leere Konservendosen, Essensreste, Kleidung und Unterw�sche bedeckten den gesamten Fu�boden. Nur die stockfleckige, schimmelige Couch, die an der Wand gegen�ber dem Fenster stand und auf der Wilkens h�ufig den ganzen Tag liegend und Schnaps trinkend vor dem mit voller Lautst�rke laufenden Fernseher zubrachte, h�tte sich aus diesem Meer von Unrat erhoben. Dusche und Toilette h�tten nicht besser ausgesehen. Erstere sei so verkalkt gewesen, dass man davon ausgehen musste, dass sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt worden war. Die Toilette sei zwar benutzt, aber wohl ebenso lange nicht mehr gesp�lt worden. Die gesamte Wohnung sei von einem bestialischen Gestank erf�llt gewesen. Dass die Nachbarn ihre Balkont�ren nicht mehr �ffnen mochten, sei da kein Wunder gewesen, so der Sozialarbeiter. Wenige Tage nach der Obduktion hatte die Kripo den Fall schlie�lich gel�st. Es war tats�chlich Mordbrand gewesen. Doch die Tatumst�nde h�rten sich so unwahrscheinlich an, als h�tte ein Thriller-Autor es mit der Glaubw�rdigkeit nicht so genau genommen: Hendrik Wilkens� M�rder war ein ebenfalls psychisch kranker Mann, der T�r an T�r mit ihm gelebt hatte. In der Nachbarschaft nannte man ihn schon seit langem �den Guru�, da er st�ndig behauptete, mit �berirdischen M�chten in Kontakt zu stehen. Der Kripobeamte, der bei der Durchsuchung der Wohnung des sp�ter �berf�hrten und verurteilten T�ters zugegen gewesen war, beschrieb mir sp�ter eindr�cklich deren Einrichtung. Die W�nde waren �ber und �ber mit Talismanen und Pentagrammen �bers�t, die Fensterscheiben zugeh�ngt. Alt�re mit Vogelskeletten s�umten die vergilbten W�nde, dunkle T�cher mit�Spinnennetzen hingen von der Decke, und auf seltsamen, improvisiert zusammengeschusterten Steinalt�ren standen schwarze Kerzen. Zu den wenigen Einrichtungsgegenst�nden im Wohnzimmer geh�rte ein schwarzer Sarg. Nachdem sich der Bewohner dieser R�ume zun�chst in Widerspr�che verstrickt hatte, gestand er schlie�lich, Hendrik Wilkens im Schlaf angez�ndet zu haben. Der Grund sei gewesen, dass Wilkens st�ndig im Treppenhaus und auf der Terrasse der Wohnung randaliert und ihn dadurch in seiner Meditation und Kontaktaufnahme mit den Geistern gest�rt habe. Also war er in besagter Nacht mit dem Benzinkanister und der Spritze durch das K�chenfenster geklettert und hatte das Benzin erst �ber den auf der Schlafcouch liegenden Wilkens und dann im gesamten Raum verteilt und schlie�lich mit dem Benzin in der Spritze eine �Lunte� zur K�che gelegt. Kurz nach dem Anz�nden der Benzinlunte stand die Wohnung in Flammen. �berrascht von der Heftigkeit der Explosion und von Wilkens� gellenden Hilfeschreien lie� er seine Utensilien am Tatort zur�ck und versteckte sich im Keller der Wohnanlage, wo er wenig sp�ter auch von einem der Nachbarn gesehen worden war. Dieser Nachbar hatte die Polizei in seiner Zeugenaussage schlie�lich auf die Spur des �Gurus� gef�hrt. Das sp�tere psychiatrische Gutachten des �Gurus� Rudolph Keil ergab eine schwere paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit dadurch bedingter Schuldunf�higkeit. Es wurde vom Gericht die Sicherheitsverwahrung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt angeordnet. Zwei psychisch gest�rte Menschen hatten lange Zeit T�r an T�r gewohnt, nicht betreut in einem Heim, sondern alleinverantwortlich in einem gew�hnlichen Mietshaus. Und nun w�rde keiner von ihnen mehr in seine Wohnung zur�ckkehren. Der Mann, der vom Himmel fiel Der Mann lag r�cklings auf der Rasenfl�che vor einem Gehweg in Berlin-Friedrichshain. Seine Arme lagen in den Schulter- und Ellenbogengelenken leicht angewinkelt neben dem Kopf. Seine Kleidung sah auffallend ordentlich aus, nicht wie nach einem Kampf oder sonstiger Gewalteinwirkung. Jacke, Pullover und T-Shirt waren nur ein kleines St�ck �ber seinen Bauchnabel hochgerutscht und gaben den Blick auf die sehr blasse, aber unverletzte Haut oberhalb der Jeans frei. Kopf und Gesicht des Mannes waren dagegen blut�berstr�mt, und im Gesicht zeigten sich fl�chenhafte Hautsch�rfungen, die die Haut der gesamten Stirn, den Nasenr�cken, den linken Nasenfl�gel und die linksseitige Jochbein- und Wangenregion in Mitleidenschaft gezogen hatten. Ein Portemonnaie,Ausweispapiere oder sonstige pers�nliche Dokumente f�hrte er nicht bei sich. Eine erste vorsichtige Drehung des Toten zeigte, dass Jacke und Hose mit Erde und einer angetrockneten r�tlichen Fl�ssigkeit, sehr wahrscheinlich Blut, beschmutzt waren. Auf dem Rasen unter dem Toten fanden sich keinerlei Blutspuren. �Als w�re er vom Himmel gefallen�, sagte einer der Ermittler zu mir, als ich am Ort des Geschehens eintraf.�Der Notarzt hatte nur noch den Tod des Mannes feststellen k�nnen und die Szenerie bereits wieder verlassen. Der Leichenfundort wurde weitr�umig mit �Flatterband� (so bezeichnet, weil es bei Tatorten im Freien wie hier so sch�n im Wind flattert) und Polizeiwagen abgesperrt, w�hrend sich eine Menge interessierter Passanten und erste Reporter einfanden. Ehe ich den Leichnam n�her untersuchen konnte, machten sich die Kriminaltechniker von der Spurensicherung an ihre Arbeit und begannen mit der Sicherung von textilen Faserspuren. Die kriminaltechnische Sicherstellung und anschlie�ende Untersuchung von Faserspuren, auch als Textilspuren bezeichnet, kommt dann zum Einsatz, wenn es zum Beispiel darum geht, den Kontakt zwischen zwei Personen (beispielsweise einem Tatverd�chtigen und dem Opfer eines T�tungsdeliktes) oder den Aufenthalt einer Person an einem Tatort nachzuweisen. Hierbei macht sich die Kriminaltechnik die Tatsache zunutze, dass jeder Mensch st�ndig kleinste Textilfasern aus seiner Umgebung, wie z. B. von Kleidungsst�cken oder M�belstoffen, aufnimmt, aber auch von der von ihm getragenen Kleidung an seine Umwelt abgibt. Solche Faserspuren werden ganz besonders bei engen und intensiven k�rperlichen Kontakten, wie z.B. einer Rangelei zwischen zwei Personen, �bertragen. Faserspuren sind sogenannte Mikrospuren, also mit dem blo�en Auge nicht zu erkennen, k�nnen aber mit kriminaltechnischen Untersuchungsmethoden leicht gesichert und sichtbar gemacht werden. Bei der Sicherstellung von Faserspuren durch die Beamten der Spurensicherung bei einem potentiellen T�tungsdelikt wird die Bekleidung des Toten Zentimeter f�r Zentimeter mit durchsichtigem Plastikklebeband abgetastet. Um nicht Textilfasern ihrer eigenen Bekleidung auf die zu untersuchende Kleidung zu �bertragen, sind die Kriminaltechniker mit Ganzk�rper-Overalls aus Kunststoffmaterial, Plastik�berschuhen und Gummihandschuhen bekleidet. Auf dem Spurensicherungsblatt wird detailliert vermerkt, von welcher Stelle des Kleidungsst�ckes die einzelnen Klebeb�nder, die jeweils mit Nummern versehen sind, stammen. Zus�tzlich werden die auf die Bekleidung aufgebrachten Klebestreifen fotografiert. Bei der anschlie�enden Auswertung im Textilspurenlabor des Landeskriminalamtes kommen verschiedene mikroskopische Untersuchungstechniken zum Einsatz. Aus der Zusammensetzung, dem Zustand und Verteilungsbild von Faserspuren lassen sich oft wertvolle Hinweise zur Rekonstruktion eines Tatgeschehens gewinnen oder auch Tatverd�chtige einem Tatort zuordnen. Faserspuren haben vor Gericht eine �hnlich hohe Beweiskraft wie Fingerabdr�cke. Um das Faserspurenbild nicht zu ver�ndern, sind die �Textiltechniker�, wie sie auch genannt werden, stets die Ersten, die einen Leichnam untersuchen, ehe Rechtsmediziner und andere Kriminaltechniker sich austoben k�nnen. Als die Textiltechniker nach etwa 50 Minuten fertig waren, sahen wir uns den Toten genauer an. Au�er den ausgedehnten Hautsch�rfungen im Gesicht, die mir schon beim ersten Blick auf den Mann aufgefallen waren, stellte ich fest, dass Ober- und Unterlid des linken Auges durch H�matome dunkelblau-violett verf�rbt waren. Der Mediziner spricht dabei von einem �Monokelh�matom�, da die Form der Verf�rbung an ein altmodisches Monokel erinnert, den Vorl�ufer der Brille. Sind beide Augen von solchen H�matomen, die �blicherweise Folge von massiver stumpfer Gewalteinwirkung sind, betroffen, sprechen wir von einem �Brillenh�matom�. Die Innenseite der Augenlider war auf der linken Seite dickschichtig unterblutet, auf der rechten Seite dagegen nicht; die Gewalteinwirkung, die den Mann wahrscheinlich get�tet hatte, musste also prim�r seine linke K�rperseite getroffen haben. In den Unterlidern beider Augen entdeckten wir Fliegeneier. Die Existenz von Fliegeneiern in den Augen, den Nasenl�chern oder im Mund kann den Laien schnell dazu verleiten, zu glauben, dass die Person schon seit mehreren Tagen tot ist. Doch tats�chlich legen gerade im Sommer bereits wenige Stunden nach dem Tod eines Menschen Fliegen ihre Eier in Augenlider, Nasenl�cher und Mund ab. Aber es gab noch andere Zeichen einer massiven stumpfen �u�eren Gewalteinwirkung gegen das Gesicht des Mannes: Ober- und Unterkiefer waren unnat�rlich (wir sprechen auch von �widernat�rlich�) beweglich. Es f�hlte sich beim Abtasten des Mittelgesichtes und Kinns des Toten so an, als h�tte er dort unter der Haut zus�tzliche Gummischarniere im Gesicht. Die Unterlippenschleimhaut war im Bereich ihrer Umschlagsfalte zum Zahnfleisch hin gequetscht und stark eingeblutet, in dem Blut in der Mund�ffnung schwammen mehrere Z�hne. Auch die Nase des Mannes war widernat�rlich beweglich, was f�r eine Fraktur des kn�chernen Nasenskeletts sprach. Das Gesicht des Mannes sah so aus, als sei es mit einem Vorschlaghammer bearbeitet worden. Die rechte Ohrmuschel war blutverschmiert, und beim Drehen des Leichnams sickerte Blut aus dem rechten Geh�rgang. Letzteres ist immer ein Hinweis darauf, dass wir es mit einem Sch�delbasisbruch zu tun haben. Derart schwere Kopfverletzungen, wie sie schon die erste oberfl�chliche Untersuchung des Mannes zutage f�rderte, findet man normalerweise bei Menschen, die durch einen Sturz aus gro�er H�he oder durch anderweitige sehr massive stumpfe �u�ere Gewalteinwirkung, wie z.B. einen Verkehrsunfall, zu Tode gekommen sind. Ein Tod mit nat�rlicher Ursache hingegen kam aufgrund der massiven Kopfverletzungen nicht in Betracht. Stirbt ein Mensch z. B. an einem Herzinfarkt und st�rzt dann leblos zu Boden, kann er sich dabei zwar theoretisch auch Kopfverletzungen zuziehen, aber niemals so gravierende, wie wir sie hier sahen.Was uns allerdings auch sofort auffiel, war, dass der Tote auf der Rasenfl�che mehr als zehn Meter vom n�chsten mehrst�ckigen Wohnhaus entfernt lag und sich unter dem Toten auf der Gr�nfl�che keine Blutspuren befanden. Hier konnte er also unm�glich nach einem Sturz gelandet sein. M�glicherweise war der Mann ja von einem der umliegenden H�user gesprungen und dann von jemandem auf den Rasenstreifen gezerrt worden. Aber warum? Au�erdem fanden sich auf den Gehwegen und in den Vorg�rten der H�user keine Blutspuren. Was war also geschehen? War der Mann vielleicht als Fu�g�nger von einem sehr schnell fahrenden Auto erfasst und auf die etwa drei Meter entfernte Rasenfl�che geschleudert worden? Doch die Stra�e endete wenige Meter hinter dem Fundort des Mannes an einer Mauer. Es war also technisch so gut wie unm�glich, einen Pkw beim Herausfahren aus der Sackgasse so stark zu beschleunigen, dass ein angefahrener Fu�g�nger mehrere Meter durch die Luft geschleudert w�rde. Ebenso wenig schien es m�glich, dass ein Autofahrer mit Vollgas in die Sackgasse hineingefahren war, den Mann angefahren hatte und dann noch kurz vor der Mauer zum Stehen gekommen war. Die Umgebung des Leichenfundortes wurde Zentimeter f�r Zentimeter von den Beamten der Spurensicherung unter die Lupe genommen. Bei sehr genauem Hinsehen zeigten sich auf der Gr�nfl�che, auf der der Tote lag, wenige Zentimeter in das Erdreich und den Rasen eingegrabene parallele Rinnen. Der Abstand der beiden Rinnen entsprach dem Abstand zwischen den beiden F��en des Toten in seiner Auffindeposition, ihre Breite der der Schuhabs�tze des Toten. Au�erdem waren die Abs�tze deutlich st�rker mit Erde und Gras verschmutzt, als es bei blo�em Herumlaufen auf einer Rasenfl�che der Fall gewesen w�re. Allem Anschein nach war der Tote von der Stra�e auf den Gr�nstreifen geschleift worden. Das erkl�rte auch, warum seine Oberk�rperbekleidung etwas hochgeschoben und hinten beschmutzt war. Ob er zu diesem Zeitpunkt noch am Leben gewesen war, musste die Obduktion des Toten beantworten. Ehe wir im Institut den Toten entkleideten und mit der �u�eren Leichenschau begannen, �berlie�en wir zun�chst den Spurensicherern von der Daktyloskopie das Feld. Der Begriff Daktyloskopie kommt aus dem Griechischen (daktylos�= Finger;skopein�= schauen). Die Daktyloskopie besch�ftigt sich mit dem Nachweis, der Sicherstellung und dem Vergleich von Fingerabdruckspuren (umgangssprachlich �Fingerabdr�cke�). Jeder Krimileser wei�, dass Tatverd�chtige aufgrund von Fingerabdr�cken identifiziert werden k�nnen, die sie unbedachterweise am Tatort oder an der Tatwaffe hinterlassen haben. Genauso eignet sich die Daktyloskopie dazu, unbekannte Tote anhand ihrer Fingerabdr�cke zu identifizieren. Jeder Mensch hat an den Finger- und Handinnenfl�chen kleinste Leisten aus Haut (Papillarleisten), die sich schon bei genauerer Betrachtung mit dem blo�en Auge und besonders gut unter einer Lupe als reliefartige Hautleisten darstellen. Die Kriminalisten profitieren davon, dass Beschaffenheit, Anordnung und Verlauf der Papillarleisten eines jeden Menschen einmalig sind. Sie ver�ndern sich von der Geburt eines Menschen an das ganze Leben lang nicht mehr. Mittlerweile k�nnen mit der sogenannten Lifescan-Technik Fingerabdr�cke auch digital, ohne Verwendung von Druckerschw�rze, aufgenommen und automatisch in eine digitale Datenbank �bertragen und mit hier bereits gespeicherten Fingerabdr�cken verglichen werden. Das ist auch das Prinzip der neuen deutschen biometrischen Reisep�sse���eine Erfassung, Auswertung und Zuordnung unserer Fingerabdr�cke zu unserer Person wird elektronisch�innerhalb von Sekunden m�glich. George Orwell l�sst gr��en� Als die �Daktys�, wie einige Kollegen sie liebevoll nennen, abger�ckt waren, um in ihrer Dienststelle die Fingerabdr�cke unseres Toten mit denen in der Datei der Landeskriminal�mter und des Bundeskriminalamtes zu vergleichen, begannen wir mit unseren Untersuchungen. Der Mann war 180 Zentimeter gro� und 75 Kilogramm schwer. An den r�ckw�rtigen K�rperpartien stellten wir nur sehr gering ausgepr�gte, nicht mehr wegdr�ckbare, hellviolette Leichenflecken fest. Nur gering bzw. sp�rlich vorhandene Leichenflecken sind ein Hinweis auf einen lebensbedrohlichen Blutverlust des Betreffenden vor seinem Tod. Die Totenstarre des Verstorbenen war in allen gro�en und kleinen Gelenken kr�ftig ausgepr�gt, Leichenf�ulnis hatte hingegen noch nicht eingesetzt. Der Mann konnte also bei vorsichtiger erster Sch�tzung noch nicht viel l�nger als einen bis allerh�chstens zwei Tage tot sein. Der Abgleich der Rektaltemperatur des Toten mit der Umgebungstemperatur am Leichenfundort hatte uns, was die n�here Eingrenzung der Todeszeit des Mannes anbelangte, nicht weitergeholfen. Beide waren mit 13,4 Grad Celsius gemessen worden, was bedeutete, dass die K�rperkerntemperatur des Mannes bereits der Umgebungstemperatur entsprach. Ohne existierende Differenz zwischen den beiden Parametern�K�rperkerntemperatur�und�Umgebungstemperatur�k�nnen diese uns nat�rlich nichts zur Leichenliegezeit verraten. Auff�llig war, dass der Mann keine Augenbrauen hatte, sie waren offensichtlich erst vor kurzem abrasiert�worden. Da die Identifizierung des Toten dadurch in keiner Weise erschwert wird, glaubten wir nicht, dass ein m�glicher T�ter sie abrasiert hatte. Das hatte der Mann wohl eher selbst getan. Abrasierte Augenbrauen finden sich in statistisch relevanter H�ufigkeit bei Menschen, die an psychischen Auff�lligkeiten leiden. Hie� das vielleicht, dass der Mann gar nicht get�tet worden war, sondern sich selbst das Leben genommen hatte? Die H�nde des Mannes waren sehr kr�ftig und die Fingerkuppen stark verhornt. Offenbar hatte der Mann k�rperlich viel gearbeitet, vielleicht in der Landwirtschaft oder auf einer Baustelle. Auff�lliger und bedeutsamer als die starke Hornhaut an seinen H�nden waren jedoch zwei Hautblasen an der Innenfl�che der linken Hand (3 x 4 und 2 x 3 Zentimeter gro�), die sich im Bereich von Daumenballen und Kleinfingerballen gegen�berlagen. Beide Hautblasen hatten einen ger�teten Wundgrund. Bei einer der Blasen lag dieser frei, da die Haut dar�ber geplatzt war. Bei der anderen war die Haut noch intakt, wenn auch prall gespannt. Mit einer feinen Kan�le zogen wir etwas Fl�ssigkeit aus der intakten Hautblase in eine Spritze. Die Fl�ssigkeit war klar und gelblich, sie w�rde sp�ter im Labor analysiert werden, denn ihr Entz�ndungszellgehalt und ihr Eiwei�anteil konnten uns etwas �ber die Vitalit�t der Hautblase sagen. So k�nnen wir gegebenenfalls ausschlie�en, dass es sich bei einer Hautblase nur um ein postmortales Artefakt handelt, z.B. um eine mit F�ulnisfl�ssigkeit gef�llte Blase. Nachdem wir die Blasenfl�ssigkeit asserviert hatten, schnitt ich mit dem Skalpell aus beiden Hautblasen an�der Innenfl�che der linken Hand kleine Gewebeproben heraus und legte sie in Formalinl�sung. Die sp�tere Laboranalyse der Blasenfl�ssigkeit und die mikroskopische Untersuchung der Gewebeproben best�tigten unseren Verdacht, dass es sich bei beiden Hautver�nderungen um Brandblasen handelte. Nach der �u�eren und vor der inneren Leichenschau r�ntgten wir den Toten. Beim R�ntgen des Sch�dels stellten wir Br�che des linken Jochbeins und des linken Augenh�hlendaches fest, ebenso war das kn�cherne Nasenskelett an diversen Stellen gebrochen���man spricht von �mehrfacher Nasenbeinfraktur�. Das R�ntgen des Thorax, also des Oberk�rpers, verriet uns bereits, dass wir bei der Obduktion auf diverse Frakturen der Wirbels�ule und der Unterarme beiderseits sto�en w�rden. Das R�ntgen eines Toten oder nur von bestimmten K�rperpartien vor der Obduktion ist insbesondere bei Schusstodesf�llen oder bei stark polytraumatisierten Verstorbenen ein routinem��iges Verfahren. Dadurch lassen sich deutlich sichtbare (�r�ntgendichte�) Fremdk�rper wie Projektile, Projektilteilchen, abgebrochene Klingen oder andere Metallteilchen sowie Knochenbr�che und Schussfrakturen nachweisen bzw. ausschlie�en. Die Obduktion best�tigte, was nach �u�erer Leichenschau und R�ntgen bereits mehr als wahrscheinlich gewesen war: Der Mann war durch massive Gewalteinwirkung gegen den Kopf zu Tode gekommen. Die Pr�paration der Hals- und Gesichtsweichteile zeigte, dass wir mit unserer Vermutung bei der ersten Untersuchung des Toten am Leichenfundort recht gehabt�hatten: Sowohl Ober- als auch Unterkiefer waren mehrfach gebrochen. Zus�tzlich waren mehrere Frontz�hne im Ober- und Unterkiefer herausgebrochen oder stark gelockert. Nachdem wir das Sch�deldach mit der oszillierenden S�ge abgel�st und das Gehirn aus dem Sch�del entnommen hatten, stellten wir insgesamt drei Berstungsbr�che des vorderen Hirnsch�dels und mehrere Br�che der Sch�delbasis mit korrespondierenden Hirnrindenprellungsblutungen und Quetschungen des Hirngewebes fest. Zus�tzlich waren das rechte und das linke kn�cherne Augenh�hlendach v�llig zertr�mmert, und das Gehirn war in diesem Bereich nur noch eine blutunterlaufene, breiige Masse, die keine Strukturen mehr erkennen lie�. Diese schweren Kopfverletzungen mussten zum sofortigen Tod gef�hrt haben. Das bedeutete, dass der Mann nicht schwerverletzt, sondern bereits tot zu seinem Fundort im Berliner Stadtteil Friedrichshain geschleppt worden war. Solche Details k�nnen f�r das sp�ter aus einem Gerichtsprozess resultierende Strafma� entscheidend sein. F�r die sp�tere Strafzumessung ist n�mlich wichtig, ob die vermeintliche Leiche noch gelebt hat, als sie verschleppt bzw. versteckt wurde, oder ob sie zu diesem Zeitpunkt schon tot war. Im ersten Fall kann �unterlassene Hilfeleistung� geahndet werden. Als wir Brust- und Bauchh�hle ge�ffnet und die inneren Organe entnommen hatten, stellten wir fest, dass diese ausgesprochen blass waren, der Mann also tats�chlich kurz vor dem Tod eine gro�e Menge an Blut�verloren haben musste. In der Luftr�hre und den Bronchien fanden wir blutig-schaumige Fl�ssigkeit���ein Vitalit�tszeichen. Nach dem Bruch der Sch�delbasis war Blut in den Rachenraum gelangt und von dem Sterbenden mit seinen letzten Atemz�gen eingeatmet worden. Die blutig-schaumige Fl�ssigkeit in den Bronchien war neben den vital entstandenen Blutungen im Hirngewebe ein weiterer rechtsmedizinischer Beweis daf�r, dass der Mann im Moment der Gewalteinwirkung gegen seinen Kopf noch gelebt hatte. Damit waren die Kopfverletzungen bewiesenerma�en die Todesursache. Bei der Pr�paration der Weichteile und des Skelettsystems wird erst die Haut regelrecht �abgesch�lt� und dann das Unterhautfettgewebe und die Muskulatur schichtweise freigelegt, um H�matome oder Zerrei�ungen in diesen Schichten festzustellen, bis schlie�lich die Knochen freiliegen. Diese werden dann auf eventuell vorhandene Frakturen untersucht. Die Pr�paration des Mannes, der scheinbar vom Himmel gefallen war, zeigte uns Frakturen mehrerer Hals- und Brustwirbelk�rper, die regelrecht ineinander verschoben, also gestaucht waren, wie Eisenbahnwaggons nach der Frontalkollision mit einem entgegenkommenden Zug. Auch die Ellen- und Speichenknochen beider Unterarme waren nahe dem Handgelenk gebrochen. Die Blutalkoholbestimmung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,35 Promille. Der Mann war zum Zeitpunkt seines Todes also sehr leicht alkoholisiert gewesen. Die chemisch-toxikologische Untersuchung von Venenblut, Herzblut, Mageninhalt und Urin auf Drogen und Medikamente verlief negativ. Letzteres bedeutete, dass der Mann keine Psychopharmaka eingenommen haben konnte, zumindest nicht regelm��ig. Falls er also an einer psychiatrischen Erkrankung gelitten hatte, wie wir aufgrund der abrasierten Augenbrauen vermutet hatten, konnte er sich nicht in regelm��iger �rztlicher Behandlung befunden haben. Als wir mit der Obduktion fertig waren, teilte ich dem zust�ndigen Staatsanwalt, der die ganze Zeit dabei gewesen war und sich jeden unserer Handgriffe interessiert hatte erkl�ren lassen, meine Einsch�tzung mit: Nach allem, was ich gesehen hatte, ging ich davon aus, dass das t�dliche Sch�del-Hirn-Trauma die Folge eines Sturzes aus mindestens f�nf Meter H�he war. Andere Arten stumpfer �u�erer Gewalteinwirkung kamen f�r die massiven Kopfverletzungen, insbesondere in Kombination mit den Br�chen von Elle und Speiche beider Unterarme und der gestauchten und gebrochenen Wirbels�ule, nicht in Betracht. Der Mann musste mit dem Kopf voran auf offensichtlich sehr hartem Untergrund aufgeschlagen sein, was dann nicht nur zu den Sch�delund Gesichtsverletzungen, sondern auch zu den Br�chen und der Stauchung der Wirbels�ule gef�hrt hatte. Es handelte sich somit um eine nicht-nat�rliche Todesart. Weder ein Gewaltverbrechen noch ein Sturz in suizidaler Absicht oder ein Unfall konnten zun�chst bewiesen oder ausgeschlossen werden. Der Tote konnte noch am Abend desselben Tages, an dem die Leiche gefunden wurde, durch seine Fingerabdr�cke als Andrej Tischkov identifiziert werden. Tischkov war einige Monate zuvor als Schwarzarbeiter auf einer Berliner Baustelle festgenommen und dann�auf einer Polizeidienststelle �erkennungsdienstlich behandelt� worden. Am n�chsten Tag gab die Berliner Polizei eine Pressemeldung heraus. Darin wurde von dem Leichenfund und den massiven Kopfverletzungen als Todesursache berichtet und die Identit�t des Toten genannt. Auch enthielt die Mitteilung Details �ber seine Besch�ftigung als Schwarzarbeiter und einen k�rzlich gestellten Asylantrag, der abgelehnt worden war. Auf diesem Weg suchten die Ermittler nach m�glichen Zeugen, die den Toten kannten und/oder etwas dar�ber sagen konnten, mit wem er in Kontakt gestanden hatte, sowie �ber seinen Aufenthaltsort unmittelbar vor seinem Tod. Es war offensichtlich, dass es sich hierbei um einen typischen Fall von Leichenbeseitigung handelte. Tischkov war von seinem Sterbeort weggeschafft und in Berlin-Friedrichshain abgelegt worden, um die Spur zu irgendjemandem zu verwischen. Aber wer war dieser Jemand? Und was hatte er zu verbergen? Knapp zwei Monate nach der ersten Pressemeldung des Berliner LKA erschien eine weitere offizielle Pressemitteilung der Berliner Polizei. Diesmal wurde die Aufkl�rung des Falles vermeldet: �Der Fall stellt sich als Suizid dar�, hie� es darin.Andrej Tischkov hatte sich die letzten Wochen vor seinem Tod auf einem ehemaligen Bauernhof im s�chsischen Muldentalkreis aufgehalten (ein anonymer Anrufer hatte die Polizei dar�ber informiert) und dort eine illegale Cannabisplantage geh�tet. Auf diesem Hof st�rzte sich der an Depressionen leidende Mann den Ermittlungen zufolge aus einem Fenster des zweiten Stocks. Nachdem das Objekt, das Geh�ft eines 39-j�hrigen Deutschen, der dort mit seiner 22-j�hrigen Lebensgef�hrtin auch wohnte, lokalisiert und einige Zeit observiert worden war, beantragte die Staatsanwaltschaft beim zust�ndigen Gericht einen Durchsuchungsbeschluss, der auch genehmigt wurde. Das mobile Einsatzkommando der Polizei und die sie begleitenden Rauschgiftfahnder fanden auf einer Fl�che von mehreren Tausend Quadratmetern eine hochprofessionell eingerichtete Anlage zur Aufzucht von Cannabispflanzen vor. In den Gew�chsh�usern wurden etwa 4.800 Hanfpflanzen unterschiedlicher Wachstumsphasen sichergestellt, die sp�ter auf Anordnung der Staatsanwaltschaft vernichtet wurden. Vier Dieselaggregate, die jeweils die Gr��e von Kleinbussen hatten, versorgten �ber tausend Hochleistungs-Quecksilberdampflampen mit je 800 Watt Energie und sorgten so f�r die richtige Temperatur in den Gew�chsh�usern. Zudem war die Indoor-Plantage mit einem vollautomatischen Bew�sserungs- und Entl�ftungssystem ausgestattet. An die Bew�sserungsanlage, die f�r die richtige Feuchtigkeit der Pflanzen sorgte, waren zwei 6.000-Liter-Wassertanks angeschlossen. Eine Zuluftanlage sorgte �ber Ventilatoren f�r die n�tige Bel�ftung, w�hrend die mit hochwertigen Kohlefiltern ausgestattete Abluftanlage verhinderte, dass sich in der Umgebung der Treibh�user der typische s��lich-schwere Cannabisduft verbreitete und so auf das Treiben auf dem Geh�ft aufmerksam machte. Licht- und Bew�sserungsanlage wie auch die L�ftung wurden per Handy des Betreibers und �ber eine elektronische Zeitschaltuhr gesteuert.�Allein die Lichtanlage musste mehrere Hunderttausend Euro gekostet haben. Die 4.800 Pflanzen warfen im Jahr sch�tzungsweise 600 Kilogramm Cannabis ab: Stra�enverkaufswert um die drei Millionen Euro. Ein lukratives Gesch�ft. Als ich von den Hochleistungs-Quecksilberdampflampen mit je 800 Watt h�rte, hatte ich eine Vermutung, wie die Hautblasen an der Innenfl�che von Tischkovs linker Hand entstanden sein k�nnten. Bei der Blasenfl�ssigkeit handelte es sich ausweislich der Laboruntersuchung um ein stark eiwei�reiches Exsudat (entz�ndliche Absonderung) mit vereinzelten intakten roten Blutzellen und wenig Entz�ndungszellen. Das bedeutete, dass die Hautblasen zu Lebzeiten Tischkovs entstanden waren und nicht erst beim Transport der Leiche. Die mikroskopische Untersuchung der Hautblasen ergab, dass es sich um thermische Verletzungen, also Brandblasen handelte. Aufgrund ihrer �gegen�berliegenden Lokalisation an der Handinnenfl�che�, wie ich es ins Protokoll diktiert hatte, war es sehr wahrscheinlich, dass Tischkov sich beim Hantieren mit einer der noch hei�en Quecksilberdampflampen kurz vor seinem Tod verbrannt hatte.Tischkov war, wie die polizeilichen Ermittlungen ergeben hatten, Linksh�nder gewesen. Nahe einem der Wohnh�user auf der Indoor-Plantage fanden die Kripoleute dann tats�chlich eine mit Sand abgedeckte Blutlache im gepflasterten Hof, unterhalb eines Flurfensters, das sich im zweiten Obergeschoss, etwa sieben Meter �ber dem Kopfsteinpflaster befand. Eine DNA-Untersuchung ordnete das getrocknete Blut auf dem Kopfsteinpflaster zweifelsfrei dem Toten zu. Auff�llig war, dass die angetrocknete Blutlache im Hof vier Meter von der Hauswand entfernt war���f�r einen Sturz aus dem Fenster sehr weit. Daf�r gab es nur zwei m�gliche Erkl�rungen: Entweder war der bereits tote Tischkov mit Schwung aus dem Fenster geworfen worden, oder der Mann war mit Anlauf aus dem Flurfenster gesprungen. M�glichkeit eins fiel aus. Erstens h�tte es �bermenschlicher Kr�fte bedurft, um den ein Meter achtzig gro�en und 75 Kilogramm schweren Tischkov vier Meter weit durch die Luft zu werfen. Zweitens hatten wir bei der Obduktion aufgrund der Vitalzeichen eindeutig festgestellt, dass Tischkov zu dem Zeitpunkt, als er sich die schweren Kopfverletzungen zuzog, noch am Leben gewesen war. Das hie�, er war mit Anlauf aus dem weit ge�ffneten, im �brigen auch fast bis zum Boden reichenden Flurfenster im zweiten Stock gesprungen. Um die Gewissheit zu haben, beim Sturz auch tats�chlich zu sterben, war er nach dem bei der Obduktion festgestellten Verletzungsbild nicht nur mit Anlauf, sondern auch noch mit dem Kopf zuerst gesprungen und dann mit Kopf und Gesichtspartie auf dem harten Kopfsteinpflaster gelandet. Das Pflaster hatte Gesicht und Sch�del mit der Wucht eines Vorschlaghammers zertr�mmert und Nase, Kiefer und Sch�delbasis zerschmettert, w�hrend durch die kinetische Energie des Aufpralls die Wirbels�ule gestaucht und mehrfach gebrochen worden war. Sehr wahrscheinlich hatte Tischkov noch reflexartig versucht, den Aufschlag mit seinen�ausgestreckten Armen abzufangen, was dann in der Fraktur der Ellen- und Speichenknochen beider Unterarme resultierte. Der 39-j�hrige Betreiber der Cannabisplantage, der �ber seinen illegalen Cannabisanbau ein vollst�ndiges Gest�ndnis ablegte, beschrieb Tischkov als schwer depressiv. Neben dem Tod seiner j�ngeren Schwester, die einige Monate zuvor an Leuk�mie gestorben war, habe es ihm besonders zu schaffen gemacht, dass sein Asylantrag von den deutschen Beh�rden abgelehnt worden war und ihm die Abschiebung zur�ck in die Ukraine drohte. Als er den toten Tischkov in einer Blutlache im Hof gefunden habe, sei ihm sofort klar gewesen, dass seine Plantage �auffliegen� w�rde, wenn er einen Arzt zur Todesfeststellung oder einen Bestatter zum Abtransport der Leiche rufen w�rde. Also hatte der Mann den toten Tischkov in den Kofferraum seines Autos geladen und ihn in der Nacht am Ende der dunklen Sackgasse ausgeladen und auf die Rasenfl�che geschleift. Im Kofferraum fanden sich dann auch Blutspuren, die mittels DNA-Abgleich dem Toten zugeordnet werden konnten. Das Spektrum postmortaler Handlungen von T�tern nach T�tungsdelikten, von Kriminalisten und Juristen auch unter dem Begriff �Nachtatverhalten� subsumiert, ist sehr breit. Im Kapitel �Unter die R�der gekommen� habe ich von einem Fall berichtet, bei dem das Opfer eines T�tungsdeliktes von den T�tern auf einer Landstra�e abgelegt worden war, weil sie einen t�dlichen Fu�g�ngerunfall vort�uschen und so den vorangegangenen Mord an dem Mann verschleiern wollten. In �Eint�dliches Wunder� konnten Sie unter anderem von einem Fall lesen, bei dem der M�rder sein Opfer postmortal enthauptet und anschlie�end versucht hatte, den abgetrennten Kopf seines Opfers in der Toilette hinunterzusp�len, eine der diversen Formen der defensiven Leichenzerst�ckelung, bei denen der T�ter versucht, sein Opfer unkenntlich zu machen, um Kripo und Rechtsmedizin die Identifizierung zu erschweren. Weitere Beispiele hierf�r sind das Abtrennen und Beseitigen der H�nde (keine Fingerabdr�cke) oder das Verbrennen der Leiche. Anders verh�lt es sich dagegen bei Formen der Leichenbeseitigung, die wir in der Rechtsmedizin unter dem Begriff �Leichendumping� zusammenfassen. Der Tote, den es zu beseitigen, also zu �dumpen� gilt, muss, wie der eben beschriebene Fall zeigt, nicht zwangsl�ufig das Opfer eines T�tungsdelikts geworden sein. Beim Leichendumping geht es nicht unbedingt um die Vertuschung eines Mordes, sondern oft nur darum, die Polizei in die Irre zu f�hren, damit eine begangene Straftat, die gar nicht mit dem Tod in Verbindung steht, unentdeckt bleibt. Weil das Auffinden des Toten an seinem Sterbeort unangenehme Nachforschungen und Fragen seitens der Polizei mit sich bringen w�rde, wie es bei Tischkov der Fall gewesen w�re, laden die Betroffenen die gefundene Leiche lieber woanders ab. Anders als von ihrem M�rder beseitigte Leichen sind �gedumpte� meist nicht einmal besonders gut versteckt. Die Leichendumper haben nichts dagegen, dass die Polizei den Toten findet, es soll nur keine Spur zu ihnen f�hren. Also machen sie�sich auch nicht die M�he, den Toten mit Gewichten an den F��en zu beschweren und in einem Fluss oder See zu versenken oder tief im Wald zu vergraben. So oder so f�hrt Leichendumping selten zum gew�nschten Erfolg. Wie im hier beschriebenen Fall finden sich bei der Obduktion oft entscheidende Hinweise auf den Sterbeort, oder die Identifizierung des Opfers ruft Zeugen auf den Plan. Und in beiden F�llen muss sich der Betreffende dann neben der Straftat, die nicht aufgedeckt werden sollte, auch noch f�r die �St�rung der Totenruhe� verantworten. So ist der � 168 StGB �berschrieben, in dem es in Absatz 1 hei�t: �Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den K�rper oder Teile des K�rpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug ver�bt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.� Einen Toten zu verstecken, selbst wenn man f�r dessen Tod nicht verantwortlich ist, ist also alles andere als ein Kavaliersdelikt. Nicht immer allerdings sind sorgf�ltig versteckte Leichen ein Indiz f�r Leichendumping, wie wir im n�chsten Kapitel sehen werden. Untergetaucht An einem Tag im Herbst legt der 66 Jahre alte Bernd Lingen einen Abschiedsbrief auf den Wohnzimmertisch. Gerichtet ist der Brief an seine Frau Irene. Darin erkl�rt er ihr, dass er mit den Depressionen nicht l�nger leben mag. Als seine Frau den Brief findet, ist sie entsetzt und macht sich sofort auf die Suche nach ihrem Mann. Vielleicht ist sein Versuch, sich das Leben zu nehmen, ja gescheitert. Vielleicht kann sie ihn noch�zur�ckholen.�Doch weder im Haus noch im Garten gibt es eine Spur von ihm. Also bleibt Irene Lingen nichts anderes �brig, als ihren vermeintlich toten Gatten bei der Polizei als vermisst zu melden. T�glich gehen bei der Polizei in Deutschland etwa 250 neue Vermisstenanzeigen ein. Die Zahlen, die das Bundeskriminalamt vorlegt, sind erschreckend. Im Jahr 2007 waren circa 6.400 Personen in Deutschland als vermisst gemeldet. Darunter befanden sich 518 vermisste Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren. Bei den 6.400 vermissten Personen handelt es sich sowohl um F�lle, die sich innerhalb weniger Tage aufkl�ren, als auch um die Menschen, die jahrzehntelang verschwunden bleiben. Bei Letzteren kann nur gemutma�t werden, ob sie noch leben oder Opfer einer Straftat oder eines Ungl�cksfalls wurden, ob sie sich in einer Situation der Hilflosigkeit befanden oder befinden oder einfach��ausgestiegen� sind; in drastischen F�llen haben sie sich selbst irgendwo unentdeckt das Leben genommen. Jemand wird in der Regel von Angeh�rigen oder Bekannten bei der Polizei als vermisst gemeldet, wenn er aus unerkl�rlichen Gr�nden seinem gewohnten Aufenthaltsort fernbleibt. Die Polizei leitet aber nur dann eine Fahndung ein, wenn nachweislich der derzeitige Aufenthaltsort der betreffenden Person unbekannt ist, die Person nachgewiesenerma�en ihren gewohnten Lebenskreis (Wohnumfeld, Arbeitsst�tte) verlassen hat und eine Gefahr f�r Leib oder Leben dieser Person angenommen werden kann. Nat�rlich haben Erwachsene, die im Vollbesitz ihrer geistigen und k�rperlichen Kr�fte sind, das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu w�hlen, auch ohne diesen den Angeh�rigen oder Freunden mitzuteilen. Es ist daher nicht Aufgabe der Polizei, den Verbleib eines Vermissten zu ermitteln, wenn bei ihm keine Gefahr f�r Leib oder Leben erkennbar ist. Sofern eine derartige Gefahrenlage aber gegeben scheint, erfolgt die Fahndung nach vermissten Erwachsenen zun�chst in der Regel mit dem Ziel der �Aufenthaltsermittlung�. Wird der Aufenthaltsort der vermissten Person festgestellt, ist damit der Fall f�r die Polizei nicht automatisch erledigt. Zu den Akten gelegt werden kann er nur dann, wenn die Person wohlauf und nicht Opfer einer strafbaren Handlung geworden ist und auch selbst keine strafbaren Handlungen begangen hat (denn das ist nat�rlich durchaus auch ein Motiv daf�r, �von der Bildfl�che zu verschwinden�). Den Angeh�rigen oder Bekannten nennt die Polizei den Aufenthaltsort nur,�wenn die zuvor als vermisst gemeldete Person damit einverstanden ist. In F�llen, bei denen die vermisste Person tot aufgefunden wird, stellt sich wie bei allen Leichenfunden die Frage nach Unfall, Suizid oder Mord. Dass oft ein Mord dahintersteckt, wenn jemand spurlos verschwindet, ist allseits bekannt. Ebenso, dass M�rder oft versuchen, ihr Opfer verschwinden zu lassen. Denn inzwischen hat sich herumgesprochen, dass wir Rechtsmediziner in den Verletzungen eines Mordopfers �wie in einem Buch lesen� k�nnen. Manchmal fragen mich Krimiautoren, wie aus meiner Sicht als Rechtsmediziner der perfekte Mord aussieht. Leider muss ich mein Gegen�ber dann regelm��ig entt�uschen. Meine recht stereotype Antwort: �Was soll das werden mit dem perfekten Mord? Der perfekte Mord ist ein Mord ohne Leiche���und ein Krimi ohne Leiche ist kein Krimi.� Allerdings erf�llt sich die Hoffnung der T�ter, nicht entdeckt zu werden, weil sie die Leiche verschleppt haben, immer seltener. Dass immer h�ufiger auch lange zur�ckliegende Verbrechen aufgekl�rt werden, Kinderm�rdern oder Vergewaltigern zum Teil viele Jahre oder sogar Jahrzehnte sp�ter noch der Prozess gemacht werden kann, liegt unter anderem daran, dass es in den letzten Jahren erhebliche technologische und methodische Fortschritte in allen Analysebereichen der Kriminaltechnik und Rechtsmedizin gab. Allen voran die DNA-Analyse (�genetischer Fingerabdruck�) oder die deutliche Weiterentwicklung toxikologischer Untersuchungsmethoden in den neunziger Jahren. So k�nnen�inzwischen sogar geringste Mengen von Giften, auch von sehr seltenen, nachgewiesen werden. Per DNAAnalyse sind diverse �cold cases�, also ungel�ste, zu den Akten gelegte Kriminalf�lle aus den siebziger und achtziger Jahren gel�st worden. Teilweise hatten diese Kapitalverbrechen zuvor jahre- oder sogar jahrzehntelang in Form von Akten und den dazugeh�rigen �Spurentr�gern� (Kleidungsst�cke des Opfers oder Tatwerkzeuge) in den Archiven der Polizei gelegen. Bernd Lingen wurde nach sieben Tagen tot aufgefunden. Allerdings nicht versteckt auf irgendeiner Autobahnrastst�tte, weit entfernt und gut verpackt in kleinen S�ckchen, oder in einer gottverlassenen Sandkuhle verscharrt. Es war seine Frau, die ihn schlie�lich doch noch fand���als sie den Deckel einer gro�en Regentonne anhob, die nur wenige Meter von ihrem Haus entfernt im Garten stand. Der Ort seines Todes war gleichzeitig nah und fern���in unmittelbarer N�he des Hauses, aber an einem Ort, an dem ihn niemand gesucht h�tte. Die von Irene Lingen gerufene Polizei begann sofort mit ihren Ermittlungen. Trotz des Abschiedsbriefs war ein Mord nicht auszuschlie�en, denn Bernd Lingen konnte ja zum Schreiben gezwungen worden sein, damit das Gewaltverbrechen nach Suizid aussah. Als der Verstorbene bei uns im Institut auf dem Sektionstisch lag, las ich zuerst den Bericht der Kriminaltechniker, die sich direkt am Ort des Geschehens ein erstes Bild gemacht hatten. Lingens Leichnam hatte r�cklings zusammengekauert auf dem Boden der gr�nen Plastiktonne gelegen. Der Kopf war an die Wand�gelehnt, die blut�berstr�mten Unterarme waren auf die Brust gelegt, die Knie angewinkelt���eine beinahe and�chtige, embryonale Haltung. An der Innenseite der Unterarme fanden sich unterschiedlich tiefe, zum Teil klaffende Schnittverletzungen. Neben der Leiche lagen mehrere blutige Rasierklingen, ein blutiges Brotmesser, ein ebenfalls blutbeschmiertes Obstmesser und ein Trinkgef��. Der Boden der Tonne war mit geronnenem Blut bedeckt, ebenso Pullover und Hose des Toten. Diesen Anblick wird Irene Lingen sicher niemals vergessen, genauso wenig wie den Geruch nach Leichenf�ulnis, der ihr aus der Tonne entgegengestr�mt war. Noch vor Beginn der Obduktion untersuchten wir die Regentonne, die mitsamt dem Toten ins Institut gebracht worden war. Und stie�en bereits hier auf ein entscheidendes Detail: An der Innenseite des Tonnendeckels, der bei Lingens Auffinden ja geschlossen gewesen war, entdeckten wir zahlreiche Blutspritzer. Ihre Form���sie sahen aus wie kleine Ausrufezeichen���zeigte uns, dass der Verletzte zum Zeitpunkt ihrer Entstehung noch einen Blutdruck gehabt hatte. Lingen hatte folglich noch gelebt, als er in der Tonne war, konnte also nicht im Anschluss an einen Mord dorthin verfrachtet worden sein. Daf�r sprach auch die funktionsf�hige Taschenlampe, die die Ermittler in der Tonne gefunden hatten. Wie es aussah, war Bernd Lingen, nachdem er seiner Frau den Brief hinterlassen hatte, in die Tonne geklettert, hatte den Deckel von innen geschlossen und sich anschlie�end, in der Tonne zusammengekauert, die�Pulsadern aufgeschnitten. Diesen ohnehin nicht in Zweifel gezogenen Verdacht konnte die Obduktion detailliert belegen. An den Unterarmen fanden wir, wie ich in das Sektionsprotokoll diktierte, �Zeichen scharfer Gewalteinwirkung in Form von zahlreichen parallelen, sich nicht �berkreuzenden, unterschiedlich tiefen Schnittverletzungen an den Innenseiten beider Handgelenke mit umgebender kr�ftiger dunkelroter Unterblutung und Freiliegen der Beugersehnen der Handmuskeln in diesem Bereich�. Umgangssprachlich w�rde man von �Pulsaderschnitten� sprechen. Daneben wies die Haut dort mehrere weniger tiefe Wunden auf, wie wir sie h�ufig bei Leuten finden, die sich die Pulsadern aufgeschnitten haben. Obwohl entschlossen, sich das Leben zu nehmen, testen die Betreffenden f�r gew�hnlich erst den Schmerz und ob sie in der Lage sind, sich selbst auf diese Weise t�dlich zu verletzen. Entsprechend bezeichnen Rechtsmediziner diese oberfl�chlichen Schnitte als �Probierschnitte� oder auch �Zauderschnitte�. Bei Bernd Lingen lagen die Verletzungen an einer Stelle, die f�r die messerf�hrende Hand gut erreichbar war, und sie verliefen parallel���beides Indizien daf�r, dass er sie sich selbst beigebracht hatte. Schnittverletzungen, die einem Opfer gegen seinen Willen zugef�gt werden, bieten in der Regel ein deutlich unregelm��igeres Bild: Sie sind unterschiedlich tief und verlaufen�kreuz und quer, weil der Angegriffene dabei nat�rlich nicht stillh�lt. Als wir nun das Weichgewebe und die Muskulatur der Unterarme schichtweise pr�parierten, um die hier gelegenen Gef��e, Nerven und Sehnen n�her in Augenschein zu nehmen, stellten wir fest, dass beide Ellenschlagadern quer zu ihrer L�ngsachse durchtrennt waren. Auch die oberfl�chlichen Hautvenen an den Innenseiten beider Handgelenke waren durchtrennt, ebenso wie der begleitende gro�e Nerv am rechten Unterarm. Diese vollst�ndige Durchtrennung beider Ellbogenschlagadern hatte zu einer arteriellen, stark spritzenden Blutung und letztlich zu einem Tod durch Verbluten gef�hrt. Bernd Lingen hatte also getan, wovon in Suizid-Foren im Internet immer abgeraten wird: Er hatte die Pulsadern quer durchtrennt. Bei Schnitten quer zum Gef��verlauf kommt es h�ufig zur sogenannten Gef��stumpfretraktion. Auf den Schnittreiz hin k�nnen sich hierbei die quer durchgeschnittenen Arterien am Handgelenk im Stumpfbereich etwas zusammenrollen. Durch den dadurch bedingten Gef��verschluss kann die Blutung ganz oder teilweise gestoppt werden. Die Gef��stumpfretraktion ist, neben der Blutgerinnung, sozusagen ein k�rpereigener Schutzmechanismus gegen das Verbluten. Aus diesem Grund schneiden sich viele Menschen mit Suizidabsicht die Pulsadern in L�ngsrichtung des Armes auf. Dadurch wird nicht nur das Zusammenrollen der angeschnittenen Gef��st�mpfe verhindert, sondern es wird auch eine sehr viel gr��ere Fl�che der Arterie ge�ffnet. Entsprechend kann�sehr viel mehr Blut in sehr viel k�rzerer Zeit herausstr�men���was nat�rlich den Tod beschleunigt. Bei der Untersuchung der inneren Organe Lingens fanden wir die typischen Zeichen eines starken Blutverlustes zu Lebzeiten, die uns in den vorangegangenen Kapiteln schon des �fteren begegnet sind: sp�rliche Totenflecke, auffallend blasses Zahnfleisch, Bl�sse der Schleimh�ute von Mund und Rachen und Speiser�hre sowie eine generelle Blutarmut der inneren Organe.Als ich die beiden Herzkammern und die herznahen Gef��e mit der Schere aufschnitt, war auch hier nur noch sehr wenig Blut vorhanden, und auch das Milzgewebe war schlaff und blutleer, wie dies ebenfalls typisch f�r einen Verblutungstod ist. Die toxikologische Untersuchung lieferte uns weitere Belege daf�r, dass Bernd Lingen Suizid begangen hatte. Sein Venenblut wies eine Doxylamin-Konzentration von 14,2 ?g/ml auf. Doxylamin ist eine Substanz, die als Schlafmittel verschrieben wird. Dass wir zus�tzlich im Magen des Verstorbenen mit 793 ?g/ml eine sehr hohe Wirkstoffkonzentration von Doxylamin feststellten, zeigte uns, dass Lingen das Medikament kurz vor seinem Tod und in sehr hoher Dosierung (ziemlich sicher in suizidaler Absicht) eingenommen hatte. Ein Gro�teil des Wirkstoffs hatte den Magen noch gar nicht passiert, d.h., er war noch nicht �ber den Magenpf�rtner in den D�nndarm gelangt. H�tte sich Lingen nicht unmittelbar nach Einnahme des Schlafmittels die Pulsadern aufgeschnitten, w�re die Doxylamin-Konzentra-tion in seinem Mageninhalt weitaus geringer, daf�r in seinem Blut deutlich h�her�gewesen und h�tte vielleicht auch allein zum Tode gef�hrt. Die Folgen der Vergiftung mit dem Schlafmittel zeigten sich auch am Gehirn. Bei der Obduktion wird es nach Entnahme aus dem Sch�del zun�chst gewogen, ehe man nach einer �u�eren Inspektion der Hirnoberfl�che und der Schlagadern an der Unterseite das Gehirn dann in 12 bis 14 jeweils etwa einen Zentimeter dicke Scheiben schneidet, um auch die inneren Hirnstrukturen genau begutachten zu k�nnen. Als wir Lingens Gehirn wogen, stellten wir ein deutlich erh�htes Hirngewicht und eine deutliche Hirnschwellung fest, beides f�r Vergiftungen typische pathologische Befunde. Das Gehirn reagiert relativ gleichf�rmig auf die verschiedensten Schad- oder Giftstoffe, n�mlich mit einer Schwellung durch vermehrte Wassereinlagerung im Hirngewebe, unabh�ngig davon, ob es sich dabei um zu viel Alkohol, eine �berh�hte Dosis eines Medikaments oder ein Trauma, z.B. eine Hirnersch�tterung, handelt. Bernd Lingen war verblutet, nachdem er sich erst vergiftet und anschlie�end die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Vorher hatte er einen Abschiedsbrief an seine Frau Irene geschrieben, ihn gut sichtbar ins Wohnzimmer gelegt���und war dann zum Sterben in der Regentonne seines eigenen Gartens untergetaucht. Warum? Wieso versteckt sich jemand selbst, wie ein M�rder sein Mordopfer versteckt, bevor er sich das Leben nimmt? Mich erinnert dieses Verhalten an verletzte oder sehr alte Tiere, die sich zum Sterben an einen verborgenen�Platz begeben. Und an die ber�hmten Elefantenfriedh�fe, die alte und kranke Elefanten angeblich aufsuchen, um dann dort in Ruhe zu sterben. Fakt ist, dass sich viele lebensm�de Menschen aus R�cksichtnahme auf ihre Angeh�rigen au�erhalb ihrer h�uslichen Umgebung t�ten. Sie wollen die gemeinsame Wohnung nicht mit ihrem Blut beschmutzen und ihren Angeh�rigen oder Mitbewohnern das Auffinden ihrer Leiche ersparen. Dieses Verhalten beobachten wir vor allem bei Suiziden, die mit Hilfe �harter� Suizidmethoden wie einem Sprung aus gro�er H�he, Erh�ngen oder wie in unserem Fall durch Einwirkung scharfer Gewalt���also mit Messern und anderen Schnittwerkzeugen���ausgef�hrt werden. Wer sich jedoch in die Regentonne begibt und den Deckel schlie�t, bevor er mit dem Suizid beginnt, will ganz sicher nicht nur R�cksicht nehmen. Ein solcher Mensch will im Moment des Todes und danach so allein sein, wie er sich zu Lebzeiten gef�hlt hat. Er will nicht gesehen oder gest�rt werden, w�hrend er die Welt verl�sst. Und manche wollen dar�ber hinaus auch nie mehr gefunden werden. Indem sie ihre Selbstt�tung so inszenieren, dass sie praktisch �vom Erdboden verschluckt� werden, kappen sie jegliche Verbindung zwischen sich und dieser Welt. Entsprechend wird das Untertauchen vor dem Suizid in der rechtsmedizinischen Fachliteratur als �suizidales H�hlenverhalten� bezeichnet. Bernd Lingen wollte in Einsamkeit sterben, aber nicht auf Kosten seiner Frau. Sie sollte Bescheid wissen, deshalb der Abschiedsbrief. Dass sie dennoch zwischen�Hoffen und Bangen hin und her gerissen war, bevor sie ihn schlie�lich fand, konnte er damit wohl kaum verhindern. Wie weit das Spektrum der gew�hlten Suizidverstecke reicht, zeigt der Fall eines 44-j�hrigen Mannes, der rein zuf�llig von Passanten entdeckt wurde. Der Mann hatte sich in einem zweieinhalb Meter tiefen Wartungsschacht in einem Berliner Waldst�ck erh�ngt. Der Schachtdeckel aus dickem Stahlblech bedeckte die Einstiegs�ffnung fast vollst�ndig. Die Passanten waren auf den Leichnam nur aufmerksam geworden, weil sie in der N�he des Schachtes einen Rucksack gefunden hatten, der, wie sich sp�ter herausstellte, dem Toten geh�rte. Sp�ter stellte sich zudem heraus, dass sich der Mann seit langer Zeit wegen einer depressiven Erkrankung in psychiatrischer Behandlung befunden und mehrere station�re Therapien jeweils vorzeitig abgebrochen hatte. Wegen der ungew�hnlichen Leichenfundsituation wurde der Bereitschaftsarzt der Berliner Rechtsmedizin an den Ort des Geschehens gerufen, um gleich dort eine �u�ere Leichenschau der noch h�ngenden Leiche durchzuf�hren und eine erste rechtsmedizinische Einsch�tzung zum Todesfall abzugeben. Der Mann war offensichtlich bereits seit einigen Tagen tot, was die vollst�ndig gel�ste Totenstarre und die bereits beginnenden Leichenf�ulnisver�nderungen zeigten. Er hatte ein Hanfseil an einem Steigeisen des Wartungsschachtes befestigt und sich damit erh�ngt. Aufgrund des ungew�hnlichen Verstecks waren die Ermittler auch in diesem Fall zun�chst von einem�T�tungsdelikt ausgegangen. Dagegen sprach allerdings neben der psychiatrischen Vorgeschichte des Mannes, dass sich der Deckel leicht bewegen lie�, so dass der Mann auch vom Inneren des Schachtes aus den Deckel ohne gro�e Anstrengung schlie�en konnte, w�hrend er schon die Schlinge um den Hals trug. Zudem wohnte der Verstorbene nur wenige Hundert Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Und der Rucksack neben der Schacht�ffnung? Vielleicht ein Versehen des Mannes, vergessen in dem Eifer, endlich aus dieser f�r ihn so unfreundlichen Welt zu scheiden. Oder aber ein Zeichen f�r die innere Zerrissenheit, die oftmals selbst den festen Entschluss, allein zu sterben, begleitet. Ein Teil von ihm wollte vielleicht doch, dass sein Leichnam gefunden wird. Selbst wenn sich eindeutig ergr�nden lie�e, welche von diesen beiden M�glichkeiten nun der Wahrheit entspricht, w�rde dies nicht in meinen Aufgabenbereich als Rechtsmediziner fallen. Dennoch sind es besonders die F�lle von suizidalem H�hlenverhalten, dieser Extremvariante der Selbstt�tung, die mich bei aller beruflichen Distanz und n�tigen Objektivit�t gedanklich besch�ftigen. Wie sollte dies anders sein, da Suizide so eindeutig die nicht-nat�rlichen Todesf�lle dominieren, die mir in meinem Berufsalltag begegnen. Mit Mord werde ich zwar auch konfrontiert, aber, wie sich schon an den hier beschriebenen F�llen ablesen l�sst, doch weit h�ufiger mit Menschen, die ihrem eigenen Leben ein Ende gesetzt haben. Was f�r die einen unfassbar ist, ist f�r andere die letzte M�glichkeit, einer ungeliebten Welt und einem ungeliebten Leben zu entkommen. Grund genug, dem Thema auch hier ein paar allgemeine Zeilen zu widmen: Suizid ist definiert als die �Vernichtung des eigenen Lebens�. Das Wort �Suizid� stammt aus dem Lateinischen (sui = selbst,caedere =�t�ten). Daraus hat sich eine ganze Begriffsfamilie abgeleitet. Suizidenten werden von sogenannter Suizidalit�t���Suizidneigung, Suizidgef�hrdung���getrieben. Suizidalit�t kann durch bestimmte Gr�nde wie zum Beispiel schwere Krankheit, sei sie psychischer oder physischer Art, oder den Verlust eines Angeh�rigen oder Lebenspartners bedingt sein. Die Wahl des Suizidmittels l�sst dabei h�ufig erkennen, dass die M�glichkeit zu �berleben bewusst einkalkuliert wurde, z.B., wenn sich der Suizident die Innenseite der Handgelenke oder des Unterarmes aufschneidet, ohne allerdings die Pulsadern so zu durchtrennen, dass es zum Verbluten aus den Schnittverletzungen kommt. Mediziner und Psychologen sprechen dann auch vom �appellativen� Charakter des Suizidversuchs, der quasi als Schrei nach Aufmerksamkeit und Hilfe aufzufassen ist. Suizidenten tragen oft bleibende Sch�den davon. Dies k�nnen Narben von aufgeschnittenen Pulsadern sein oder���viel gravierender���geistige und k�rperliche Behinderungen nach �berlebter Tablettenvergiftung. Suizidversuche sind etwa zehnmal h�ufiger als vollendete Suizide, und Frauen begehen ungef�hr doppelt so viele Suizidversuche wie M�nner. Im Lauf der Menschheitsgeschichte war der Suizid�nicht immer ein Akt der Verzweiflung. In manchen Staatsformen und Kulturen wurde er durchaus als pragmatische L�sung gesehen, um eine Welt zu verlassen, in der man nicht mehr verweilen mochte oder aufgrund seiner Einstellung konnte. So wurde dem Philosophen Seneca vom r�mischen Kaiser Nero befohlen, sich umzubringen. Er lie� sich von seinem Diener im Beisein seiner Freunde die Pulsadern �ffnen, eine Praxis, die bei den R�mern ein Teil des Ehrenkodex war, heute aber als aktive Sterbehilfe strafrechtlich verfolgt werden w�rde. Seneca hatte sich immer wieder kritisch mit jenen Philosophen auseinandergesetzt, die den Suizid als �S�nde am Leben� bezeichneten. F�r Seneca, den Stoiker, war Suizid zu allererst ein Akt der pers�nlichen Freiheit. Fast jeder kennt auch die japanischen Samurai, die sich im 12. Jahrhundert durch �Seppuku� (dies ist der richtige Ausdruck statt des oft gebrauchten �Harakiri�) mit ihren Kurzschwertern���den Wakizashi���t�teten, wenn sie ihr Gesicht oder ihre Ehre gegen�ber ihrem Lehnsherrn oder sich selbst verloren zu haben glaubten, �hnlich wie die R�mer. Dazu stie�en sie sich das Schwert ungef�hr sechs Zentimeter unterhalb des Nabels in den Leib und zogen es anschlie�end von links nach rechts und dann nach oben. Auf diese Weise wurde die Bauchaorta vollst�ndig durchtrennt, was zum sofortigen Tod durch Verbluten f�hrte. Erst 1868 wurde Seppuku im Rahmen der Meiji-Restauration verboten. Inzwischen geh�ren die Samurai samt ihrer Rituale zwar der Vergangenheit an, doch l�sst sich eine derart bekannte Suizidmethode nicht komplett aus der Welt�schaffen, weder durch ein Verbot noch durch gesellschaftliche und politische Ver�nderungen. Dass es noch immer Anh�nger dieser martialischen Selbsthinrichtung gibt, konnte ich zuletzt im Winter 2008 erleben. Ein 46-j�hriger Mann wurde splitternackt und blut�berstr�mt von seinem Lebensgef�hrten aufgefunden. Der Tote sa� an die Wand gelehnt in einer Ecke des Schlafzimmers. Fast der gesamte Fu�boden des Schlafzimmers war mit Blut bedeckt. Die Polizei ging zun�chst von einem barbarischen T�tungsdelikt aus, bevor die Obduktion die Wahrheit ans Licht brachte: Der Mann, bei dem vor Jahren bereits eine Schizophrenie diagnostiziert worden war, hatte sich mit einem knapp 30 Zentimeter langen Brotmesser, das vor dem Toten auf dem Fu�boden lag, den Bauch aufgeschlitzt. Doch weder Senecas Freiheitsbegriff noch die Ehrbegriffe untergegangener Kulturen helfen uns weiter, wenn es darum geht, den Menschen andere Auswege aufzuzeigen als Suizid. Erfreulicherweise nimmt die Zahl der Suizide in Deutschland seit den achtziger Jahren kontinuierlich ab���von 18.451 Menschen im Jahre 1980 auf 9.765 Menschen im Jahre 2006 und 9.402 Menschen im Jahre 2007. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland nach einer Studie der OECD, der Organisation f�r wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit zehn Suiziden pro 100.000 Einwohner auf Platz vier. Die ersten drei Pl�tze belegen Japan mit 18, Frankreich mit 15 und Kanada mit 11 Suiziden. Der deutliche R�ckgang in Deutschland, wie auch in anderen industrialisierten L�ndern, ist wohl der besseren Ausbildung von �rzten und Mitarbeitern in Pflegeberufen zu verdanken, die Depressionen���die Hauptursache f�r einen Suizid���fr�her erkennen und erfolgreicher behandeln k�nnen. Auch verschreiben �rzte in Deutschland mittlerweile sehr viel mehr Psychopharmaka als noch vor ein paar Jahren, und die neuentwickelten Antidepressiva haben auch nicht mehr die gravierenden Nebenwirkungen, wie sie fr�here Pr�parate hatten. Diese Nebenwirkungen wie �belkeit, Erbrechen oder Kreislaufprobleme f�hrten oft dazu, dass viele Patienten die Medikamente absetzten, ohne ihren Psychiater zu konsultieren, da sie lieber ihre Erkrankung als die Nebenwirkungen der Antidepressiva in Kauf nahmen. Gleichzeitig w�chst aber auch bei den Betroffenen selbst die Bereitschaft, Depressionen als Krankheit und nicht als pers�nliches Stigma anzuerkennen und sich mit ihren Problemen und �ngsten einem Arzt anzuvertrauen. Damit steigt f�r viele Menschen die Chance, durch medikament�se Behandlung und begleitende Psychotherapie einen besseren Ausweg aus ihrer Depression zu finden als den Freitod. Dennoch: Trotz des R�ckgangs der Suizidrate seit den achtziger Jahren starben 2007 in Deutschland mit mehr als 9.000 Suizidenten weit mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunf�lle (4.949) und T�tungsdelikte (2.347) zusammen. Der Kampf gegen die Depression���und damit auch gegen den Suizid���ist noch lange nicht gewonnen. T�dliche Ladung Im �ffentlich zug�nglichen Bereich eines Berliner Flughafens wollten die zust�ndigen Reinigungskr�fte an einem fr�hen Sp�tsommermorgen wie jeden Tag die gef�llten Abfalls�cke in den M�llcontainer werfen, als sie darin einen leblosen Mann mit s�dl�ndischem Aussehen fanden. Der Mann lag auf den M�lls�cken vom Vortag. Der alarmierte Notarzt, der den Mann gemeinsam mit zwei Rettungssanit�tern aus dem Container barg, konnte nur noch den Tod des Mannes feststellen. Die herbeigerufenen Beamten der Bundespolizei, die am Flughafen ihren Dienst versahen und gleichzeitig mit dem Notarzt herbeigeeilt waren, durchsuchten die Taschen des Toten und fanden dort einen venezolanischen Reisepass sowie 1.500 Euro Bargeld. Nach einem Raubmord oder einem �berfall sah es deshalb erst einmal nicht aus. Der Vergleich mit dem Lichtbild im Reisepass ergab, dass es sich bei dem Toten um Horacio Galvis Corzo handelte, einen 32-j�hrigen Venezolaner aus Maracaibo, einer gro�en Hafenstadt im Nordwesten Venezuelas���nat�rlich vorausgesetzt, dass der Pass nicht gef�lscht war. Noch bevor die Ermittler der Berliner Mordkommission am Leichenfundort eintrafen, fanden die Beamten der Bundespolizei �ber eine Abfrage im POLAS�heraus, dass Horacio Galvis Corzo in Deutschland bisher polizeilich nicht bekannt war. POLAS steht f�r Polizeiliches Auskunftssystem. Das Informations- und Kommunikationssystem wird von Polizei, Bundespolizei und Bundeskriminalamt unterhalten und st�ndig aktualisiert. Darin werden Personen gef�hrt, die bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Neben Vor- und Nachnamen, Geburtsnamen und Spitznamen, Geburtsort, Geburtsland, Staatsangeh�rigkeit, Geschlecht, Falldaten zu begangenen Straftaten, Haftdaten und der kriminalaktenf�hrenden Dienststelle enth�lt das Register auch eine detaillierte Personenbeschreibung einschlie�lich besonderer k�rperlicher Merkmale sowie personengebundene Hinweise wie z.B. �gewaltt�tig�, �bewaffnet�, �Konsument harter Drogen�, �Sexualt�ter�, �Ausbrecher�, �Straft�ter rechts motiviert� oder �Gewaltt�ter Sport� (z.B. Hooligans oder Fu�ballrowdys). Das POLAS wurde in der Vergangenheit, besonders unmittelbar nach seiner Inbetriebnahme, immer wieder von Datensch�tzern, Politikern und Journalisten heftig kritisiert. Rechtliche Grundlagen sind u. a. die�Strafprozessordnung,�das�Gesetz �ber das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der L�nder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten�(kurz: BKA-Gesetz) und das�Bundesdatenschutzgesetz.�Durch die Vernetzung von POLAS mit anderen polizeilichen und staatlichen Daten- und Informationssystemen wie dem Zentralen Verkehrs-Informationssystem des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes stehen n�tige Informationen oft in Minutenschnelle zur Verf�gung, etwa wenn per Kennzeichenabfrage�festgestellt werden soll, ob ein Fahrzeug als gestohlen gemeldet wurde. Zur Kl�rung von Todesursache und Todesumst�nden von Horacio Galvis Corzo wurde von der Staatsanwaltschaft telefonisch eine Sofortobduktion angeordnet. W�hrend der Leichnam ins Institut f�r Rechtsmedizin �berf�hrt wurde, machten sich die Beamten von der Spurensicherung ans Werk, den M�llcontainer und die n�here Umgebung des Leichenfundortes genauestens unter die Lupe zu nehmen. Parallel versuchten deren Kollegen von Mordkommission und Schutzpolizei potentielle Zeugen auf dem Flughafengel�nde aufzutreiben, die in der Nacht zuvor oder am fr�hen Morgen verd�chtige Personen oder sonstige Auff�lligkeiten beobachtet haben k�nnten. Ebenso wurde �berpr�ft, ob sich Corzos Name auf einer der Passagierlisten befand. Als der Verstorbene in unser Institut eingeliefert wurde, war er mit einer Windjacke, Jeans, Jeanshemd, Slip, Socken und Lederschuhen bekleidet. Das Hemd war ge�ffnet und aus der Hose gezogen. Nachdem der Sektionsassistent den athletisch gebauten Corzo entkleidet hatte, stellte ich am R�cken insgesamt sieben oberfl�chliche Sch�rfverletzungen fest. Die Sch�rfungen waren unregelm��ig auf die Region zwischen den Schulterbl�ttern und in der rechten Flankenregion verteilt und zwischen drei und sechs Zentimeter lang. Da keine Blutungen oder entz�ndlichen Hautreaktionen zu erkennen waren, vermutete ich, dass diese Wunden postmortal entstanden waren, entweder beim Entsorgen der Leiche oder bei der Bergung des Toten durch den Notarzt und die Rettungssanit�ter. Die sp�ter vorgenommene mikroskopische Untersuchung best�tigte meinen Verdacht. Es fehlten im Wundgebiet jegliche Ansammlungen von roten Blutzellen und Entz�ndungszellen, die sich bei Lebenden nach einer Verletzung sehr schnell im Wundrand bilden, um das traumatisierte Gewebe von der unverletzten Haut und dem Weichgewebe abzugrenzen. Wir sprechen hier von �Demarkierung� des Wundgebietes. Der interessantere, weil wegweisende Befund bei der �u�eren Leichenschau war der schaumige Belag vor Nasenl�chern und Mund�ffnung des Toten. Er war teils fl�ssig, teils angetrocknet und bestand aus feinsten hellrosafarbenen Schaumbl�schen. Wir Rechtsmediziner bezeichnen das als �Schaumpilz�. Ein Schaumpilz sieht in etwa so aus wie der aus lauter kleinsten Seifenblasen bestehende Schaum in der K�chensp�le, wenn gerade sehr sp�lmittelhaltiges Abwaschwasser abgelaufen ist, oder wie Bierschaum, der nach dem �ffnen einer gesch�ttelten Bierflasche in den Flaschenhals steigt. Ein Schaumpilz vor Mund und Nase bei einem Toten ist ein sicheres Zeichen daf�r, dass der Betreffende vor seinem Tod ein Lungen�dem hatte, also eine vermehrte Fl�ssigkeitsansammlung im Lungengewebe (im Volksmund: �Wasser in der Lunge�). Ein Lungen�dem entsteht meist nicht durch eine Erkrankung des Organs selbst, sondern ist eine Reaktion auf z.B. eine Herzerkrankung (Linksherzinsuffizienz), schwere Verbrennungen, eine Blutvergiftung, ein Polytrauma oder auch eine Vergiftung (Intoxikation). Da wir es hier mit einem athletisch gebauten Mann zu tun hatten, schien eine Linksherzinsuffizienz, also eine�chronische Schw�che der linken Herzkammer, als Ursache auszufallen. Auch hatte ich bei der �u�eren Leichenschau weder Verbrennungen noch Anzeichen einer Blutvergiftung entdeckt. Bei Letzterer kommt es h�ufig zu Hautblutungen als Ausdruck der durch Bakterien oder Viren gest�rten Gerinnungsf�higkeit des Blutes, mit der Folge z.T. auch unkontrollierbarer Blutungen innerer Organe. Auch ein Polytrauma schied aus, da Sch�deldach, Mittelgesichtsknochen, Brustkorb und Becken beim Betasten und auf Druck mit den H�nden nicht widernat�rlich beweglich waren und sich auch an den Extremit�ten kein �Knochenreiben� feststellen lie�. Zur �berpr�fung tastet man bei der Leichenschau die Arme und Beine Zentimeter f�r Zentimeter ab. Knochenreiben �u�ert sich als ein Knacken und Knistern, das man nicht nur f�hlt, sondern auch h�rt, und ist ein sicherer Hinweis auf einen Knochenbruch. Das unsch�ne Ger�usch entsteht dadurch, dass die rauen Oberfl�chen an den Bruchenden aneinanderreiben, der medizinische Fachterminus f�r dieses Reiben ist �Krepitation�. Da also alle anderen Ursachen f�r den Schaumpilz ausfielen, war ich schon vor der �ffnung der Brusth�hle �berzeugt, dass eine Vergiftung f�r das Lungen�dem und den Tod von Horacio Galvis Corzo verantwortlich war. Daher hielt sich meine �berraschung in Grenzen, als ich nach �ffnung der Bauchh�hle Magen und Darm des Toten mit der daf�r vorgesehenen Darmschere aufschnitt und einen direkten Blick auf das Innere des D�nndarms hatte: Ich z�hlte 26 kleine Plastikbeutelchen, jeweils zweieinhalb Zentimeter lang und anderthalb Zentimeter breit�und allesamt mehrfach mit Klebestreifen umwickelt und zu kleinen P�ckchen verschn�rt. Jedes P�ckchen enthielt ungef�hr 15 Gramm einer pulvrigen Substanz. Der entscheidende Hinweis auf das, was letztlich zu der t�dlichen Intoxikation des S�damerikaners gef�hrt hatte, zeigte sich beim Aufschneiden des Dickdarms. Hier fanden wir zwei ebensolche, allerdings leere Plastikbeutelchen sowie abgel�ste und miteinander verschmolzene Klebestreifen. Als ich die beiden Lungenfl�gel aus der Brusth�hle entnahm, best�tigte sich auch sofort der Verdacht in puncto Lungen�dem: Beide Lungenfl�gel wogen mit 820 bzw. 980 Gramm jeweils mehr als das Doppelte von dem, was gesunde Lungenfl�gel eines Mannes in diesem Alter wiegen. In Luftr�hre und Bronchien begegnete mir auch wieder der alte Bekannte von der �u�eren Leichenschau, der feinblasige Schaumpilz. Auch beim Einschneiden in das Lungengewebe floss reichlich schaumige, hellrosafarbene Fl�ssigkeit in das Auffangbecken unter dem Organtisch. Bei einer schweren, lebensbedrohlichen Vergiftung reagiert der K�rper mit einer massiven Fl�ssigkeitsansammlung im Lungengewebe und den Atemwegen, also den Bronchien und der Luftr�hre. Wir sprechen dann von einem �toxischen Lungen�dem�. Bei dieser Reaktion spielt es keine Rolle, ob die Intoxikation von gro�en Mengen Alkohol, Drogen wie Heroin, Kokain oder Amphetaminen (Speed) oder durch eine �berdosis Medikamente hervorgerufen wurde. Und sie f�llt auch immer einigerma�en gleich (�uniform�) aus, unabh�ngig davon, wie der Giftstoff in den K�rper gelangt ist, also�ob durch den Mund (im Essen oder Trinken), die Venen (gespritzt) oder �ber die Atemwege (inhaliert). Bei einem solchen toxischen �dem kommt es zum Fl�ssigkeits�bertritt aus den kleinen Kapillargef��en der Lunge in die mit Atemluft gef�llten Lungenbl�schen. Die so mit Fl�ssigkeit gef�llten Lungenbl�schen k�nnen den K�rper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgen. Beim Lebenden �u�ert sich das in brodelnden Atemger�uschen, die sich anh�ren, als w�rde man mit einem Strohhalm Luft in eine noch halbgef�llte Cola-Dose blasen. Folgen des �dems sind Atemnot, Erstickungsanf�lle und���ohne �u�erst z�gige intensivmedizinische Hilfe���der Tod. Die toxikologische Untersuchung des Inhalts der 26 intakten P�ckchen, die wir im D�nndarm des Toten gefunden hatten, beantwortete im Grunde schon die Frage, was das Lungen�dem hervorgerufen und Horacio Galvis Corzo get�tet hatte: Kokain, und zwar nahezu ungestreckt. Den Beweis lieferte die toxikologische Untersuchung von Blut und Urin, denn dort lie� sich dieselbe Substanz nachweisen. Warum transportiert ein Mann Kokain in seinem K�rper? Die Antwort ist so banal wie erschreckend: Weil der K�rper so ziemlich das einzige Transportmittel ist, in das man nicht ohne weiteres hineinschauen kann. In Zeiten, da die Zollbeh�rden die �berwachung des �grenz�berschreitenden Warenverkehrs�, wie es so sch�n auf Amtsdeutsch hei�t, nicht auf manuelle Gep�ckkontrollen und Leibesvisitationen beschr�nken, sondern auch mit dem Einsatz von Durchleuchtungsger�ten und Drogensuchhunden sehr effektiv gegen�Drogenschmuggler vorgehen k�nnen, mussten sich organisierte Drogenkartelle etwas einfallen lassen, um im Gesch�ft zu bleiben. Also verfielen sie auf einen perfiden Trick, um den Zoll zu t�uschen und den internationalen Drogenhandel���insbesondere den schnellen Transfer von Drogen aus S�damerika nach Europa mit dem Flugzeug���trotz sch�rfster Kontrollen am Laufen zu halten: Drogen dort zu verstecken, wo kein Zollbeamter hinschauen und kein Drogenhund sie erschn�ffeln kann���im K�rper von eigens daf�r angeheuerten M�nnern und Frauen. Horacio Galvis Corzo war als Drogenkurier, auch �Bodypacker� genannt, unterwegs gewesen und an seiner �geladenen Ware� gestorben. Der Schmuggel von Bet�ubungsmitteln im Magen-Darm-Trakt wird vorrangig genutzt, um gr��ere, nicht zum Eigenbedarf bestimmte Mengen zu transportieren. Die Drogen werden in kleine Plastikbeutel oder auch in Kondome, Fingerlinge von Gummihandschuhen oder Luftballons verpackt. Wenige Stunden bevor der Bodypacker das Flugzeug besteigt, schluckt er zwischen 20 und 30 prall mit Kokain (seltener Heroin, Amphetamine oder Designerdrogen) gef�llte Plastikbeutel (bodypacks). Direkt vor dem Flug nimmt der Kurier zudem Antidiarrhoika (Mittel gegen Diarrh�, also Durchfall) ein. Diese Medikamente hemmen und verlangsamen die Darmperistaltik oder auch Darmmotorik und damit den Weitertransport des Darminhaltes. Damit soll verhindert werden, dass der Drogenkurier oder Bodypacker die Ware fr�her als beabsichtigt ausscheidet. Am Zielort angekommen, werden ihm dann Laxantien�(Abf�hrmittel) verabreicht, denn jetzt ist es ja Zeit zur Waren�bergabe. In S�damerika ist der Drogenschmuggel per K�rper mittlerweile perfektioniert worden. Die gro�en Drogenkartelle dort bilden neu angeworbene Drogenkuriere regelrecht aus. Die Anw�rter werden in Lagern buchst�blich kaserniert und m�ssen dort lernen, ihren Darm an die bevorstehenden Belastungen zu gew�hnen. Daf�r m�ssen sie gro�e Mengen unzerkaute pflaumengro�e Trauben schlucken. Dann wird durch Antidiarrhoika ihre Darmperistaltik so weit gehemmt, dass die Fr�chte im Darm nicht weitertransportiert werden und der Stuhldrang �ber 36 Stunden und mehr von den Betreffenden unterdr�ckt werden kann. Dies entspricht in etwa der Dauer ihrer Reise �ber den Atlantik vom Abflugort zum Bestimmungsort der Drogen, kleinere unvorhersehbare Verz�gerungen und Transferaufenthalte eingerechnet. In diesen �Trainingslagern� wird den zuk�nftigen Drogenschmugglern auch beigebracht, wie sie sich bei der Einreise in ihr Bestimmungsland am Zielort zu verhalten haben. Meist f�hren die Bodypacker �berhaupt kein Reisegep�ck mit sich, sie bekommen aber von ihren Auftraggebern einen Bargeldbetrag, der gro� genug ist, um die Einreisebedingungen im Zielland zu erf�llen. Aber manchmal helfen auch das ganze Training und die Medikamente nichts, und der Bodypacker muss doch schon einige der wertvollen P�ckchen auf der Flugzeugtoilette ausscheiden. In diesem Fall hat er von seinen Auftraggebern die strikte Anweisung, die Drogenp�ckchen sofort wieder zu verschlucken. Ein Beamter der Bundespolizei erz�hlte mir vor einigen Jahren, dass ein Kollege vom Zoll einmal einen Bodypacker an seinem Mundgeruch erkannt habe. Der Drogenkurier hatte mehrere w�hrend des Fluges in die Flughafentoilette ausgeschiedene Drogenp�ckchen wieder hinuntergeschluckt und war am Zoll durch den ebenso ungew�hnlichen wie unerfreulichen Mundgeruch aufgefallen. Vielleicht sollten die Auftraggeber den Bodypackern zus�tzlich zu der gro�en Menge an Bargeld auch eine Zahnb�rste, Zahnpasta und extrastarkes Mundwasser mitgeben� Schon der fr�hzeitige Warenverlust aufgrund der nat�rlichen Verdauung zeigt, dass sich der menschliche K�rper nur sehr bedingt als Transportmittel eignet. Und die Transportbeh�lter sind alles andere als sicher. Denn Kondome, Plastikfingerlinge oder Luftballons sind nicht daf�r gemacht, mit Kokain oder anderen Drogen gef�llt tagelang im Magen-Darm-Trakt eines Menschen transportiert zu werden. Die Verpackungsreste, die wir im Darm des Toten gefunden hatten, zeigten uns, dass zwei der Plastikbeh�ltnisse aufgeplatzt waren. Das dadurch freigesetzte Kokain gelangte innerhalb kurzer Zeit durch die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf. Und die knapp 30 Gramm waren weit mehr als genug, um den Mann an einer akuten Kokain-Intoxikation sterben zu lassen. Die t�dliche Dosis liegt bei Kokain im Schnitt bei ein bis zwei Gramm. Die Drogenkuriere tragen ein Vielfaches dieser t�dlichen Dosis in sich. Kein Wunder also, dass immer wieder ein solcher Kurier seinen Zielort nicht lebend erreicht. Je nach Stabilit�t und Art der Verpackung kann es�auch vorkommen, dass die Drogenp�ckchen schon im Magen und nicht erst im Darm aufplatzen. Und was auch viele Drogendealer, die Bodypacker einsetzen, offenbar nicht wissen: Der Bodypacker kann selbst dann an einer Kokainvergiftung sterben, wenn keines der P�ckchen platzt. Es gen�gt, wenn das Verpackungsmaterial nicht dicht genug ist. Auch der Kunststoff eines Kondoms gibt als halbdurchl�ssige Membran, wenn auch nur nach und nach, das Bet�ubungsmittel frei. Besonders Kondome erweisen sich in dieser Hinsicht als unzuverl�ssig. Schlie�lich sind sie nicht, auch nicht in ihrer origin�ren Verwendung, f�r eine stundenlange Beanspruchung konzipiert. Und aufgrund ihres spezifischen Einsatzgebietes sind sie von der Kunststoffkonsistenz her auch eher d�nn- als dickschichtig. Indem das Kokain dann durch die Wand des Kondoms hindurchtritt, gelangt es zun�chst unbemerkt ins Blut, bis die Dosis so hoch ist, dass es zur Vergiftung kommt. Und dann kommt f�r den Bodypacker jede Hilfe zu sp�t. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass der Mann, der einen auf den Namen Horacio Galvis Corzo ausgestellten Pass mit sich f�hrte, einen Tag bevor er tot aufgefunden wurde aus Bogot�, der Hauptstadt Kolumbiens, �ber Amsterdam nach Berlin geflogen war. Offensichtlich war er allein unterwegs gewesen. Die Studentin, die in der Maschine aus Amsterdam neben ihm gesessen hatte, sagte aus, ihr Sitznachbar habe abwesend gewirkt und sich dauernd Schwei� von der Stirn gewischt. Ferner sei er sehr blass gewesen und habe gegen Ende des etwa einst�ndigen Fluges mehrfach�die Flugzeugtoilette aufgesucht. W�hrend des Landeanfluges auf Berlin habe eine Stewardess ihn durch lautes Rufen und Klopfen an der Toilettenkabinent�r dazu auffordern m�ssen, seinen Sitzplatz wieder einzunehmen. Die Untersuchung des M�llcontainers und der n�heren Umgebung des Leichenfundortes durch die Spurensicherung verlief ebenso ergebnislos wie die Suche nach potentiellen Zeugen, die beobachtet haben k�nnten, wen Corzo auf dem Berliner Flughafen getroffen hatte. Der tote Drogenkurier war ein typischer Fall von Leichendumping. Er war kurz nach seiner Ankunft, nachdem er erfolgreich die Einreiseformalit�ten absolviert und den Zoll passiert hatte, noch auf dem Flughafengel�nde an der �berdosis Kokain gestorben. Seine Kontaktpersonen, die ihn auf dem Flughafen erwartet und wohl schon mehr tot als lebendig in Empfang genommen hatten, k�mmerten sich in ihrer Eile, den Mann loszuwerden, nicht einmal um seinen Pass oder die 1.500 Euro Bargeld, die er bei sich trug. Und nat�rlich riefen sie erst recht keinen Arzt, sondern entsorgten ihn wie einen kaputten Koffer im M�ll. Leichendumping ist im Zusammenhang mit Drogendelikten nahezu an der Tagesordnung, nicht nur bei Bodypackern, sondern auch im eigentlichen Drogenkonsumentenmilieu selbst. Werden Drogenabh�ngige tot aufgefunden, sind oft weit und breit keinerlei Fixerutensilien wie Injektionsspritzen, L�ffel, Feuerzeug oder Drogenbeh�ltnisse zu finden. Manchmal hat nur jemand die Utensilien verschwinden lassen, meist aber wurde der Tote nachtr�glich verfrachtet. Der Grund:�die Angst der Mitkonsumenten, entdeckt und verhaftet zu werden���wegen Drogenbesitz oder unterlassener Hilfeleistung. In solchen F�llen sind auch postmortal entstandene Transportverletzungen am K�rper der Toten, wie in unserem Fall die Hautabsch�rfungen am R�cken des Mannes im M�llcontainer, nicht selten. Leichendumping im Drogenmilieu nimmt zum Teil bizarre Ausw�chse an, und die grausige Phantasie der Dealer und Mitkonsumenten kennt anscheinend keine Grenzen. So wurde in Berlin die verbrannte Leiche eines 14-j�hrigen M�dchens in einem ausgebrannten Koffer entdeckt. Obduktion und toxikologische Untersuchungen ergaben zweifelsfrei, dass das M�dchen an einer �berdosis Heroin gestorben war, bevor jemand sie in dem Koffer vom Sterbeort weggeschafft und anschlie�end den Koffer samt Leiche mit Benzin �bergossen und angez�ndet hatte. In einem anderen Fall wurde ein junger Mann, der sich den �goldenen Schuss� gesetzt hatte, von seinem Dealer im Keller seines eigenen Hauses eingemauert und erst nach zweieinhalb Jahren gefunden. Und das auch nur, weil eine Katze immer wieder vor der Wand laut miaut hatte, bis der misstrauisch gewordene Hausbesitzer die Polizei verst�ndigte. Was wie aus Edgar Allan Poes Geschichte �Die schwarze Katze� abgeschrieben klingt, ist bei uns in der Rechtsmedizin immer mal wieder grausige Realit�t. Der Fall Jessica Im Grunde war ich vorgewarnt, als ich schlie�lich mit der Obduktion des siebenj�hrigen M�dchens begann, das bald im ganzen Land eine traurige Ber�hmtheit erlangen sollte���als Fall von vors�tzlicher und besonders grausamer Kindesvernachl�ssigung. Durch die Fotos in der Ermittlungsakte hatte ich einen ersten Eindruck erhalten, durch welche H�lle dieses M�dchen vor seinem Tod gegangen sein musste. Au�erdem hatte mir der Kollege von der Kripo, der Jessicas �Gef�ngnis� untersucht und die Verhaftung der Eltern angeordnet hatte, den Tatort der Vernachl�ssigung beschrieben: Selbst wenn man mittendrin stand, konnte man die Konturen des winzigen Raumes nur erkennen, wenn die T�r zum Flur ge�ffnet war. Es gab kein Licht, das einzige Fenster war mit schwarzer, lichtundurchl�ssiger Folie beklebt. In diesem Raum hatte das M�dchen f�nf Jahre zugebracht, und in seinen letzten Monaten hatte es, ausgehungert und schwach, wie es war, nicht einmal mehr krabbeln k�nnen. Der Notarzt hatte das bereits tote Kind nur kurz in Augenschein genommen und dann sofort die Polizei verst�ndigt. Der abgemagerte und in grotesker Weise zusammengeschrumpfte K�rper des M�dchens, die Windel, die Jessica noch mit sieben Jahren trug und die�mit Kabelbindern in ihrer Leistengegend fixiert war, sowie die dunkle Enge des Zimmers verrieten auf den ersten Blick, dass hier keine Krankheit die Todesursache war. Dieses M�dchen war an elterlicher Vernachl�ssigung unvorstellbaren Ausma�es gestorben. In einem solchen Fall geht alles sehr schnell. Die sofort eingeschaltete Kriminalpolizei hatte die Staatsanwaltschaft verst�ndigt, und die hatte eine Obduktion der Leiche angeordnet. Einen Mordfall zu kl�ren gab es f�r mich nicht mehr, die T�ter, Vera Fechner und ihr Lebensgef�hrte Otto H�bner, sa�en bereits in U-Haft. Die Obduktion hatte nur eine Aufgabe: die Details von Jessicas Martyrium festzustellen und zu dokumentieren, auch als Grundlage f�r den Prozess und die Strafzumessung. Nat�rlich war mir bewusst, dass die vor mir liegende Autopsie alles andere als Routine sein w�rde. Doch weder die inzwischen bekannten Fakten noch das, was mir die Kriminalpolizei im Vorfeld berichtet hatte, konnten mich auf das vorbereiten, was mich im Verlauf der n�chsten sechs Stunden erwartete. Ich betrachtete den kleinen nackten K�rper vor mir auf dem Sektionstisch. Auf einem Tisch an dessen Fu�ende lag die Kleidung des M�dchens: ein gr�nes T-Shirt und eine blaue Latzhose, die Jessica �ber der Windel getragen hatte und die seit Wochen oder Monaten nicht gewechselt oder gewaschen worden war. Ich habe gelernt, die analytische Distanz aufrechtzuerhalten, die der Job von mir verlangt, was allerdings nicht hei�t, dass es nicht Dinge gibt, die ich nicht fassen kann. Die Eltern hatten den Notarzt gerufen, als sei es die normalste Sache der Welt, den Arzt zu rufen, wenn das eigene Kind verhungert ist. �Ich habe ihr immer etwas zu essen gegeben�, hatte die Mutter den Einsatzkr�ften zugerufen. So stand es im Protokoll. �Gestern Abend bekam sie H�hnchen mit Schokopudding.� Was ich sah, schien die Aussage von Vera Fechner zu best�tigen: Mund und Kinn des M�dchens waren schmutzverklebt, mit einer klebrigen, dunklen Fl�ssigkeit, offenbar Erbrochenem.�H�hnchen mit Schokopudding. Vor der Leichenschau wird routinem��ig das Gewicht festgestellt. Jessica wog keine zehn Kilo���bei einer K�rperl�nge von 1,05 Metern! Normalerweise betr�gt die Gr��e eines siebenj�hrigen Kindes zwischen 114 und 133 Zentimetern und das Gewicht zwischen 17 und 30 Kilogramm. Damit lag Jessica entsprechend der Waterloo-Klassifikation im Bereich schwerer chronischer Unterern�hrung. Die Anzeige auf der Waage lie�en zusammen mit dem Anblick der Toten vor meinem geistigen Auge Bilder von KZ-Opfern erscheinen, die ich w�hrend meiner Schulzeit in B�chern und Filmen gesehen hatte. Um Vergleichbares zu finden, mit dem ich zur Veranschaulichung mein Protokoll f�r die Gerichtsverhandlung untermauern konnte, musste ich sp�ter bis in die Archive des Warschauer Ghettos zur�ckgehen. Die Leichenschau lieferte weitere Indizien. Keine Anzeichen mehr von Muskeln, von Fett oder von Gewebe. Ich sah nur pergamentartige, wei�gelbe, d�nne Haut, die sich wie Papier �ber die Knochen spannte, die�Wangen waren eingefallen, die Augen lagen tief in den H�hlen, das Haar war trocken, br�chig und kurz geschnitten, an einigen Stellen waren B�schel ausgerissen. Anzeichen von �u�erer Gewaltanwendung fand ich nicht, aber das war keine �berraschung���in diesem Fall ging es nicht um k�rperliche Gewalt, sondern um absolute Gleichg�ltigkeit: Jessica war nicht geschlagen oder misshandelt, sondern weggesperrt und aus dem elterlichen Leben verbannt worden. Trotz der fehlenden Hinweise auf Vergewaltigung war die Anogenitalregion ein schockierender Anblick: After und Scheide waren mit borkigen Verkrustungen verschmutzt, und aus dem Enddarm ragte verh�rteter Kot. Der ganze Bereich war stark entz�ndet. Sp�ter sah ich, dass auch Harnr�hre, Blase und Nierenbecken eitrig entz�ndet waren. Die Beinknochen waren stark nach innen gekr�mmt���Zeichen einer fortgeschrittenen Rachitis. Einer von Jessicas Beinknochen war gebrochen und nicht mehr richtig zusammengewachsen, nachdem sie offenbar den Versuch unternommen hatte, aufrecht zu gehen. Die Knochen konnten aufgrund des Kalkentzugs das K�rpergewicht nicht mehr tragen und verurteilten das Kind dazu, sich nur noch auf allen vieren fortzubewegen, bis Jessica am Ende sogar das versagt blieb. Eine sp�ter im Labor durchgef�hrte Blutuntersuchung ergab eine viel zu geringe Vitamin-D-Konzen-tration. Das war zu erwarten, denn der menschliche K�rper kann dieses f�r den Knochenaufbau notwendige Vitamin nur dann selbst aus dem k�rpereigenen Cholesterin gewinnen, wenn er gen�gend UV-Licht bekommt. Vitamin D ist f�r den Calcium- und Phosphatstoffwechsel n�tig und damit f�r den Zahn- und Knochenaufbau. Die Handwurzelknochen des siebenj�hrigen M�dchens wiesen die Skelettentwicklung einer Dreij�hrigen auf, was bis zu diesem Zeitpunkt weltweit noch in keinem einzigen Fall dokumentiert worden war. Jessica hatte ihr Dasein offensichtlich in totaler Finsternis gefristet. Die Ermittlungen hatten bisher Folgendes ergeben: Jessica war zun�chst in einer kleinen Ortschaft aufgewachsen. �Unauff�llig, ein fr�hliches Kind�, hatten fr�here Nachbarn best�tigt, die das Kind noch gesehen hatten.Als dann die Eltern in die Stadt gezogen waren, begann das Martyrium. Jessica wurde seitdem in ihrem Zimmer im Dunkeln gefangen gehalten, ohne Spielzeug, v�llig vernachl�ssigt, verschmutzt und hungrig, wie ein Tier. Nachbarn hatten das Kind nie gesehen. Die Eltern lie�en Jessica oft tage- und n�chtelang allein, gaben ihr entweder �berhaupt nichts oder viel zu wenig zu essen und zu trinken. W�hrend Vater und Mutter Sozialhilfe und Kindergeld in Kneipen und Spielhallen ausgaben, litt Jessica einsam in der schwarzen Enge ihres kleinen Zimmers. Der Regler des Heizk�rpers war mit einem Kabelbinder auf Stufe 0 fixiert, ein �hnlicher Kabelbinder, wie er auch die Windel von Jessica hielt. Jessica muss in den Wintermonaten unter extremer Ausk�hlung gelitten haben. W�hrend sie den Putz von den W�nden kratzte, um �berhaupt die Illusion von etwas Essbarem zu haben, sa� nebenan im Wohnzimmer die wohlgen�hrte Katze in Gesellschaft der Eltern. �Eine Handlung wie diese �bersteigt die Vorstellungskraft�, sagte der vorsitzende Richter sp�ter bei der Urteilsverk�ndung. Ich sa� als Sachverst�ndiger im Gerichtssaal und hatte Gelegenheit, die Eltern zu beobachten: Vera Fechners Augen schauten starr ins Leere, ihr Lebensgef�hrte Otto H�bner blickte abwechselnd auf den Strafverteidiger und auf seine Uhr. Der psychiatrische Sachverst�ndige fand bei der Mutter des Kindes keinen Hinweis auf eine Beeintr�chtigung ihrer Schuldf�higkeit. Vera Fechner habe zwar eine �miserable Kindheit� in einem �verwahrlosten Haushalt� bei ihrer alkoholkranken Mutter gehabt und mit 18 Jahren bereits ihr erstes Kind bekommen, das bald darauf zur Adoption freigegeben wurde, dennoch sei, so der Richter, diese unvergleichliche Tat damit in keiner Weise gerechtfertigt oder begr�ndet. Otto H�bner hingegen wurde eine eingeschr�nkte Schuldf�higkeit attestiert, die auf einem fr�hkindlichen Hirnschaden und langj�hrigem Alkoholmissbrauch, verbunden mit einem erheblichen emotionalen Defizit���Soziopathie��, basierte. Jessicas Eltern wurden wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. �Sie haben aus mitleidloser, gef�hlloser und b�swilliger Gesinnung gehandelt, weil Sie Ihr Leben bei Bekannten und beim Darts leben wollten�, sagte der Richter bei der Urteilsverk�ndung zu den Eltern. Wenn ich die M�glichkeit h�tte, den Eltern von Jessica oder Eltern anderer vernachl�ssigter Kinder etwas zu sagen, jenseits der rechtsmedizinischen Gutachten, die ich f�r den Gerichtsprozess erstelle, h�tte ich davon�Gebrauch gemacht? Die Antwort ist nein. Mein Job beschr�nkt sich darauf, die medizinischen Fakten, die f�r ein Verbrechen von Relevanz sind, ans Licht zu bringen. Die Schicksale hinter den Verstorbenen, die auf meinem Obduktionstisch landen, sind oft furchtbar und b�ten ausreichend Anlass, sich emotional darin zu vertiefen, den Angeh�rigen Beistand zu leisten oder �berf�hrten T�tern deutlich die Meinung zu sagen. Doch das f�llt nicht in meinen Kompetenzbereich und w�rde die f�r jeden Rechtsmediziner unverzichtbare Objektivit�t und Unvoreingenommenheit beeintr�chtigen. Trotzdem habe ich nat�rlich eine Meinung zu einem solchen Fall brutalster Vernachl�ssigung und frage mich als Vater zweier Kinder, was bei der Familie von Jessica so unglaublich schiefgelaufen ist, dass so etwas geschehen konnte, und ob Vernachl�ssigung ein Ph�nomen unserer Zeit ist. Denn Jessica ist kein Einzelfall. Nicht nur in Bezug auf �berforderte Eltern, sondern auch im Hinblick auf all die Menschen, die qualvoll leben und qualvoll sterben, ohne dass ihr Umfeld davon Notiz nimmt oder auch nur irgendetwas ahnt. Niemand sah Jessica, keine Freunde, keine Verwandten, aber auch keine �rzte oder Beh�rden! Als sie trotz schulpflichtigen Alters nicht in der Schule erschien, erhielten die Eltern lediglich einen Mahnbescheid���den sie nicht bezahlten. Nach und nach geriet Jessica komplett aus dem Blickfeld ihrer Umgebung, wurde quasi unsichtbar���bis sie schlie�lich wirklich aufh�rte zu existieren. Bei der Obduktion ging es zentral um die Frage, welcher der zahlreichen durch Vernachl�ssigung verursachten k�rperlichen Sch�den letztendlich den Tod herbeigef�hrt hatte. Jessicas K�rper verf�gte �ber keinerlei Unterhautfettgewebe mehr. Die Organe wie Lunge und Leber waren fast blutleer und kaum mehr funktionsf�hig.Alle inneren Organe besa�en nur noch zwischen 10 und 60 Prozent ihres normalen Gewichts. Im Magen fanden wir Nahrungsreste, die tats�chlich vom Vorabend stammten. Die faserige Struktur und das dunkle Material waren Fleisch und Pudding���H�hnchen und Schokopudding. Mit dem Nahrungsbrei vermischt fanden wir auch Kopfhaare des M�dchens, ebenso Gips von der Wand und Teppich- und Tapetenreste. Alles sprach daf�r, dass Jessica verhungert war. Doch so war es nicht gewesen. Was sich wirklich ereignet hatte, konnten wir erst sehen, als wir D�nndarm und Dickdarm �ffneten. Wir wollten feststellen, wie weit die Nahrung verdaut worden war, die Jessica am Abend bekommen hatte. Die unheimliche Antwort, auf die wir stie�en, war: �berhaupt nicht, denn es gab keinen Platz mehr. D�nn- und Dickdarm waren bis zum After vollst�ndig durch Kotsteine verstopft���Kot, der durch Fl�ssigkeitsentzug zu steinartigen Gebilden verh�rtet war. Diese Kotsteine wogen 870 Gramm und machten damit zehn Prozent von Jessicas ohnehin viel zu niedrigem K�rpergewicht aus. Um zu erfahren, wie ausgepr�gt der Fl�ssigkeitsmangel war, mussten wir zun�chst den Harnstoffgehalt im K�rper des Kindes feststellen, das taten wir anhand der Glask�rperfl�ssigkeit im Auge. Wie nicht anders zu erwarten, wies der Harnstoffgehalt mit 212 Milligramm�pro Deziliter einen extrem hohen Wert auf���ein Indiz f�r eine v�llig unzureichende Fl�ssigkeitszufuhr zu Lebzeiten. Aufgrund des Fl�ssigkeitsmangels konnte der eingedickte Kot im Darm nicht mehr abgef�hrt werden, weshalb der gesamte Darmtrakt verstopfte. Durch die Verstopfung setzte die Darmmotorik irgendwann aus, und von da an transportierte der Darm von Jessica keine Nahrung mehr. Als Jessica endlich etwas zu essen bekam, konnte sie gar keine Nahrung mehr verdauen���sie war faktisch aufs Verhungern programmiert. Beim �ffnen der Luftr�hre und der Bronchien fanden wir in den Atemwegen die gleichen Nahrungsreste wie im Magen. Damit wussten wir nun, wie Jessica tats�chlich zu Tode gekommen war: Als das M�dchen endlich etwas zu essen bekommt, schlingt es die Nahrung in sich hinein. Sie gelangt bis zum Magen���und wird von dort nicht mehr weitertransportiert, da die Kotsteine im Darm den weiteren Weg blockieren. Es kommt zu Magenkr�mpfe und schlie�lich w�rgt Jessica die Nahrung wieder hervor, diese wird zum Teil erbrochen, zum Teil gelangt sie in die Luftr�hre und von dort in die Atemwege. Die Fremdk�rper blockieren die Luftr�hre und das sich daran anschlie�ende Bronchialsystem, weshalb Jessica nicht mehr atmen kann. Die Folge ist Tod durch Ersticken. Die grausame Ironie von Jessicas Schicksal: Nach einer Ewigkeit geben die Eltern ihr wieder etwas zu essen���und das fast zu Tode verhungerte Kind stirbt an seiner letzten Mahlzeit. Erhalten f�r die Ewigkeit An einem Tag im Sommer machte ein junges P�rchen bei herrlichem Wetter eine Bootsfahrt auf einem See. Pl�tzlich sahen die beiden etwas, das aussah wie ein Sack, eine Plane oder ein Baumstamm. Doch was dort an der Wasseroberfl�che trieb, war die Leiche eines Menschen. F�r Ausfl�gler ist jede Wasserleiche ein ungewohnter und entsetzlicher Anblick. Doch als die Wasserschutzpolizei eintraf und die Leiche mit einem Bootshaken barg, stutzten auch die mit diesem Metier eher vertrauten Beamten, und das gleich aus zwei Gr�nden. Zum einen sah die Leiche nicht aus wie eine Wasserleiche. Anders als bei dem am Elbstrand gefundenen Kopf (siehe �Entzweigeteilte Ermittlung�) waren hier die Gesichtskonturen noch gut zu erkennen. Das ganze Gesicht des Toten war wie mit einer wachsartigen Schicht bedeckt, aber das Gewebe hatte nicht die schwammige, aufgeweichte Konsistenz einer typischen Wasserleiche. Was die Situation aber noch ungew�hnlicher machte, war die Tatsache, dass die Kleidung des Verstorbenen, die ebenfalls zum gro�en Teil noch erhalten war, �berhaupt nicht in die heutige Zeit zu passen schien: ein zerlumpter, vom Wasser aufgeweichter Gehrock im Stil�des 19. Jahrhunderts und ein wei�es R�schenhemd mit Resten einer Schleife im Brustbereich. Ein Outfit weit jenseits unserer heutigen Mode. Und auch der Schuh, in dem der linke Fu� des Verstorbenen noch steckte, wirkte mit seiner grobbeschlagenen Sohle und der gro�en Messingschnalle, als stamme er aus einem l�ngst vergangenen Jahrhundert. Die Wasserschutzpolizisten, die ebenfalls alarmierten Schutzpolizisten und das junge P�rchen, aufgew�hlt, aber auch neugierig, �berboten sich in Spekulationen, was es mit dieser altmodisch gekleideten Wasserleiche auf sich hatte. �Der kommt aus einer anderen Zeit�, sagte einer. �Der liegt schon Jahrzehnte, vielleicht schon Jahrhunderte da drinnen.� �Dann w�re das Gesicht aber wohl nicht mehr so gut zu erkennen�, erwiderte der Wasserschutzpolizist, der den Toten mit dem Bootshaken aus dem See geborgen und sich anschlie�end damit gebr�stet hatte, dies sei nun schon die zw�lfte Wasserleiche, die er in elf Dienstjahren mit eigenen H�nden �den Fluten entrissen� habe. �Trotzdem sieht die Kleidung so aus, als w�re die Leiche schon seit vielen Hundert Jahren im Wasser�, sagte einer der Schutzpolizisten. �Das Gesicht aber nicht�, warf der junge Mann ein, der mit seiner Freundin den Toten entdeckt hatte. �Vielleicht hat sich jemand extra alte, zerlumpte Kleidung angezogen und ist dann ins Wasser gegangen und ertrunken�, schlug ein Beamter der mittlerweile eingetroffenen Kriminaltechnik vor. �Es gibt doch diese�Rollenspiele, bei denen sich die Leute historische Klamotten anziehen und dann auf irgendwelchen Burgen herumtoben.� Wie auch immer man es drehen und wenden wollte, der Tote wirkte wie einer anderen Zeit entsprungen und erinnerte mehr an eine hergerichtete Schaufensterpuppe als an einen K�rper, der l�ngere Zeit im Wasser gelegen hatte. Letzteres ist f�r Rechtsmediziner allerdings kein gro�es R�tsel, weil wir schon im Studium mit diesem seltenen Ph�nomen bekannt gemacht wurden. Als wir den Leichnam im Institut entkleideten, kam ein K�rper zum Vorschein, der wie aus Kalk oder Gips gefertigt wirkte, fast wie versteinert. Statt aufgeweichter Haut umschloss eine grauwei�e Schicht Rumpf und Gliedma�en wie ein Panzer. Diese Schicht war von fester Konsistenz und hatte Form und Konturen vor allen Umwelteinfl�ssen gesch�tzt. Das Ph�nomen hei�t in der Rechtsmedizin �Leichenwachs�, der wissenschaftlich korrekte Terminus ist �Adipocere� oder �Adipocire�. Adipocere ist eine Form nat�rlicher, biologischer Leichenkonservierung (im Gegensatz zu artifizieller, also bewusst von Menschenhand herbeigef�hrter Leichenkonservierung wie z. B. bei der Mumifikation im alten �gypten). Der Begriff leitet sich, wie k�nnte es anders sein, vom Lateinischen ab:�adeps =�Fett und�cera/cira =�Wachs. Ein ebenfalls gebr�uchlicher Ausdruck ist �Fettwachs�, der allerdings wie auch die Bezeichnung �Leichenwachs� etwas irref�hrend ist, da f�r die chemischen Prozesse bei der Bildung von Adipocere weder Fette noch Wachse, sondern h�here Fetts�uren verantwortlich sind. Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zu nat�rlicher Leichenkonservierung durch Adipocere gehen auf die franz�sischen Wissenschaftler Fourcroy und Thouret zur�ck, die Ende des 18. Jahrhunderts als Erste dieses Ph�nomen bei Umbettungen von Toten auf dem Friedhof St. Innocent in Paris beobachtet hatten. Die Verstorbenen, die auf dem �berbelegten Pariser Massenfriedhof teilweise in Gruppen bestattet worden waren, waren trotz langer Liegezeit nicht verwest und zum Teil noch vollst�ndig erhalten. Wie kommt es zu derartiger Leichenwachsbildung? Voraussetzung ist, dass die Leiche sich in sehr feuchter Umgebung befindet und von einer Luftzufuhr ausgeschlossen ist. Sind beide Voraussetzungen erf�llt, z. B. unter Wasser, in einer H�hle, einer Gruft oder einem feuchten Grab, tritt nach dem Tod aus den Talg- und Schwei�dr�senausf�hrungsg�ngen des Unterhautfettgewebes verfl�ssigtes Fett. Dieses verwandelt das Gewebe zun�chst in eine schmierige Masse, die dann eine zunehmend wachs�hnliche Konsistenz bekommt. Im Laufe der Zeit wird dieses �Wachs� immer fester, bis es schlie�lich in eine gips�hnliche, m�rtelartige Substanz �bergeht und die Leiche quasi konserviert. Der gipsartige Panzer macht die Struktur des Gewebes auch nach Bergung und Aufenthalt an der Luft weitgehend unempfindlich gegen bakterielle Zersetzung, so dass K�rper und Gesichtsz�ge von �Gipsleichen�, wie sie aufgrund ihres Aussehens manchmal genannt werden, noch Jahrzehnte nach ihrem Tod erhalten sind. Rechtsmedizinisch von Bedeutung sind in F�llen von Fettwachsleichen z.B. sichtbare Verletzungen, Strangmarken, Narben oder T�towierungen, die man aufgrund der Konservierung der Haut in den meisten F�llen noch recht gut erkennen kann. Auch die DNA kann man bei Fettwachsleichen noch isolieren und analysieren. So konnten Kollegen �ber die DNA eines Beins, das durch eine Schiffsschraube abgetrennt worden war und danach zwei Jahre lang im Wasser gelegen hatte, dessen �Besitzer� identifizieren. Auch Zahnstatus und Knochen sind bei Fettwachsleichen noch gut zu bestimmen. Weniger leicht zu erkl�ren als die guterhaltenen K�rper- und Gesichtskonturen der im See gefundenen Leiche war f�r uns die ungew�hnliche Aufmachung. Aber jemand aus unserem Team hatte eine Idee, wie man der Sache auf den Grund gehen k�nnte. �Vielleicht sollten wir mal in der Universit�t beim Fachbereich f�r Geschichte anrufen. Die k�nnten doch einen Professor vorbeischicken, der sich die Bekleidung genauer ansieht und uns sagen kann, ob wir es hier tats�chlich mit einem historischen Leichenfund zu tun haben.� Die im Institut anwesenden Ermittler der Kripo griffen die Idee dankbar auf und schritten umgehend zur Tat. Wenig sp�ter lie� ein Experte seinen fachm�nnischen Blick �ber die Kleider wandern, die wir dem Toten ausgezogen hatten. Seine Einsch�tzung nach der Inspektion: Gehrock und Schuhe des Mannes entsprachen tats�chlich der Mode des 19. Jahrhunderts und waren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Originalst�cke. Die letzten Zweifel beseitigte das Gutachten eines Textilexperten des Landeskriminalamtes. Wir hatten es also in der Tat mit einem nat�rlich konservierten Toten zu tun, der vor 100 Jahren oder fr�her in dem See versunken war. Das hie� zum einen: Der Mann vor uns auf dem Stahltisch war ein ausgesprochen spektakul�rer Fund. Doch zum anderen hie� es: Es gab keinen Fall, den wir aufkl�ren mussten. Denn auch wenn es sich um einen Mord handelte���der M�rder w�re ebenfalls nicht mehr am Leben. Deshalb ordnete die Staatsanwaltschaft auch keine Obduktion an. F�r die Strafverfolgungsbeh�rden reichte die Feststellung aus, dass es sich nicht um einen aktuellen oder aus neuerer Zeit stammenden Todesfall handelte. Doch wie ich ja schon in der Einleitung zu diesem Buch betont habe: Die Rechtsmedizin will von den Toten f�r die Lebenden lernen. Also ist auch die Forschung ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Deshalb wurde unserem rechtsmedizinischen Team erlaubt, ein kleines St�ck des Oberschenkelknochens des Toten zu entnehmen und etwas n�her zu untersuchen. Um das genaue Alter von Knochen und anderen organischen Materialien zu bestimmen, gibt es unterschiedliche Datierungsmethoden, von denen die bekannteste die �Radiokarbonmethode� ist, auch �Radiokohlenstoffdatierung� oder �C14-Methode� genannt. Sie findet nicht nur in der Arch�ologie, Anthropologie, Klimatologie und Geologie Anwendung, sondern in Einzelf�llen auch in der Rechtsmedizin. Mit Hilfe der C14-Methode kann man sowohl �nur� einige Hundert Jahre junge Knochen als auch alle kohlenstoffhaltigen Gegenst�nde, die nicht �lter als 55.000 Jahre sind, datieren. Die C14-Methode basiert auf dem nat�rlichen Zerfall von in der Natur vorkommenden radioaktiven Elementen, der sogenannten Isotope. Hierbei l�uft folgender Prozess ab: In der oberen Erdatmosph�re entsteht durch kosmische Strahlung aus dem Stickstoff-Isotop N14 das radioaktive Kohlenstoff-Isotop C14 (N und C sind die Elementarbezeichnungen f�r die Elemente Stickstoff und Kohlenstoff). W�hrend der Photosynthese der Pflanzen, also dem Aufbau von Kohlenhydraten aus Kohlendioxid und Wasser mit Hilfe von Licht- bzw. Sonnenenergie, werden sowohl das C14-Isotop als auch das stabile und �gew�hnliche� C12-Isotop von den Pflanzen aufgenommen. Diese beiden Isotope gelangen schlie�lich mit den Pflanzen in den Nahrungskreislauf und damit in den menschlichen und tierischen Organismus. Im Organismus bildet sich dann ein konstantes Verh�ltnis von C14- zu C12-Isotopen���jedenfalls, solange der Organismus noch lebt, da ja best�ndig neue Nahrung aufgenommen und ausgeschieden wird. Stirbt das Lebewesen, wird nat�rlich kein neuer Kohlenstoff mehr aufgenommen, und das instabile Isotop C14 zerf�llt mit konstanter Geschwindigkeit. Die Halbwertszeit, also die Zeit, in der sich die Menge an C14-Isotopen im Gewebe halbiert, ist bekannt, sie betr�gt 5.730 Jahre. Um das Alter einer Probe ermitteln zu k�nnen, ist es also notwendig, den Anteil der noch vorhandenen C14-Atome herauszufinden. Da das stabile C12-Isotop nicht zerf�llt, kann man das Alter von organischen Stoffen���und eben auch der�Knochen Verstorbener���aus dem Verh�ltnis von C14- zu C12-Isotopen berechnen. Unser Toter aus dem See war laut Textilgutachten und dem Ergebnis der C14-Untersuchung gegen Ende des 19. Jahrhunderts gestorben. Das Leichenwachs-Ph�nomen erkl�rt, wie er so lange erhalten bleiben konnte. Eine andere naheliegende Frage beantwortet es nicht: Wenn der Verstorbene mehr als ein Jahrhundert auf dem Grund des Sees gelegen hatte, warum war er nach �ber hundert Jahren pl�tzlich an der Wasseroberfl�che aufgetaucht? Auch hier ist die L�sung des R�tsels ein bekanntes und naturwissenschaftlich relativ leicht zu erkl�rendes Ph�nomen, wenn auch gleichzeitig ein warnendes Beispiel f�r die Folgen des Klimawandels: Der Tote lag �ber ein Jahrhundert auf dem Grund des Sees, wo die Wassertemperatur nur vier Grad Celsius betr�gt. Das ist nicht nur die �bliche K�hlschranktemperatur, sondern auch die Temperatur, bei der Verstorbene im K�hlraum der Rechtsmedizin aufbewahrt werden, da bei dieser Temperatur die F�ulnisprozesse aufgehalten werden. Die allm�hliche Erderw�rmung w�hrend der letzten Jahrzehnte sorgte daf�r, dass die Wassertemperatur am Grund des Sees auf �ber vier Grad Celsius anstieg. Daraufhin begannen sich nun im Leichnam F�ulnisgase zu bilden, die dem Toten Auftrieb verliehen. So gelangte der Mann aus dem vorletzten Jahrhundert schlie�lich vom Grund des Sees an die Wasseroberfl�che, wo er von dem P�rchen im Boot entdeckt wurde. Aber nicht nur in Gew�ssern wie Seen oder Fl�ssen�kann es zu nat�rlicher Leichenkonservierung kommen. Jeder hat schon einmal von Moorleichen geh�rt, menschlichen �berresten, die im sauren Milieu eines Hochmoores f�r die Ewigkeit konserviert worden sind. Die eindrucksvollsten Moorleichen sind in Schloss Gottorf in Schleswig ausgestellt. Das arch�ologische Museum dort war in meiner Kindheit ein beliebtes sonnt�gliches Ausflugsziel meiner Mutter und meiner Gro�mutter. Unz�hlige Stunden habe ich mir als Junge dort die Nase an den Scheiben platt gedr�ckt, vor dem �M�dchen von Windeby� (das nach Ergebnis der DNA-Analysen allerdings ein Junge ist), vor den �M�nnern von Damensdorf� oder vor dem Sch�del des �Mannes von Osterby�. Ich war schon damals fasziniert von den Theorien �ber die Todesursachen der dort gezeigten Moorleichen. Waren sie hingerichtete Straft�ter? Menschenopfer f�r heidnische G�tter? Waren es Arme-Leute-Begr�bnisse (denn damals wurden die betuchteren Verstorbenen f�r gew�hnlich verbrannt und die Asche mit pers�nlichen Grabbeigaben bestattet)? Oder waren einige von ihnen vielleicht nur einfach aus Unachtsamkeit im Moor versunken? Die meisten Fachleute sind sich allerdings einig, dass Menschen, die als Moorleichen f�r die Ewigkeit konserviert wurden, wahrscheinlich unter ungew�hnlichen Umst�nden starben. Versinken Menschen im Hochmoor, werden ihre �berreste durch Sauerstoffabschluss und die Einwirkung von Humins�uren konserviert. Humins�uren sind hochmolekulare chemische Verbindungen, die F�ulnisprozesse und somit auch Leichenf�ulnis hemmen. Diese Toten werden meist in unteren Torfschichten der Moore stark zusammengedr�ckt aufgefunden. Ihre Haut sieht schmutzig aus und ist dunkelbraun bis schwarz verf�rbt und, wenn sie geborgen werden, noch feucht und verformbar wie weich gegerbtes Leder. Nach der Bergung setzen sehr schnell die sonst �blichen F�ulnisprozesse wieder ein. Daher muss man die Moorleichen rasch konservieren, wenn man sie in ihrer urspr�nglichen Form und Verfassung erhalten will. Besonders im norddeutschen und s�dskandinavischen Raum findet man heute noch Moorleichen. Bei fast allen kann man erkennen, woran sie gestorben sind, wenn es kein nat�rlicher Tod war. So zeigt der �Tollund-Mann� aus D�nemark, dessen Gesicht durch die Mumifizierung bis in kleinste Einzelheiten erhalten ist, auch nach fast zwei Jahrtausenden noch Strangulationsmarken am Hals, die daf�r sprechen, dass er entweder durch Erh�ngen oder Erdrosseln ums Leben kam. Wie bei Fettwachsleichen l�sst sich auch an vielen Moorleichen noch problemlos eine DNA-Analyse durchf�hren���da es eben durch die nicht stattgefundene Leichenf�ulnis auch nicht zu einer Zersetzung (�Degradation�) der Proteine und Nukleins�uren und damit der DNA gekommen ist. Messergebnisse der C14-Methode lassen darauf schlie�en, dass die �ltesten Moorleichen bis zu 2.500 Jahre alt sind. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg war man in der Wissenschaft �brigens der Meinung, dass f�r die Bildung einer typischen Moorleiche mehrere Jahrhunderte vergehen m�ssten. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch fanden Bauern beim Torfabbau in Niedersachsen Moorleichen von deutschen und britischen Bomber-Piloten, die mit ihren Maschinen �ber dem Moor abgest�rzt und dann darin versunken waren. Sie zeigten bereits alle Charakteristika einer typischen Moorleiche. Ein anderes Ph�nomen der nat�rlichen Mumifizierung sind die sogenannten Permafrostleichen. Kommt ein Mensch in einem Perma- oder Dauerfrostgebiet (z.B. gro�e Teile Sibiriens, Nordkanadas oder Alaskas) zu Tode, wird durch Sublimation���den direkten �bergang von �fest� in �gasf�rmig� ohne den Umweg �ber �fl�ssig����und Verdunstung das Gewebewasser an die kalte Umgebungsluft abgegeben. Der niedrige Luftdruck und die trockene Umgebung, wie sie in Hochgebirgen �blich sind, erh�hen zudem den Dampfdruck auf das Wasser, das so schneller entweichen kann. Die Leiche wird sozusagen �gefriergetrocknet�. Ist die Feuchtigkeit aus dem Organismus entwichen, wird der Prozess der Leichenf�ulnis sehr stark verlangsamt, wobei F�ulnis und Verwesung bei Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes ohnehin so gut wie gar nicht mehr stattfinden. Teilmumifizierungen von Extremit�ten wie Ohren, Nase und Finger sind im Hochgebirge so bereits nach wenigen Monaten m�glich. Diese Permafrostleichen sind jahrtausendelang haltbar. Die oben beschriebene vollst�ndige Austrocknung durch Gefrieren f�hrt dazu, dass diese Leichen auch nach ihrer Bergung jahrzehntelang aufbewahrt werden k�nnen und keine sichtbaren chemischen Ver�nderungen mehr aufweisen. M�glicherweise haben Sie von den Mammuts aus dem Eis gelesen, deren DNA derzeit von amerikanischen und russischen Forschern anhand von einigen Haarb�scheln entschl�sselt wird. Die B�schel stammen von zwei sibirischen Mammuts, von denen das eine rund 20.000 Jahre, das andere sogar 60.000 Jahre im Eis gelegen hat. Haare sind eine sehr gute Quelle f�r jahrtausendealte DNA, weil sie meist weniger mit Pilzen oder Bakterien besiedelt sind als z.B. das Weichgewebe der Haut oder die inneren Organe. Auch wenn die Wissenschaft noch nicht so weit ist, dass sie aus dieser DNA Mammuts klonen k�nnte���ein Gedanke, der noch vor 20 Jahren v�llig abwegig war��, erscheint dieser Schritt f�r die nahe Zukunft nicht unm�glich. Ein Urwelt-Zoo � la �Jurassic-Park� k�nnte dann Realit�t werden. Der Fall Rosa Luxemburg Zugegeben, dieser Fall f�llt etwas aus dem Rahmen. Nicht nur weil er nachtr�glich in das Buch aufgenommen wurde, sondern auch weil dieser Fall ganz und gar nicht typisch f�r meinen Alltag in der Rechtsmedizin ist. Aber �Der Fall Rosa Luxemburg� zeigt sehr anschaulich die M�glichkeiten der Rechtsmedizin, und das bei einem neunzig Jahre zur�ckliegenden Mordfall. Zudem schlie�t er unmittelbar an das urspr�nglich letzte Kapitel �Erhalten f�r die Ewigkeit� an. Die Brisanz der sp�ten Entdeckungen zum Fall Rosa Luxemburg wurde in Fernsehen, Funk und Presse schon ausreichend gew�rdigt. Hier innerhalb der erweiterten Ausgabe dieses Buches geht es mir darum, zu zeigen, wie die Methoden der Rechtsmedizin im Kontext dieses nicht nur historisch spektakul�ren Falles funktionieren���was sie leisten k�nnen und was nicht. Nachdem ich im Januar 2007 als Direktor der rechtsmedizinischen Institute nach Berlin berufen worden war, besch�ftigte ich mich im Rahmen einer geplanten Ausstellung zur Rechtsmedizin intensiv mit den Sammlungsst�cken, die teilweise seit vielen Jahrzehnten in den beiden Instituten lagerten. In mehreren Kellergew�lben hatten sich, verstaubt�und �ber lange Zeit v�llig unbeachtet, einige Hundert Exponate aus der �ber 170-j�hrigen Geschichte der Berliner Rechtsmedizin angesammelt. Es ist ein Lagerraum der anderen Art. Auf Reihen von Regalen stehen unz�hlige Gef��e, in denen zum Beispiel in Formalin eingelegte K�rperteile und Organe aufbewahrt sind, darunter abgetrennte H�nde mit Abwehrverletzungen und von Fleischbrocken verstopfte Kehlk�pfe. Neben diesen sogenannten Feuchtpr�paraten lagern dort auch Trockenpr�parate���etwa mumifizierte K�pfe oder Oberschenkelknochen���sowie die sterblichen �berreste von F�ten und Neugeborenen. Auch Tatwerkzeuge wie �xte, Elektrokabel und sogar selbstgebaute Apparate sind hier sorgsam verwahrt. Alle diese Sammlungsst�cke waren sauber dokumentiert mit Eingangs- oder Sektionsnummer und Jahreszahl. Doch selbst innerhalb dieses ungew�hnlichen Archivbestands ragte ein Exponat besonders heraus: ein durch Fettwachs konservierter Frauenleichnam (die Fettwachsbildung ist in dem Kapitel �Erhalten f�r die Ewigkeit� ausf�hrlich beschrieben.). Im Gegensatz zu allen anderen Sammlungsst�cken konnte die Herkunft dieser Leiche nicht zur�ckverfolgt werden, denn es fanden sich weder Eintr�ge in den Unterlagen, noch war der Leichnam durch eine Leichennummer oder eine andere Identifikationsnummer oder Jahreszahl gekennzeichnet. Kopf, H�nde und F��e fehlten, der Rumpf war hingegen vollst�ndig intakt. Schon auf den ersten Blick fiel die ausgesprochen weibliche Physiognomie mit vollen Br�sten und ausladenden H�ften bei gleichzeitig sehr geringer K�rpergr��e auf. Ein Mitarbeiter, der bereits drei Jahrzehnte im Institut arbeitete, nahm mich zur Seite und er�ffnete mir etwas, das sofort meine Neugier als Rechtsmediziner weckte: Er machte mich darauf aufmerksam, dass Physiognomie und K�rpergr��e an die kleingewachsene Rosa Luxemburg erinnerten, und erz�hlte dann, dass sich im Institut f�r Rechtsmedizin der Charit� seit Jahrzehnten das Ger�cht hielt, der Leichnam von Rosa Luxemburg habe das Institut nie verlassen. Um meiner Neugier nachzugehen, griff ich als Erstes zu einem Geschichtsbuch, denn mein Schulwissen �ber die damalige Zeit war leider versch�ttet. Am 15. Januar 1919 wurden in Berlin Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die damals f�hrenden K�pfe der europ�ischen Arbeiterbewegung und Mitbegr�nder der kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), festgenommen. Man verschleppte sie in das Stabsquartier der Garde-Kavallerie-Sch�tzen-Division, das am Kurf�rstendamm gelegene Nobelhotel Eden. Nur wenige Stunden nach ihrer Festnahme wurden beide ermordet, nachdem man sie zuvor verh�rt und misshandelt hatte. Rosa Luxemburg wurde beim Verlassen des Hotels Eden von einem dort wartenden Soldaten mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen. Schon auf dem Boden liegend, wurde sie erneut von einem Gewehrkolben getroffen. Nachdem die Soldaten die Schwerverletzte auf den R�cksitz eines offenen Wagens geworfen hatten, wurde sie weiter mit Schl�gen maltr�tiert, ehe das�Fahrzeug auf der Budapester Stra�e in Richtung Corneliusbr�cke davonfuhr. Auf der H�he der N�rnberger Stra�e sprang ein weiterer Soldat auf das linke Trittbrett des fahrenden Pkw und t�tete die bereits schwerverletzte Rosa Luxemburg mit einem aufgesetzten Kopfschuss in die linke Schl�fe. Den Leichnam warfen die M�rder dann in den Landwehrkanal. Bereits zehn Tage sp�ter, am 25. Januar, wurde Rosa Luxemburg neben Karl Liebknecht auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde beerdigt. Doch ihr Sarg war leer���was sich schnell herumsprach und das politische Klima weiter anheizte. Die Suche nach dem Leichnam der ermordeten Revolution�rin, die mittlerweile M�rtyrerstatus besa�, wurde zum Politikum, und die Regierung bef�rchtete nach dem brutal niedergeschlagenen Spartakusaufstand neuerliche Unruhen. Nichts war ihr unliebsamer als eine vermisste tote M�rtyrerin. Zwischen Januar und Mai 1919 tauchten immer wieder Ger�chte auf, die Leiche Rosa Luxemburgs sei aus dem Landwehrkanal geborgen worden. Alle diese Ger�chte hatten sich jedoch als falsch erwiesen. In den sp�ten Abendstunden des 31. Mai entdeckte der 76-j�hrige Schleusenw�rter Gottfried Knepel an der Schleuse zwischen Unterer Freiarchenbr�cke und Stadtbahnbr�cke im Landwehrkanal die Leiche einer Frau. Diese wurde nach ihrer Bergung, wie bei unbekannten Toten damals �blich, in das polizeiliche Leichenschauhaus in der Hannoverschen Stra�e in Berlin-Mitte gebracht. Am 13. Juni 1919 wurde dieser Leichnam als Rosa Luxemburg beerdigt.�Dieser historische Hintergrund, in dem vieles ungekl�rt oder gar widerspr�chlich erscheint, stachelte meine Neugier zus�tzlich an. Ich entschloss mich zu ausgiebigen Recherchen, bei denen die oberste Devise lautete: Schau dir alles so sachlich, gr�ndlich und unbefangen an wie deine F�lle im Sektionssaal. Als Erstes versuchte ich herauszufinden, ob die verstorbene Rosa Luxemburg �berhaupt im polizeilichen Leichenschauhaus eingeliefert worden war, in das zu dieser Zeit alle unbekannten Leichen und eines gewaltsamen Todes Gestorbenen aus Berlin gebracht wurden, bevor man sie zur weiteren Untersuchung ins rechtsmedizinische Institut im selben Geb�ude verlegte. Im Archivbuch unseres Instituts von 1919 fand sich tats�chlich unter der Leichennummer 1480/19 der Eintrag: �Rosa Luxemburg, Dr. jur., Schriftstellerin. Geboren 05.03.1871 in Zamost, russ. Polen. Aufgefunden 31.05.1919 Schleuse an der Unteren Freiarchenbr�cke am Landwehrkanal.� Rosa Luxemburg war nach ihrer Bergung aus dem Landwehrkanal also tats�chlich in das dem rechtsmedizinischen Institut der Charit� angegliederte Leichenschauhaus eingeliefert worden. Ich sah mir daraufhin auch die Leicheneingangsb�cher des Instituts f�r Rechtsmedizin der Charit� der folgenden Jahre genauer an. Diese Auswertung ergab, dass zwischen 1919 und 1922 insgesamt acht unbekannte weibliche Frauenleichen aus dem Berliner Landwehrkanal geborgen und ins Leichenschauhaus eingeliefert wurden. Sicherlich handelte es sich bei einer dieser acht unbekannten Frauenleichen um unsere Fettwachsleiche.Aufgrund des Ausma�es der Fettwachsbildung hatte sie mindestens ein halbes Jahr, vielleicht aber auch drei Jahre im Wasser gelegen. Warum ist diese Leiche nie offiziell identifiziert worden? Eine Erkl�rung w�re, dass ihre Identit�t, n�mlich die Rosa Luxemburgs, ja bereits vergeben war. Den einschl�gigen Schriften nach war der Leichnam von Rosa Luxemburg im Garnisonslazarett auf einem Truppen�bungsplatz in Zossen obduziert worden. Daraus ergab sich der n�chste Schritt in meinen Bem�hungen, die wahre Identit�t der von uns gefundenen Fettwachsleiche zu ermitteln beziehungsweise auszuschlie�en, dass wir es mit den sterblichen �berresten von Rosa Luxemburg zu tun hatten: Ich versuchte, �ber das Milit�rarchiv in Freiburg das Obduktionsprotokoll zu besorgen, falls ein solches tats�chlich existierte. Nur wenige Wochen sp�ter hielt ich es in den H�nden. Damit war f�r mich der Fall unserer unbekannten Fettwachsleiche zwar nicht erledigt, ich ging aber nun davon aus, dass es sich bei ihr wohl nicht um Rosa Luxemburg handelte. Schlie�lich wies unser Leichnam keinerlei Spuren einer Obduktion auf. Als ich jedoch das zweiteilige Obduktionsprotokoll las, wurde mir schnell klar, dass dieser Schluss ein wenig voreilig war. Zu diesem Zeitpunkt wurde bei mir aus rechtsmedizinischer Neugier ein konkreter Verdacht: War die damals als Rosa Luxemburg obduzierte Leiche gar nicht Rosa Luxemburg? Und wenn sie es nicht war: Konnte es sein, dass es sich stattdessen bei unserer Fettwachsleiche um Rosa Luxemburg handelte?�Das Obduktionsprotokoll zum Todesfall der in der Nacht zum 31. Mai 1919 aus dem Berliner Landwehrkanal geborgenen Frauenleiche besteht aus zwei Berichten. Der Erste datiert vom 3. Juni 1919, dem Tag, an dem die Rechtsmediziner Prof. Dr. Fritz Strassmann und Prof. Dr. Paul Fraenckel im Garnisonslazarett auf dem Truppen�bungsplatz in Zossen die Obduktion an der geborgenen Leiche vorgenommen hatten. Der Zweite datiert vom 13. Juni 1919, dem Tag der Beerdigung dieser Frau als Rosa Luxemburg. Das Erstaunlichste zeigt sich gleich auf den ersten Blick: Das eigentliche Obduktionsprotokoll vom 3. Juni 1919 umfasst lediglich drei Seiten! Die Ausf�hrlichkeit �blicher rechtsmedizinischer Untersuchungen wurde in allen Kapiteln deutlich, die Sie in diesem Buch gelesen haben. Aber erinnern Sie sich an die zitierten Passagen aus dem Obduktionsprotokoll im Kapitel �Entzweigeteilte Ermittlung�? Schon diese Ausz�ge sind zusammen um einiges l�nger als das komplette erste Obduktionsprotokoll der angeblichen Rosa Luxemburg. Auch schon zur damaligen Zeit waren Obduktionsprotokolle weit ausf�hrlicher und in der Regel mehr als ein Dutzend Seiten stark, vor allem bei einem politisch derart brisanten Fall. Vor diesem Hintergrund gibt es nur zwei m�gliche Erkl�rungen: Entweder wussten die Obduzenten zum Zeitpunkt der Obduktion nicht, dass es sich bei der ihnen pr�sentierten Frauenleiche nach Ma�gabe von Reichswehrminister Gustav Noske um Rosa Luxemburg handelte, und gingen davon aus, dass es sich um eine weitere�namenlose Selbstm�rderin�handelte.�Oder den beiden Rechtsmedizinern war die Tragweite der Vertuschungsaktion durchaus bewusst, und sie folgten der Anordnung, dass einer unbekannten Frauenleiche die Identit�t der verhassten sozialistischen Freiheitsk�mpferin �verpasst� werden sollte,um endlich mit einem Teil des Mythos Luxemburg, n�mlich mit der Suche nach dem vermissten Leichnam, abschlie�en zu k�nnen. Ersteres ist allerdings wenig wahrscheinlich, da man zwei so hochkar�tige Rechtsmediziner wie Strassmann und Fraenckel f�r einen solchen Fall nicht aus ihrem Institut in Berlin in das f�nfzig Kilometer entfernte Zossen bem�ht h�tte. Strassmann und Fraenckel m�ssen meines Erachtens zumindest geahnt haben, dass ihre Aufgabe darin bestand, um die von ihnen dokumentierten Obduktionsbefunde herum die Identit�t Rosa Luxemburgs und die passende Todesursache zu konstruieren. Anders sind K�rze und Oberfl�chlichkeit des dreiseitigen Obduktionsprotokolls nicht zu erkl�ren. Immerhin wurde es von den damaligen Koryph�en der Rechtsmedizin erstellt. Daf�r spricht auch, dass die Obduktion auf dem Truppen�bungsplatz in Zossen durchgef�hrt wurde und nicht wie �blich im direkt an das polizeiliche Leichenschauhaus angegliederten Obduktionstrakt des Instituts f�r Rechtsmedizin in Berlin-Mitte: Au�erhalb ihres Instituts konnten die beiden Rechtsmediziner vom Milit�r besser unter Druck gesetzt werden. Reichswehrminister Noske wollte endlich der aufgebrachten �ffentlichkeit eine Leiche pr�sentieren und sie schnell begraben lassen. Wenn er also pers�nlich verf�gte, dass es sich bei dieser Leiche um Rosa Luxemburg zu handeln hatte���und dass auch noch in einer Zeit, in der t�glich Dutzende regimekritischer oder einfach unliebsamer Menschen vom Milit�r erschossen wurden (die �brigens allesamt ebenfalls im Leichenschauhaus in der Hannoverschen Stra�e eingeliefert wurden)��, dann tat jeder Obduzent gut daran, sich dieser Ma�gabe nicht zu widersetzen. Mathilde Jacob, enge Vertraute, Freundin und Sekret�rin Rosa Luxemburgs, versuchte damals nach eigener Aussage vergeblich, �rzte ihres Vertrauens zur Obduktion in Zossen hinzuzuziehen. In ihren Erinnerungen schreibt sie: �Zwei �rzte bat ich vergeblich, mit den Offizieren nach Zossen zu fahren. Sie f�rchteten um ihr Leben, sicher aber mussten sie mit politischer Verfolgung rechnen, wenn sie sich zur Verf�gung stellten.� Obduktionsort sowie die K�rze des Protokolls erh�rten den Verdacht, dass hier etwas nicht stimmt. Der verst�rkt sich bei n�herer Betrachtung zur Gewissheit. Sehen Sie selbst: Die �u�ere Leichenschau vor Beginn der eigentlichen Obduktion, die in jedem Obduktionsfall, damals wie heute, die f�r die Identifizierung wichtigen k�rperlichen Merkmale dokumentiert, umfasst gerade mal 26 Zeilen. Eine Dokumentation des Zahnstatus unterbleibt zum Beispiel v�llig (es hei�t lediglich: �Die Z�hne sind gelockert, zum Teil fehlen sie ganz. Ein kleines St�ck des Zahnfaches rechts oben neben der Mittellinie ist quer eingebrochen.� Es wird ein 146 cm messender weiblicher Leichnam beschrieben (Rosa Luxemburg hatte eine K�rpergr��e von 150 cm), der weit fortgeschrittene F�ulnisver�nderungen aufweist. Es sind au�erdem keinerlei sichtbare Verletzungen vorhanden (�Hals und Rumpf ohne Verletzungsspuren, desgleichen die Glieder�). Interessanterweise hei�t es weiter explizit: �Eine messbare Verk�rzung der Beine besteht nicht.� Von Rosa Luxemburg ist aber ein H�ftleiden, eine Beinl�ngendifferenz mit Nachziehen eines Beines und ein insgesamt auff�lliger �lahmender� oder �watschelnder� Gang historisch belegt. Wesentlicher Befund der inneren Leichenschau nach dem �ffnen der Kopfh�hle ist eine Fraktur der Sch�delbasis. (�An der kn�chernen Sch�delgrundfl�che erkennt man einen durch die linke und rechte mittlere Sch�delgrube und den T�rkensattel hindurchziehenden Bruch, durch den die vordere von der hinteren Seite getrennt ist.�) In dem Obduktionsprotokoll wird explizit herausgearbeitet, dass sowohl das Sch�deldach als auch die harte Hirnhaut unverletzt sind. (�Das kn�cherne Sch�deldach ist von regelm��iger Form, au�en und innen unversehrt�; �Die harte Hirnhaut, von au�en schmutziggrau, sackf�rmig, ohne Verletzungsspuren.�) Das Obduktionsprotokoll vom 3. Juni 1919 schlie�t mit Angaben zur Todesursache und zur Rekonstruktion wie folgt: �Bei der fortgeschrittenen F�ulnis hat sich die Todesursache durch die Leichen�ffnung nicht sicher feststellen lassen. Doch spricht der Befund daf�r, dass der Tod infolge einer schweren Verletzung der Sch�delbasis eingetreten ist (�) Verletzungen, die mit Sicherheit auf Kolbenschl�ge zur�ckzuf�hren sind, hat die Leichen�ffnung nicht ergeben. Die Verstorbene hatte eine m��ige alte Wirbels�ulenverkr�mmung. Ursachen einer eigentlichen Lahmheit haben wir nicht gefunden. Ebenso nicht f�r einen watschelnden Gang. Die Leiche hat mindestens zwei Monate im Wasser gelegen, kann aber sehr wohl auch viereinhalb Monate oder l�nger gelegen haben.� Angaben zur Identit�t der Leiche kommen in diesem urspr�nglichen Obduktionsbericht nicht vor. Die Tote wird als unbekannte weibliche Frauenleiche behandelt, der Name Rosa Luxemburgs taucht in diesem Schriftst�ck nirgendwo auf. Ebenso wenig gibt es, wie wir gesehen haben, positive Hinweise, die eine nachfolgende Identifizierung des Leichnams als Rosa Luxemburg zulassen. Nein, im Gegenteil, es werden sogar klare Hinweise gegeben, dass die obduzierte Person nicht Rosa Luxemburgs K�rpergr��e hatte, nicht an einer H�fterkrankung litt, keine Beinl�ngendifferenz aufwies und auch nicht vor ihrem Tode mit Gewehrkolbenschl�gen maltr�tiert worden war. Im zweiten Teil des Obduktionsprotokolls, nun vom 13. Juni 1919 und dreizehn Seiten umfassend, wird diese unbekannte Wasserleiche pl�tzlich zu Rosa Luxemburg: �In der Leichenermittlungssache Luxemburg erstatten wir nachstehend das erforderte Nachtragsgutachten.� Interessanterweise wird mit keinem Wort erw�hnt, wie die unbekannte Frauenleiche nun als Rosa Luxemburg identifiziert werden konnte. Strassmann und Fraenckel notieren schlicht: �Wir glauben, nachdem inzwischen eine bestimmte Rekognition erfolgt ist, auf den Teil unseres Gutachtens, der sich auf die Bestimmung der Pers�nlichkeit bezog, nicht weiter eingehen zu m�ssen.� Wie h�tten sie denn auch darauf eingehen k�nnen, da es keine rechtsmedizinisch feststellbaren Befunde gab, die diese Identifizierung m�glich gemacht h�tten? Die am 3. Juni 1919 als unbekannte Wasserleiche obduzierte Frauenleiche erh�lt also am 13. Juni 1919 die Identit�t Rosa Luxemburgs und wird noch am selben Tag, begleitet von einem gewaltigen Trauerzug von Berlin-Friedrichshain zum Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde, zu Grabe getragen, obwohl dies aufgrund der rechtsmedizinischen Befunde ganz klar widerlegt ist. Das Nachtragsgutachten vom 13. Juni wird im Verlauf noch abenteuerlicher, insbesondere, was die Interpretation der am 3. Juni bei der Obduktion erhobenen Befunde anbelangt: Die Fraktur der Sch�delbasis wird nun auf einen Schussdefekt zur�ckgef�hrt (obwohl ausweislich des Obduktionsprotokolls vom 3. Juni 1919 Sch�deldach und harte Hirnhaut unverletzt waren, was im Fall eines Schussdefektes des kn�chernen Sch�deldaches unm�glich ist). Eine bei der Obduktion am 3. Juni im Bereich der linken Schl�fe festgestellte �undeutliche, rundliche �ffnung in der Haut, etwa 7 mm im Durchmesser�, wird nun, zehn Tage sp�ter, zum mutma�lichen Einschuss deklariert. W�rde es sich bei dieser Verletzung in der linken Schl�fe (die auf den Fotos der damals obduzierten Leiche �brigens nicht zu sehen ist) tats�chlich um einen Einschuss handeln, h�tte man entweder einen Ausschuss, also eine Verletzung verursacht durch den Austritt des Projektils, feststellen m�ssen (was nicht der Fall war), oder die Kugel h�tte noch im Kopf stecken m�ssen (doch davon steht nichts im Protokoll). Dass die Obduzenten dieses wichtige Detail vergessen haben k�nnten zu erw�hnen, darf man getrost ausschlie�en; zu oft und zu eindr�cklich hatten sich Strassmann und Fraenckel damals als herausragende und f�r ihre Gr�ndlichkeit bekannte Fachleute erwiesen. Zur Hautver�nderung vor dem linken Ohr hei�t es:��Die Untersuchung des Hautst�ckes mit der vermutlichen Einschuss�ffnung hat Pulvereinsprengungen oder Auflagerungen nicht ergeben. Bei der Zerst�rung der obersten Hautschichten und bei der gew�hnlich nicht so erheblichen Pulvereinsprengung und Auflagerung, wenn mit rauchschwachem Pulver geschossen wird, wie es hier der Fall war, kann man trotzdem nicht erkl�ren, dass es sich nicht um eine Schusswunde handelt (�). Auffallend ist allerdings, dass die Haare um die genannte Haut�ffnung unversehrt erschienen, keine Spuren von Splitterung erkennen lie�en, wie man sie bei Sch�ssen aus gro�er N�he erwarten w�rde.� Unterm Strich bedeutet das: keine Hinweise auf eine tats�chliche Schussverletzung. Interessanterweise fanden sich bei Karl Liebknecht, der (per Kopfschuss von hinten) mit einer Armeepistole desselben Typs erschossen worden war wie Rosa Luxemburg und ebenfalls von Strassmann obduziert wurde, die Folgen einer erheblichen Sprengwirkung am Sch�del: �Es finden sich eine Reihe von Spr�ngen, die, von Einschuss und Ausschuss ausgehend, ein mannigfach verzweigtes,zusammenh�ngendes System von Fissuren bilden.�, hei�t es im Obduktionsprotokoll Liebknechts. Bei der als Rosa Luxemburg obduzierten Frau hat das in der linken Schl�fe eingetretene Projektil lediglich zu einem��rinnenf�rmigen Defekt��der Sch�delbasis gef�hrt. Eine Sprengwirkung wie bei Liebknecht konnte an ihrem Sch�del nicht festgestellt werden. Kurioserweise versuchen die beiden Rechtsmediziner nicht nur, die Sch�delbasisverletzung der Toten mit einem Schuss, sondern ein paar Seiten weiter dann mit Gewehrkolbenhieben zu erkl�ren, um ihre eigenen Aussagen ein paar Abs�tze sp�ter dann doch wieder in Frage zu stellen. Aus dem Fehlen von Blut in den Atemwegen schlossen die beiden Obduzenten,��dass dem Sch�delbasisbruch, wenn er �berhaupt noch im Leben erfolgte, der Tod sofort nachgefolgt ist�. Dies macht die ganze Sache umso verwirrender, denn damit zweifeln die Obduzenten an, dass die massive (und als Todesursache angenommene) Verletzung der Sch�delbasis �berhaupt zu Lebzeiten erfolgte! Noch abstruser wird es, wenn nunmehr Gewehrkolbenschl�ge, die im Obduktionsbericht zehn Tage zuvor ja explizit ausgeschlossen wurden, als m�gliche Todesursache angef�hrt werden:��Frau Luxemburg hat durch den ersten Kolbenschlag eine schwere Gehirnersch�tterung ohne Knochenverletzung davongetragen, ob auch eine Gehirnblutung, l�sst sich nicht entscheiden. Der zweite Kolbenschlag hat den Bruch des Zahnfortsatzes des Oberkiefers herbeigef�hrt.� Warum die (von Tatzeugen als sehr heftig beschriebenen) Gewehrkolbenschl�ge auf den Kopf von Rosa Luxemburg nicht zu einer Verletzung des kn�chernen Sch�deldaches f�hrten, wird im Nachtragsgutachten wie folgt begr�ndet:��Dieser Kolbenschlag hat entgegen der urspr�nglichen Vermutung, wie jetzt sicher erkl�rt werden kann, eine Verletzung des Sch�deldaches nicht herbeigef�hrt. Anscheinend ist seine �rtliche Wirkung, wie auch einer der Zeugen in der Hauptverhandlung gegen Rzewuski ausgesprochen hat, durch den damals noch auf dem Kopf befindlichen Hut und das Haar abgeschw�cht worden, so dass der Kolbenschlag nur zu einer allgemeinen Gehirnersch�tterung gef�hrt hat.��Das ist, gelinde gesagt, blanker Unsinn. Auch f�r jeden Nicht-Mediziner ist die Erkl�rung, heftige Schl�ge mit einem harten Gegenstand k�nnten durch eine Kopfbedeckung und dichtes Haar derart abgeschw�cht werden, dass sie nicht zu feststellbaren Verletzungen f�hren���aber trotzdem zum Tod!��, wohl mehr als haarstr�ubend. Ganz n�chtern betrachtet, handelt es sich bei der am 3. Juni im Rahmen der Obduktion festgestellten Fraktur der Sch�delbasis um einen sogenannten �Scharnierbruch� der Sch�delbasis, der auf keinen Fall Folge eines Schusses ist, sondern vielmehr durch eine einseitige dynamische Gewalteinwirkung gegen die Sch�delbasis entstanden ist. Nicht nur passt die Beschreibung der Fraktur der Sch�delbasis nicht zu einem Schusskanal���w�rde es sich um einen Schussdefekt handeln, w�re unter dem Mikroskop eine Blutaspiration nachweisbar gewesen. Solche Scharnierbr�che der Sch�delbasis sind Folge stumpfer Gewalteinwirkung, etwa wenn jemand�aus der H�he auf harten Untergrund st�rzt oder nach einem Sprung in den Tod mit dem Kopf an eine Hauswand oder einen Br�ckenpfeiler schl�gt. Solche Verletzungen �berlebt in der Regel niemand, weshalb man auch keine Blutaspiration als Vitalit�tszeichen findet���wie man auch bei der unbekannten Frau, die schlie�lich als Rosa Luxemburg beerdigt wurde, keine fand. Bei Rosa Luxemburg, die ja durch einen Schuss in die Schl�fe get�tet wurde, h�tte man aber eine Blutaspiration feststellen m�ssen. Nachdem f�r mich nun zweifelsfrei feststand, dass die in Zossen obduzierte Leiche nicht Rosa Luxemburg gewesen sein konnte, hatten wir Grund genug, unsere Fettwachsleiche n�her in Augenschein zu nehmen. Zun�chst r�ntgten wir die H�fte, denn w�rden wir dort nichts Auff�lliges finden, w�re bewiesen, dass vor uns nicht Rosa Luxemburg lag. Doch tats�chlich zeigte sich im R�ntgenbild ein degenerativer H�ftschaden. Damit hatten wir neben K�rpergr��e und Physiognomie eine weitere �bereinstimmung mit Rosa Luxemburg gefunden, die der damals obduzierten Leiche fehlte. Doch das war nat�rlich kein Beweis. Den konnte nur eine DNA-Analyse liefern. Wir ben�tigten also die DNA der Fettwachsleiche und Spuren, mit denen wir diese vergleichen konnten. In unserer Abteilung f�r Forensische Genetik konnte das DNA-Profil isoliert werden. Zur gleichen Zeit fanden wir im Bundesarchiv in der Finkensteinallee in Berlin neben Originalbriefen und Abschriften auch Briefumschl�ge und Postkarten mit Briefmarken von Rosa�Luxemburg. Durch die Fortschritte der DNA-Analyse ist es m�glich, schon aufgrund kleinster Speichelspuren einen genetischen Fingerabdruck zu erstellen. Also wandten wir uns an das Bundesarchiv in Koblenz mit der Bitte, uns einen Originalbriefumschlag zu �berlassen, um die Briefmarken und die Umschlagfalz (dort, wo angeleckt wird) untersuchen zu k�nnen. Wenige Tage sp�ter erhielten wir die Erlaubnis, zwei Briefumschl�ge mit Briefmarken sowie eine frankierte Postkarte, die von Rosa Luxemburg zwischen 1918 und 1919 abgeschickt worden waren, zu untersuchen. Doch leider blieben diese Untersuchungen ohne Ergebnis. S�mtliche Briefmarken und die Umschlagfalz waren offensichtlich mit Wasser angefeuchtet worden���es fand sich nirgendwo DNA-haltiges Material. Auch alle weiteren Recherchen nach m�glichen noch existierenden pers�nlichen Gegenst�nden von Rosa Luxemburg liefen ins Leere. Und da ihre Briefe in den letzten neunzig Jahren durch die H�nde zahlreicher Historiker gegangen waren, die daran nun ihrerseits ihre eigene DNA hinterlassen hatten, machte es wenig Sinn, sie zu untersuchen. Pers�nliche Gegenst�nde mussten her, am liebsten w�re uns ein Schal, ein Mantel oder ein Hut gewesen, denn an ihnen h�tten sich noch am ehesten Hautschuppen oder Haare f�r einen DNA-Vergleich finden lassen. Eine Nachfrage im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn verlief diesbez�glich ergebnislos. Es hie�, dort seien keine pers�nlichen Gegenst�nde aus dem Besitz von Rosa Luxemburg vorhanden. Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die�Stiftung �Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv� konnten uns nicht weiterhelfen. Da ein DNA-Abgleich nicht m�glich war, ging es nun um eine Ausschlussdiagnose (im Kapitel �Nackte Tatsachen� habe ich das Prinzip der Ausschlussdiagnose ja bereits erkl�rt): Solange wir keinen Beweis f�r die vermutete Identit�t unserer Fettwachsleiche finden konnten, w�rden wir nach Gegenbeweisen suchen m�ssen. Daf�r veranlasste ich als Erstes eine computertomographische Untersuchung. Sie ergab, dass unsere Frauenleiche zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 40 und 50 Jahre alt gewesen war (Rosa Luxemburg war mit 47 ermordet worden) und dass���wie schon die konventionelle radiologische Untersuchung ergeben hatte���die Verstorbene zu Lebzeiten an einer Arthrose des H�ftgelenks gelitten hatte. Auch fand sich eine Beinl�ngendifferenz, beides Befunde, die darauf schlie�en lie�en, dass diese Person zu Lebzeiten einen �watschelnden� oder hinkenden Gang gehabt haben k�nnte. Die Frau hatte, wie die Berechnung aufgrund ihrer Oberschenkell�ngen ergab, eine K�rpergr��e von 1,50 Meter. Dies waren weitere �bereinstimmungen unserer unbekannten Toten mit Rosa Luxemburg. Ein weiterer interessanter CT-Befund war, dass Hals und Kopf unmittelbar oberhalb des 1. Brustwirbelk�rpers abgetrennt worden waren. Aufgrund der Unversehrtheit des Wirbelk�rpers und der geraden Schnittfl�che der Abtrennungsstelle muss dies professionell und postmortal geschehen sein. Es gibt die belegte Aussage eines mittlerweile verstorbenen Zeitzeugen, dass er den Kopf von Rosa Luxemburg um 1975 noch im Bestand der anatomischen Sammlung des Instituts f�r Rechtsmedizin gesehen hatte. Dass der Sch�del abgetrennt wurde, w�re nicht weiter erstaunlich. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein herrschte ein regelrechter �Sch�delfetischismus�, bei dem Anatomen, Anthropologen und Rechtsmediziner die H�upter historischer Pers�nlichkeiten abtrennten und als� Sammlerst�cke�aufbewahrten. So befindet sich z.B. heute noch der Kopf des 1925 enthaupteten Serienm�rders Fritz Haarmann in der Sammlung des G�ttinger Instituts f�r Rechtsmedizin. Dass �berhaupt eine anatomische Sammlung in der Berliner Rechtsmedizin (wie auch andernorts nicht nur in der Rechtsmedizin, sondern auch in Anatomie, Pathologie, Chirurgie, Gyn�kologie) angelegt wurde, ist zum einen darauf zur�ckzuf�hren, dass die Asservierung und Sammlung von K�rper- oder Leichenteilen durch �rzte bis Ende des 20. Jahrhunderts gesetzlich nicht scharf geregelt war. Zum anderen besteht noch nicht lange die M�glichkeit, detailgetreue Farbaufnahmen anzufertigen. Heutzutage ist es undenkbar, dass wir Leichenteile, Knochenst�cke oder gar ganze Leichen zur�ckbehalten. Dank der (digitalen) Farbfotographie und anderer Techniken wie zum Beispiel Abg�ssen und Anfertigung von Wachsmodellen k�nnen wir die interessanten Befunde dokumentieren. Insofern geh�ren derartige Pr�paratesammlungen der Vergangenheit an. Warum bei der Fettwachsleiche au�er dem Kopf auch die H�nde und F��e fehlen, dar�ber kann man nur spekulieren. DassWasserleichen,die sich viele Monate oder gar Jahre im Wasser befunden haben, die H�nde und F��e oder sogar ganze Extremit�ten fehlen, ist nicht selten. Gerade H�nde und F��e, die nicht so kompakt sind wie der Rumpf, fallen h�ufig als Erstes F�ulnisver�nderungen zum Opfer. Es gibt widerspr�chliche Aussagen dazu, ob die Leiche Rosa Luxemburgs mit Drahtschlingen und Gewichten um Hand- und Fu�gelenke beschwert wurde, ehe sie in der Nacht vom 15. auf den 16.Januar 1919 in den Landwehrkanal geworfen wurde. Sollte dies der Fall gewesen sein, w�re das eine weitere m�gliche Erkl�rung: Durch sich bildende F�ulnisgase bekommt der Leichnam Auftrieb, so dass er sich mit der Zeit an den aufgeweichten Gelenken regelrecht von den beschwerten H�nden und F��en losrei�t. Nach der computertomographischen Untersuchung versprach ich mir weitere Erkenntnisse von der C-14- Methode, also der Bestimmung der Zeit bzw. Epoche, in der ein Mensch gelebt hat, mittels radiometrischer Analyse (vgl. Kapitel �Erhalten f�r die Ewigkeit�). Die Untersuchung eines kleinen Knochenst�ckes des rechten Schienbeins durch das Leibniz-Labor f�r Altersbestimmung und Isotopenforschung in Kiel ergab, dass die unbekannte Frau eindeutig zu der Zeit von Rosa Luxemburg gelebt hatte. Das Fazit von Recherchen und Ausschlussdiagnose: Die von uns untersuchte weibliche Wasserleiche hat zur Zeit Rosa Luxemburgs gelebt und war zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 40 und 50 Jahre alt; sie hat die K�rpergr��e, Statur und K�rperproportionen der ber�hmten Sozialistin und litt zu Lebzeiten an einer H�ftgelenkserkrankung und einer Beinl�ngendifferenz, der Kopf ist pr�paratorisch abgetrennt worden. Die Herkunft der Toten konnte bislang nicht gekl�rt werden���vielleicht weil sie bewusst verschleiert worden war. Nat�rlich sind diese Merkmale nicht einzigartig, sondern treffen sicherlich auf einige Frauen der damaligen Zeit zu. Aber wie viele Frauen wurden damals als Fettwachsleiche aus dem Wasser geborgen, in das Leichenschauhaus in Berlin gebracht, nicht identifiziert und blieben dann jahrzehntelang im Institut f�r Rechtsmedizin liegen? Keine weitere. Bei der zweieinhalbj�hrigen Suche nach Ausschlusskriterien stie� ich nur immer wieder auf weitere Indizien daf�r, dass es sich bei der geheimnisvollen Fettwachsleiche tats�chlich um Rosa Luxemburg handeln k�nnte. Nun, da s�mtliche m�gliche Untersuchungen allesamt positive Resultate erbracht hatten, wollte ich einen letzten Versuch starten, per DNA-Abgleich f�r Klarheit zu sorgen, denn f�r einen Rechtsmediziner, dessenAufgabe es ist, neben der Kl�rung von Todesursachen und Todesumst�nden Menschen ihren Namen wiederzugeben, ist eine namenlose Leiche eine unbefriedigende Sache. Also wandte ich mich an die �ffentlichkeit, um vielleicht doch noch an Vergleichsspuren zu gelangen. Leider verlief auch diese Suche bislang erfolglos. Das gro�e �ffentliche Interesse zeigt, dass das Schicksal der bedeutenden Frauenrechtlerin und K�mpferin der europ�ischen Arbeiterbewegung nach wie vor die Menschen bewegt. Die zweifelsfreie Identifizierung der Leiche w�rde zwar keine weiteren Einzelheiten zur Ermordung Rosa Luxemburgs ans Tageslicht bef�rdern, sie w�rde jedoch neben einer politischen auch eine menschliche Trag�die zum Abschluss bringen. Von einer eigentlichen Obduktion der Fettwachsleiche verspreche ich mir keine zus�tzlichen Informationen, die wir nicht schon durch unsere anderen Untersuchungen erlangt h�tten. Es ist eine Sache des Respekts gegen�ber den Toten, in einem solchen Falle davon abzusehen, Brust- und Bauchh�hle aufzuschneiden. Auch die rechtliche Situation spricht dagegen. Wer soll die Einwilligung zu einer Obduktion geben? Sollte es sich um Rosa Luxemburg handeln, m�sste man sich an direkte Nachfahren wenden���doch die gibt es nicht. Ein staatsanwaltschaftliches Todesermittlungsverfahren ist nicht eingeleitet worden, so dass eine richterliche Anordnung einer Obduktion auch nicht in Betracht kommt. Die M�glichkeit, die �berreste der 1919 als Rosa Luxemburg beerdigten Frau zu exhumieren und zu untersuchen, besteht heute leider nicht mehr. 1935 zerst�rten die Nazis die Gedenkst�tte auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde, die der Architekt Mies van der Rohe 1926 als Revolutionsdenkmal zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht entworfen hatte. 1941 ebneten die Nazis die Grabfl�che ein und entfernten die Gebeine���wobei bis zum heutigen Tag unklar ist, was mit den sterblichen �berresten damals geschah. Wilhelm Pieck, ehemaliger Weggef�hrte von Luxemburg und Liebknecht, SED-Mitbegr�nder und erster und einziger Pr�sident der DDR (1949�1960), ordnete 1950 die Suche nach den sterblichen �berresten der beiden Genossen auf dem Friedhof in Friedrichsfelde an. Obwohl die Suche erfolglos verlief, lie� er dort eine neue Gedenkst�tte f�r die beiden Ikonen des Sozialismus errichten. Auch heute noch pilgern am Tag der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts am 15. Januar j�hrlich Zehntausende an die Gedenkst�tte in Berlin. Ganz ohne Zweifel war es aber nicht der Leichnam Rosa Luxemburgs, der am 13. Juni in Berlin-Friedrichsfelde beerdigt worden ist. Aber ist die Fettwachsleiche, die sich immer noch im Institut f�r Rechtsmedizin in der Berliner Charit� befindet, die 1919 ermordete Revolutionsf�hrerin? Nach �ber zweieinhalbj�hriger Spurensuche spricht vieles daf�r und nichts dagegen. Es fehlt nur der letzte Beweis, ein kleines, aber letztlich das entscheidende Puzzleteil in dem gro�en R�tsel um Rosa Luxemburg���der DNA-Beweis. Es ist erfreulich, �ber welche Methoden die moderne Rechtsmedizin inzwischen verf�gt, um selbst in so weit zur�ckliegenden F�llen vieles aufzeigen und ausschlie�en zu k�nnen. Zentral ist dabei, dass wir bei einigen Toten auch ein knappes Jahrhundert nach dem Tod noch die DNA des Menschen analysieren k�nnen. Spurentr�ger, wie pers�nliche Gegenst�nde der Verstorbenen herzaubern, mit denen ein DNA-Profil sich vergleichen lie�e, wird aber immer die M�glichkeiten der Rechtsmedizin �berschreiten. Was hei�t hier spektakul�r? Ein Res�mee Wenn Sie als Leser bis hierhin vorgedrungen sind, mussten Sie, w�hrend Sie dem Tod auf der Spur waren, einiges mit ansehen: Sie wurden mittelbar Zeuge bei einem Mord im Zuh�ltermilieu, dessen Opfer danach auf einer Landstra�e kilometerweit unter einem Wagen mitgeschleift wurde, und bei einem Mord unter geistig verwirrten Menschen in einem Umfeld sozialer Verwahrlosung. Sie haben erlebt, wie eine Unachtsamkeit bei der Jagd zu einem t�dlichen Unfall f�hrte, wie ein Drogenkurier an seinen Transportg�tern starb und wie Alkohol und K�lte eine unheilvolle Allianz eingingen. Und nicht zuletzt haben Sie die t�dliche Entschlossenheit von Menschen kennengelernt, die mit aller Macht aus dem Leben scheiden wollen: durch eine im fahrenden Auto ausgel�ste Explosion, durch Aderlass und anschlie�ende Selbstenthauptung oder durch das Aufschneiden der Pulsadern in einer Regentonne als selbstgew�hltem Versteck vor der Welt der Lebenden. Alle diese F�lle haben eines gemeinsam: Sie fanden nicht in der Welt der Reichen und Sch�nen statt, die wir zwar bestaunen, die aber nicht unsere Welt ist, sondern mitten unter uns. Das einzige Opfer, dass eine�gewisse �Ber�hmtheit� erlangte, war ein kleines M�dchen, und ihre ersch�tternde Ber�hmtheit kam erst mit dem Tod, der unbedingt h�tte verhindert werden m�ssen. Spektakul�r sind die zw�lf hier beschriebenen F�lle also nicht durch eine Brisanz, die vor allem die Boulevardmedien gern aus vermeintlich r�tselhaften Todesf�llen von sogenannten Celebrities stricken. Spektakul�r sind sie insofern, als sie in zugespitzter Weise Ph�nomene unserer Gesellschaft beleuchten, die wir alle lieber ausklammern, mit denen wir Rechtsmediziner aber tagt�glich konfrontiert werden. Und diese Todesf�lle sind meiner Meinung nach gerade dadurch spektakul�r, dass es sich bei den Opfern um Menschen handelt, neben denen wir vielleicht schon einmal an der Bushaltestelle oder an der Supermarktkasse gestanden haben. Das hei�t jedoch nicht, dass ich der Meinung bin, wir alle sollten verpflichtet werden, uns fortan t�glich mit den Trag�dien um uns herum zu besch�ftigen. �berhaupt lasse ich meinen Zeigefinger lieber seinen Beitrag zu meiner Arbeit als Rechtsmediziner leisten, als ihn moralisch zu erheben. Aber was ich t�glich in meinem Beruf zu sehen bekomme, sollte auch nicht versteckt werden, denn diese dunkle Seite unserer Gesellschaft, die all diese Todesf�lle offenbaren, ist nicht gottgegeben. Jeder dieser unnat�rlichen Todesf�lle ist f�r sich ein Warnsignal. Und in dem, was an jedem Tag im Obduktionssaal vor uns auf dem Stahltisch liegt, lassen sich jede Menge Hinweise finden, wo und wie in unserer Gesellschaft etwas gr�ndlich schiefl�uft. Also sollten wir diese traurige Welt aus unserem Leben nicht�verbannen, sondern stattdessen lieber noch genauer hinsehen, aus Liebe zum Leben. Dieses Buch soll ein kleiner Beitrag dazu sein���nicht mehr, aber auch nicht weniger. 4